Theater als Frage der Kohärenz

28. September 2012. Stephan Kimmig wird am 2. Oktober am Deutschen Theater Yasmina Rezas neues Stück Ihre Version des Spiels zur Uraufführung bringen. Es ist die dritte Uraufführung eines ihrer Stücke in Deutschland, wo man an den Theatern die Dinge gern auf die Spitze treibe. "Das stört mich an sich nicht, es gibt keine gute und schlechte Ästhetik. Es ist nur eine Frage der Kohärenz", sagt Reza im Interview mit Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung

 

 

Wenn ich schreibe, bin ich kurzsichtig, ist das Interview betitelt. Damit meine sie, die Welt nicht mit Soziologenblick zu sehen. "Mein Blick reicht nur bis zu meiner nächsten Umgebung." Etwas von ihr stecke immer in ihren Figuren. Die Nähe zur Hauptfigur ihres neuen Stücks, in dem eine Schriftstellerin interviewt werde, sei ist offensichtlich. "Das Interview ist ein sehr modernes Phänomen", so Reza, "es ist ein Spiel, in dem jeder eine Rolle spielt. Das ist kompliziert, ein bisschen lächerlich und zugleich ziemlich interessant. (...) Diese Situation erlaubt ein Verstellungsspiel, wie in meinen früheren Stücken. Und das 'Ich' ist in diesem Stück sehr relativ zu verstehen."

Luc Bondy wollte das Stück zunächst in Wien, dann in Paris herausbringen, unbedingt mit ihr selber in der Rolle der Nathalie. "Das ging nicht. Die Journalistin Rosanna: ja. Aber nicht Nathalie. Was hätte das gebracht? Ich hätte mich wohl selber gelangweilt."

Nun wird das Stück in Berlin uraufgeführt, für Reza weder Trostpreis noch eine Revanche. Deutschland sei für sie absolut erstrangig. "In einem Interview sagte Woody Allen einmal, er werde Frankreich auf immer lieben, weil es wie kein anderes Land sein Werk aufgenommen habe. Dieses Land ist für mich Deutschland." Die deutsche Kritik habe ihre Stücke sofort zur Kenntnis genommen, "nicht immer positiv, aber immer aufmerksam und gründlich. Man hat meine Texte in großen Häusern mit großen Regisseuren und Schauspielern gespielt".

Jedes Land bringt über Kostüme, Bühnenbild und Spielweise Züge seiner Kultur ein. "Die Deutschen gehen manchmal weit im Krassen und Lauten, bis hin zu Ekel und Trash. Man treibt die Dinge gern auf die Spitze. Das stört mich an sich nicht, es gibt keine gute und schlechte Ästhetik." Jürgen Goschs Inszenierung von "Der Gott des Gemetzels" habe ihr sehr gefallen. "Ich habe das Stück in Paris selber allerdings ganz anders inszeniert, in einer wohl eher französischen Art der Zurückhaltung und Andeutung."

Zu Beginn von "Ihre Version des Spiels" erinnere sie an die notwendigen, im Text nicht angegebenen Momente von Stille. Für Reza seien die schönsten Schweigemoment in der Theaterliteratur bei Tschechow zu finden. "Dieser Autor ist ein Genie des Schweigens. Seine Situationen, wo die Worte stocken und das Schweigen den Raum füllt, sind für mich die schönsten Momente des Theaters."

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