Es ist schade um den Menschen!

von Annette Hoffmann

Basel, 21. September 2012. Im Theater Basel ist mitten im September der Frühling ausgebrochen. Denn, so Vincent Leittersdorf in Tomas Schweigens Inszenierung von August Strindbergs "Ein Traumspiel", es ist Frühling, weil die Spielzeit eröffnet wird. Auf Logik allein darf man sich in diesem Stück jedoch nicht verlassen. "Versuchen Sie nicht, etwas verstehen zu wollen, damit tun Sie uns und sich keinen Gefallen", sagt Mareike Sedl. Wenn das mal keine klare Ansage ist. Und trotzdem bricht im Theater Basel mit aller Macht der Frühling aus.

Seit dieser Saison wird das Schauspiel durch das Dreierteam Simon Solberg, Tomas Schweigen und Martin Wigger geleitet und geht gleich mit zwei Inszenierungen an einem Abend an den Start. Irgendwann wird auf eine der Pappwände, die in "Ein Traumspiel" als Gassen und Wände dienen, ein Plakat angeschlagen: "Heute Don Karlos 21.30 Uhr".

Diese Doppelpremiere kann man als Absichtserklärung verstehen. Denn mehr Dynamik kann das Schauspiel in der Stadt am Rheinknie durchaus brauchen, brav wie es sich in den letzten Jahren präsentierte. Dem Stadttheaterbetrieb etwas Frühlingsluft einhauchen soll nun auch Schweigens freies, inzwischen an das Theater Basel angedockte Ensemble Far a day cage.

Absurdes Potenzial

Ihre Version von Strindbergs Stück präsentieren sie mit viel Selbstironie und stellen dabei die Theatermittel aus. Mal ist das Saallicht an, dann steht Demian Wohler auf der Bühne neben dem Verfolger und schubst Jesse Inman in den Lichtkegel. Zuvor hatte er das Publikum aufgefordert: Mobiltelefone ausschalten und bitte nur hinter vorgehaltener Hand lachen. Da bedient der Regisseur die Nebelmaschinerie auch schon einmal selbst, tritt aber durchaus in die zweite Reihe zurück, wenn der Bühnenbildner Stephan Weber von einer großen Filmkulisse à la Ingmar Bergman träumt, auf der Bühne jedoch nur Pappstellwände stehen.

Strindbergs "Ein Traumspiel", mit dem der Doppelabend eröffnet wird, ist von episodischer Struktur. Agnes (Cathrin Störmer), Tochter des Gottes Indra, schwebt in großer Robe vom Schnürboden auf die Bühne des Kleinen Hauses (Kostüme: Anne Buffetrille), das Ensemble macht als veritable Band die Musik dazu. Agnes soll das Menschengeschlecht kennen lernen, dessen Muttersprache das Jammern ist. Sie begegnet einigen exemplarischen Schicksalen, darunter einem Advokat und einem Dichter. Doch der Sinn ihres Scheiterns bleibt verborgen.

Schweigen und Far a day cage kitzeln aus der Vorlage ihr absurdes Potential. Die Ideen wirken unaufwändig: so greift jemand zum Brotmesser, um eine Türe in die Pappe zu sägen. Wenn Agnes und der Advokat (Silvester von Hösslin) die kleinbürgerliche Enge ihrer Ehe beklagen, spinnen Mareike Sedl und Vera von Gunten die beiden auf einem Sessel sitzend in einen Kokon aus Frischhaltefolie ein, bis kein Durchatmen mehr ist. Eine der kurzweiligsten Szenen ist, wenn Agnes und der Dichter sich auf einem Sessel und neben einem Kühlschrank lümmeln, während die Projektion um 90 Grad gekippt von den größten Anstrengungen erzählt, die Schwerkraft zu überlisten. Dann sieht man viel von einer heiteren Spielfreude, die selbst Agnes' schwerblütige Mitleidslosung "Es ist schade um die Menschen" durchaus erträglich macht. Man muss sich dieses Traumspiel nicht als Alptraum vorstellen, darf sich auf intelligente Weise unterhalten fühlen und muss ganz bestimmt nicht hinter vorgehaltener Hand lachen.

Die dunkle Seite der Utopie

In Simon Solbergs Inszenierung von Friedrich Schillers "Don Karlos" im benachbarten Schauspielhaus ist der Frühling allenfalls als Tulpen-Liebesgrüße von Don Karlos (Paul Grill) an seine Stiefmutter Elisabeth (Judith Strössenreuter) präsent, die eigentlich ausersehen war, seine Frau zu werden, bevor sein Vater sie sich nahm. Ob er wirklich an die Nordsee will, wie vom Band "Die Ärzte" singen, ist nicht so sicher. Im besetzten Flandern, wo Karlos Statthalter werden soll, ist nicht gut Frühling oder gar Revolution zu feiern, solange in Spanien ein König Philipp oder ein Herzog von Alba herrschen. Der Krieg hat Dirk Gloddes Herzog von Alba versehrt, die Inszenierung zeigt ihn in einen Rollstuhl gezwungen. Er wird weitere Gewalt säen.

donkarlos3 560 JudithSchlosser uGläserne Diktatur: Don Karlos  © Judith SchlosserAuf Videoprojektionen sind die Erhebungen des arabischen Frühlings zu sehen: Demonstranten und Panzerkolonnen, die die Staatsmacht verteidigen. Wenn Schillers Drama der Monarchie eine Zivilgesellschaft freier Bürger entgegensetzt, ist Albas zwielichtiges Arbeitsethos, das Anspruch auf Herrschaft kann nur erlitten und nicht durch Geburt erlangt werden, die dunkle Seite dieser Utopie. Selbst die Bühnenarchitektur könnte von Alba entworfen sein. Ein System gläserner Container, irgendwo zwischen Kanzlerbungalow und Überwachungszelle bestimmten die Szene, vorne und hinten befinden sich zwei stählerne Ausgucke und direkt an der Bühnenkante ist ein Beet aufgeworfen, in das Don Karlos Tulpenzwiebeln setzt (Bühne: Simon Solberg). Sie bleiben der einzige Farbtupfer in einer Inszenierung, deren Ästhetik durch die Farbe Grau bestimmt ist.

Frühling in Basel!

Im Verlauf der gut 90-minütigen Inszenierung erlebt man einige pubertäre Häutungen von Don Karlos, am Ende sind Bart und Bauch weg. Und er wird jene Spannkraft haben, die er im klärenden Gespräch mit seinem Vater Philipp (Thomas Meinhardt) Anfangs noch vermissen lässt, das Solberg als Trainingseinheit in Boxmontur, lediglich durch einen Ficus voneinander getrennt, in Szene setzt. Jan Viethens Marquis von Posa ist der interessantere der beiden jungen Männer: ein kühner Stratege, leidenschaftlich in der Sache und doch nicht ohne Hybris. Einmal scheint er direkt aus einem der Videos vom "Arabischen Frühling" gefallen zu sein, das verletzte Demonstranten zeigt, die König Philipp Terroristen nennt. Inga Eickemeier zeigt eine sehenswerte Gräfin Eboli, die erst um die Gunst des Prinzen gurrt, dann ihre Lust in Rache verwandelt.

Simon Solbergs stark gekürzte Version des Don Karlos funktioniert in ihren Grundkonflikten erstaunlich gut, ist schlank und voller Energie. Nimmt man diese beiden Basler Inszenierungen programmatisch, darf das Publikum mehr Politik, aber auch mehr Experimente erwarten. Zunächst gilt festzuhalten, dass im Theater Basel wirklich mit aller Macht Frühling der Frühling ausgebrochen ist.

 

Ein Traumspiel
nach August Strindberg
Regie: Tomas Schweigen, Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Anne Buffetrille, Dramaturgie: Bettina Ehrlich, Licht: Demian Wohler, Musikalische Leitung: Martin Gantenbein.
Mit: Philippe Graff, Jesse Inman, Vincent Leittersdorf, Mareike Sedl, Cathrin Störmer, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Stephan Weber, Demian Wohler, Tomas Schweigen
Dauer: 90 Minuten ohne Pause.

Don Karlos
von Friedrich Schiller
Regie und Bühne: Simon Solberg, Kostüme: Sara Kittelmann, Dramaturgie: Eva Böhmer, Musik: Henrik von Holtum, Licht: Anton Hoedl, Video: Julian Gresenz.
Mit: Inga Eickemeier, Dirk Glodde, Paul Grill, Johannes Schäfer, Judith Strössenreuter, Jan Viethen, Thomas Meinhardt.
Dauer: 90 Minuten ohne Pause.

www.theaterbasel.ch

 

Kritikenrundschau

"Zwei sehr unterschiedliche Handschriften, zwei komplett verschiedene Theaterverständnisse, eine freie Gruppe und ein Stadttheaterensemble – da muss sich noch einiges zusammenfinden in Basel", schreibt Andreas Klaeui in der Neuen Zürcher Zeitung (24.9.2012) über die Baseler Saisoneröffnung. Zu Teil eins, Strindbergs Traumspiel: "Ein Türöffner: Das ist diese Produktion in jeder Hinsicht,"  "Eine Charmeoffensive, mit der sich Tomas Schweigen und seine Truppe 'Far a day cage' dem Basler Publikum vorstelle. Mehr noch als sonst überzeugt den Kritiker hier das "bewährte Prinzip von FADC", nämlich eine "hochkomplexe Anlage" "mit hinreissender Spiellust Schicht um Schicht vor dem Publikum" zu entfalten. "Schade um den Text", schreibt er dagegen über Solbergs "Don Karlos". Denn Schiller sei hier auf neunzig Minuten Pennälerwitze reduziert". Statt Reflexion gebe es "pubertäre Revolutions-Romantik (im, herrje, 'flandrischen Frühling') und viel szenische Kraftmeierei, die üblichen Überrumpelungstricks, ins Publikum blendende Scheinwerfer, dröhnender Soundtrack, Nebelkanonen". Die Fallhöhe nach Tomas Schweigens Strindberg findet Klaeui ernüchternd.

"Am Theater Basel ereignet sich im Schauspiel in dieser Saison eine fröhliche Okkupation", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (26.9.2012). Tomas Schweigen, ab sofort Co-Schauspielleiter, bringe seine Truppe gleich mit ans Haus, als Residenz-Künstler, "und das bedeutet gute Unterhaltung, auch wenn man danach nicht unbedingt klüger ist als zuvor". Das Publikum war bei der Eröffnungspremiere von "Traumspiel" begeistert. "Doch so abgedreht ist das Experiment, das im Moment der Aufführung zu entstehen scheint, dann gar nicht. Sondern eine Ansammlung vieler netter Theaterscherze. (...) Oft wird diskutiert, wie es weitergehen soll, alles ist flott und jugendlich frisch, aber halt auch nicht mehr." Solberg brauche für Schillers "Don Karlos" dann nur eine Stunde und 16 Minuten. "Seiner Fassung zum Opfer fällt vor allem die Inquisition und das spanische Hofzeremoniell, was zunächst nicht weiter verblüfft bei einem Regisseur, der aus jedem Stück, das er in die Finger kriegt, versucht, phantasievolle Spielanleitungen für Gegenwartsfiguren zu basteln. So auch hier.“ Flandern ist der Irak oder Afghanistan, die einschlägigen Kriegsbilder flackern durch den Raum. Dass aber Solberg vor diesem Hintergrund die Diskussion der Religion gänzlich eliminiere, "wirkt feige, so scharf er sonst denkt".

 

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