Theater gehe Du voran

14. September 2012. Christine Dössel hat die Spielpläne und Spielzeithefte der gerade beginnenden Saison studiert und resümiert heute in der Süddeutschen Zeitung, dass die "Krise, so scheint es, mit all ihren Müdigkeitserscheinungen und Kollateralschäden im deutschsprachigen Theater fürs Erste ganz gut aufgehoben ist".

Nicht nur im Programheft des Theaters Ingolstadt hat Christine Dössel gelesen, dass wir der Bewegung einer ungeheuren Geschwindigkeit unterworfen seien, ein Zustand, den wir paradoxerweise als Stillstand erführen. Alles verändere sich, aber die Richtung bleibe "unscharf", und so springe einen aus den Spielzeitheften der gerade begonnenen Saison "allenthalben Unbehagen" an. Lars-Ole Walburg, Intendant in Hannover, attestiere unserer Zeit "'Paralyse durch die Gegenwart, Verlust von Entwurfsfantasie'. Zunehmend unübersichtlich wirke die Welt." Der Konstanzer Intendant Christoph Nix beschwöre fröstelnd den 'Kältestrom des Kapitalismus', die Badische Landesbühne Bruchsal fragt da: "Wollen wir die Zukunft unserer Gesellschaft von den Märkten bestimmen lassen?" 

"Und auch darin scheint Einigkeit zu herrschen: Dass das Theater der ideale Ort für diese Art der Entschleunigung, Vergegenwärtigung, gesellschaftlichen (Selbst-) Vergewisserung ist. Dass es ein Ort der Reflexion und der Widerständigkeit ist", so Dössel. Alle hätten ihre Spielpläne auf diese Zeitdiagnostik zugeschnitten oder biegen sie zumindest erklärungstheoretisch darauf hin. "'Warte nicht auf bessere Zeiten!', prangt - ausgehend von Becketts 'Warten auf Godot' - als motivischer Imperativ auf dem Jahresheft des Staatstheaters Mainz, dem mit Abstand größten und unhandlichsten Theatermagazin der Saison."

Fazit des dreiviertelseite langen Texts: "Nicht, dass jemand vom Theater fertige Antworten, Rezepte oder gar Lösungen erwarten würde. Aber ein bisschen Sinn(lichkeit) und Besinnung, das schon. Und wer weiß - vielleicht findet der Zahlenanalyst Moritz in dem neuen Stück 'Nullen und Einsen' des Mainzer Hausautors Philipp Löhle ja tatsächlich die geheime Formel, 'die alles dreht'. Einen neuen Algorithmus könnte unsere irre Welt ganz gut gebrauchen."

 

Kommentare  
Presseschau Spielplanvorschau: restaurativ
Ist schon klar, dass es einen Bogen braucht, wenn man so eine Spielplanvorschau massenkompatibel aufschreiben will. Aber so restaurativ wie es hier in der SZ behandelt wird, bringts doch nichts. Da glaubt man also wirklich, dass die Theater, wenn sie sich die Finanzkrise ins Spielplanheft schreiben, automatisch "zeitdiagnostisch" dicht dran sind? Nein, im Moment sieht es weiter so aus, als sei die Finanzkrise bei den Theater überhaupt nicht gut aufgehoben. Ich wünsche mir Erzählungen darüber, wo ein Theater es schafft, sich selbst innen zu verändern, dann glaube ich auch, dass sie zum Metathema "Krise" etwas sagen können. Und Beispiele für Projekte und Inszenierungen, die auf der Bühne einen Weg gefunden haben, mit dem umzugehen, von dem Christine Dössel erzählt. Wo sind die denn? Und jetzt bitte nicht mit irgendwelchen Stadtteilprojekten kommen...
Spielzeit-Überblick SZ: Metatheater
@1:
"Ich wünsche mir Erzählungen darüber, wo ein Theater es schafft, sich selbst innen zu verändern"
Find ich spannend. Kennen Sie solche Erzählungen? Wo kann man sie finden?
Das wäre toll, wenn Berlin ein Metatheater hätte, wo nur Theater übers Theaterspielen gespielt würde. Exemplarisch und experimentell für die Gesellschaft sozusagen. So eine Art heutiger Pirandello
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