Presseschau vom 29. Oktober 2012 - Die Berliner Zeitung berichtet über ein baldiges neues Finanzloch der Berliner Opernstiftung und die andere Realität des Tarifs NV Bühne
Theater-Gehalts-Schere
31. Oktober 2012. Jüngst monierte der sächsische Rechnungshof, dass der Dirigent Ricardo Chailly vom Leipziger Gewandhaus ein "nicht nachvollziehbares" Gehalt beziehe. Wie aber die andere Realität des Normalvertrags Bühne aussieht, das hat Birgit Walter vor zwei Tagen in der Berliner Zeitung zusammengefasst.
Denn der NV Bühne ist zwar nach oben hin aushandelbar, schreibt aber auch nur eine Mindestgage von 1600 Euro vor, nur einen freien Tag pro Woche und keine unbefristete Anstellung. Das gilt für Sänger, Tänzer, Schauspieler, aber mittlerweile auch für immer mehr "Grenzberufe" wie Maskenbildner, Requisiteure, Beleuchter und Bühnenmeister. Der Bühnenverein verteidigt diese Handhabung, argumentiert mit dem Flexibilitätsdruck der Theater und der Freiheit der künstlerischen Arbeit und verweist darauf, "dass Künstler in Deutschland froh sein könnten, überhaupt Jahresverträge mit 1600-Euro-Gehältern zu bekommen, das gebe es in anderen Ländern nicht." Rolf Bolwin wird wie folgt zitiert: "Wenn man Tarifbedingungen für Künstler nicht flexibel gestaltet, fordert man die Theater zur Tarifflucht heraus. Sie werden dann ihre eigenen Lösungen finden, etwa, indem sie den Künstlern nur noch Projektverträge anbieten wie in anderen Ländern. Damit ist niemandem gedient."
Nein, nein, nein, es ist nicht gerecht, sagt Walter, dass die Darsteller auf der Bühne schlechter behandelt werden als die dahinter und fragt: "Aber wünscht man sich deswegen Zustände wie in der freien Theaterszene, wo sich die Selbstausbeutung grundsätzlich unterhalb der Armutsgrenze abspielt?"
Wie das kommende 19-Millionen-Euro-Loch, das der Berliner Opernstiftung ab 2014/15 droht, gestopft werden kann, weiß auch noch niemand, so Tenor des Texts. Aber dass es kommt, sei angesichts der angekündigtem Tarifsteigerungen klar.
(sik)
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die pervers niedrige mindestgage macht es ja überhaupt erst möglich, dass die häuser ausschliesslich auf kosten der ausführenden künstler sparen während der rest des aufgeblasenen apparates seltsamerweise ganz anständige gehälter verdient.
wenn künstler nicht besser bezahlt werden, werden die guten bald nicht mehr am theater arbeiten.
weil es für menschen mit ein wenig verstand noch andere möglichkeiten gibt geld zu verdienen. wenn man seine berufliche laufbahn mit einem gehalt von 1600 euro begint, sind selbst bei regelmässigen gehaltssteigerungen(die man ja erst aushandeln muss), kaum gagen erzielbar mit denen man eine familie gründen kann.sollen schauspieler sich also nicht mehr fortpflanzen?
oder sollen kinder von schauspielern generell mit hartz 4 aufwachsen?
ist das der stellenwert des künstlers in diesem land?
warum verdient der mann, der dem schauspieler die kulisse baut, so immend viel mehr?
ist seine arbeit wertvoller? ich würde das wirklich gern verstehen.
Eine Richtigstellung muss an dieser Stelle erlaubt sein: Herr Bolwin ist nicht der Vertreter der Künstler, sondern steht auf Seite der Arbeitgeber, also der Stadt- und Staatstheater und deren Rechtsträger. Aus dieser Perspektive muss sein Zitat dann auch gelesen werden. Der Verband für die Arbeitnehmerseite ist wiederum die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA).
Und, @schauspieler, tatsächlich wäre es hilfreich, wenn die künstlerischen Angestellten ebenfalls einen Weg finden, beispielsweise in der GDBA, gemeinsam und dadurch mit sehr viel mehr argumentativer Kraft, sich für ihre Interessen einzusetzen. Denn die Egozentrik des Künstlers und daraus resultierende Skepsis gegen jede Art von organisierter Vertretung, verhindert leider auch entsprechende Schlagkraft, beispielsweise in Tarifverhandlungen.
dennoch bitte auch sagen: 1600.- ist das einstiegsgehalt. nach drei bis vier jahren sind 1900.- und mehr die regel (ausnahmen bestätigen das).
der bezahlte urlaub beläuft sich auf 45 tage! und die probenzeiten sind meistens durch hausvereinbarungen festgelegt (10-14, 19-22, zb). so dass ein mindestmass an berechenbarkeit gegeben ist, auch wenn der tagesplan erst einen tag vorher bekanntgegeben wird.
an vielen theatern wird darauf geachtet, dass freie tage, zumindest einer pro woche, vorkommen.
in probenphasen kommen manchmal gerne 40 bis 55 stunden pro woche zusammen (proben plus vor- und nachbereitungen, textlernen, etc.). aber dagegen muss fairerweise eingeräumt werden, dass es auch beschäftigungsarme zeiten gibt, in denen nicht geprobt sondern nur abends gespielt wird. da ist ein spieler dann auch mal nur 9 stunden pro woche auf arbeit.
über ensemblesprecher gibt es mitwirkungsmöglichkeiten in leitungsdingen, die gar nicht mal so ohne sind.
stadt- und staatstheater: hartes brot. aber sklaverei ist was anderes.
schauspieler: organisiert euch endlich mal. dann wirds auch was.
nicht an jedem Theater ist es möglich den Schauspielern einen freien Tag pro Woche zu gönnen, nicht überall gibt es tatsächlich richtige "probenfreie" Phasen (denn an einigen Häusern ist es nicht mit 4-5 Premieren pro Spielzeit und Schauspieler getan). Das nur dazu. Dazu das Intendanten im Verhältnis zu Ihren Arbeitnehmern vielerorts wahrscheinlich zu viel verdienen - insbesondere in Zeiten in denen es immer häufiger auch darum geht ob überhaupt Theater oder nicht - sag ich jetzt nichts mehr.