Kein Thema

27. September 2012. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25.9.2012 berichtet Reinhard Veser von György Dörners erstem Streich als Direktor des Neuen Theaters in Budapest. Die Unruhen, die der Ernennung des rechtsradikalem Gedankengut Nahestehendem gefolgt seien (nachtkritik.de berichtete), seien wieder aufgeflammt, "seit bekanntgeworden ist, was Dörner in diesem Herbst spielen lassen wollte: 'Der sechste Sarg' von István Csurka." Csurka, Theaterautor und zu der Zeit Chef der rechtsextremen Partei MIEP sollte das Neue Theater ursprünglich zusammen mit Dörner leiten, wurde aber nach heftigen Protesten von der Kandidatenliste gestrichen und starb fast gleichzeitig mit dem Amtsantritt Dörners Anfang Februar dieses Jahres, 77 Jahre alt.

In Csurkas Stück "Der sechste Sarg" gehe es, so Veser in der FAZ, um einen jungen Ungarn, der gemeinsam mit seinem beim Aufstand von 1956 getöteten Großvater in die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg reise, um herauszufinden, wie es zu dem für die Ungarn bis heute traumatischen Vertrag von Trianon kam, durch den das Land 1920 zwei Drittel seines Territoriums und mehr als die Hälfte seiner Bewohner verlor. "Sie finden heraus, dass die Verhandlungen über die Grenzziehungen im Hintergrund von Juden gesteuert wurden – und ohne diese von Juden verursachte Schwächung Ungarns wären, so die These des Stücks, auch die anderen Katastrophen nicht möglich gewesen, die das Land im weiteren Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts heimgesucht haben." In diese Handlung passe, so Veser, dann irgendwie auch noch die alte antisemitische Wahnidee, der Holocaust sei in Wirklichkeit von der jüdischen Finanzwelt angestoßen worden.

"Das alles entspricht ungefähr dem, was Csurka seit dem Ende der kommunistischen Diktatur als Politiker und Publizist vertreten hat." Auch dass Dörner versuchen würde, Csurka auf die Bühne zu bringen, sei zu erwarten gewesen. In seiner Bewerbung um den Direktorenposten am Neuen Theater habe Dörner, "der bis dahin nur als Schauspieler und ungarische Synchronstimme von Mel Gibson bekannt war", Csurka als den "geistigen Vater" dieser Kandidatur bezeichnet und angekündigt, ihn zu einer Art Überintendanten des Hauses zu machen.

Budapests Oberbürgermeister István Tarlós habe nach der Entscheidung für Dörner allein jedwede Mitarbeit Csurkas am Neuen Theater verboten, schreibt Veser, und betont, er "werde es nicht dulden, wenn das Haus zu extremistischen politischen Zwecken missbraucht werde. Beim ersten Vorfall werde es eine Verwarnung geben, sagte Tarlós dieser Zeitung Anfang des Jahres, dann folge eine Reaktion, die ganz Europa überzeugen werde."

Tatsächlich habe es in Sachen "Der sechste Sarg" nicht ganz eine Woche gedauert, bis Tarlós bekanntgegeben habe, Dörner habe ihm versichert, dass das Stück nun doch nicht gespielt werde. "Tags darauf verletzten Sympathisanten des Theaterdirektors nach einer Kundgebung linker Gruppen vor dem Theater einen der Demonstranten mit Schlägen." Auf die Frage nach weiteren Schritten habe Tarlós der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dann geantwortet: "Das Neue Theater ist momentan kein Thema in Budapest. Wir haben schwerwiegendere Probleme zu bewältigen."

(sd)

Mehr zu den Protesten gegen die Kandidatur Csurka/Dörner und György Dörners Ernennung zum Direktor des Neuen Theaters findet sich hier, hier und hier.

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