Lebenslänglich für Cassius

von Sophie Diesselhorst

3. Januar 2013. "Jetzt ist aber Schluss", sagt der eine Wärter zum anderen. "Jetzt müssen sie  wieder rein." Die beiden stehen in einer Galerie und schauen hinunter auf einen der Höfe im Gefängnis Rebibbia (bei Rom). Dort unten schüttelt Antonius gerade die blutigen Hände der Verschwörer um Brutus und bittet darum, Julius Caesars Leiche aufs Forum bringen zu dürfen. "Lass sie doch die Szene noch zu Ende spielen", sagt der angesprochene Wärter. Während Antonius also, nun alleine mit Caesars Leichnam, einen Racheplan ausheckt, kommt oben noch ein dritter Wärter hinzu, der die anderen beiden darauf aufmerksam macht, dass "sie" jetzt wieder reinmüssen. Auch er lässt sich dann aber vom Spiel im Hof faszinieren, es folgt oben auf der Galerie noch eine kleine Diskussion darüber, ob Antonius ein sympathischer Charakter ist ("Ja, er ist doch kulant") oder nicht ("Er ist ein Hurensohn!").

Caesar im Hochsicherheitstrakt

Der, der Antonius spielt und gleich wieder rein muss, ist einer der in Rebibbia einsitzenden Häftlinge – im Hochsicherheitstrakt, also: schweres Verbrechen begangen, lange Haftzeit. Mit einigen dieser Insassen inszeniert der Theaterregisseur Fabio Cavalli Shakespeares "Julius Caesar". Die Brüder Taviani haben sich eingeklinkt und aus den Aufnahmen der Vorbereitungen und Proben auf dem Gelände des Gefängnisses einen "Film im Theater im Gefängnis" gemacht. "Caesar muss sterben" beginnt mit einem Ausschnitt aus der Theateraufführung, mit der das Theater-Abenteuer für die Insassen endet; nach dem Applaus werden sie von Wärter in ihre Zellen abgeführt. Dann wird der Film schwarz-weiß, und das Abenteuer wird von vorne erzählt.

Caesar5 560 filmstill uBeim Casting © Filmstill/Camino Filmverleih

Es beginnt mit einem klassischen Casting, bei dem die Kandidaten dazu aufgefordert werden, ihren Namen, Geburts- und Wohnort einmal weinend und einmal wütend herzusagen. Es werden nur die Castings derjenigen gezeigt, die es dann auch in die Theatergruppe schaffen. Ihre Motivation ist hoch, im Hochsicherheitstrakt gibt es sonst auch nicht viel zu bearbeiten außer der eigenen Vergangenheit. Für die Vergangenheit ihrer Spieler interessieren die Brüder Taviani, die für "Caesar muss sterben" übrigens den Goldenen Bären der Berlinale 2012 erhalten haben, sich im wörtlichen Sinn überhaupt nicht. Einmal, als nach dem Casting die Rollen vergeben werden, wird zu jedem der Spieler kurz eine Angabe wie "26 Jahre. Mord" aufgeblendet. Ansonsten menschelt es nur im Rahmen der Proben mal, wie überall im Theater; die Spuren, die dabei gelegt werden, werden aber nicht weiterverfolgt.

Kunstanstrengung statt Gefangenenarbeit

Die allgemeine Konzentration ist stattdessen ganz bei Shakespeares Figuren. Brutus-Darsteller Salvatore Striano avanciert zur heimlichen Hauptfigur des Films: Wie er sich ins Porträt von Brutus' Zerrissenheit zwischen Loyalität zu seinem Mentor Caesar und Mordkomplott im Sinn von Rom und seinen Bewohnern derart hineinstürzt, dass man irgendwann das Gefühl bekommt, aus seinem Mund könnten hinfort nur noch Shakespeare-Sätze kommen, so macht er sich die Sprache zueigen, so gespannt wirkt er auch dann, wenn er selbst gerade nicht im Mittelpunkt steht. So ernst ist es ihm mit dem Spiel.

Caesar2 560 filmstill uBrutus-Darsteller Salvatore Striano (l.) während der Proben - hier mit dem Darsteller des Julius Caesar © Filmstill/Camino Filmverleih

Die Ernsthaftigkeit nicht nur des Salvatore Striano, sondern auch seiner Mitspieler und des Regisseurs und natürlich der Brüder Taviani, die diesen "Julius Caesar" eben als Kunstanstrengung nehmen und nicht als Arbeit mit Gefangenen, überträgt sich: Auf die Wärter, die sich anstecken lassen von den Proben, für die das ganze triste Gefängnisgelände mit seinen Gängen, Zellen und Höfen als Bühne genutzt wird – sogar ein Forum Romanum findet sich hier. Und auch auf den Filmzuschauer. Shakespeares Text, den auf Anweisung des Regisseurs jeder der Spieler mit seinem Dialekt einfärbt, wird vom Theater befreit – so paradox das, über eine Inszenierung hinter Gittern gesagt, klingen mag.

Caesar4 560 filmstill uDie abschließende Theateraufführung © Filmstill/Camino Filmverleih

Dieses Paradox bekommt am Ende doch auch noch einen Raum. Es werden noch einmal Teile der Theateraufführung gezeigt – das Bild ist wieder farbig, wir sind in der Gegenwart angekommen. Auch in der erweiterten Realität, die für Cosimo Rega eben so aussieht, dass er, nachdem er sich als Cassius nach der verlorenen Schlacht bei Philippi in sein Schwert gestürzt hat, quicklebendig, aber als "Lebenslänglicher", wieder in eine Zelle gesperrt wird. "Seit ich weiß, was Kunst ist, ist diese Zelle ein Gefängnis geworden", sagt er, der schon an mehreren von Fabio Cappellas Gefängnis-Theater-Projekten teilgenommen hat. Die Freiheit, auch die der Kunst, sie ist ambivalent. Und wird von diesem Film in all ihrer Ambivalenz gepriesen.

Caesar muss sterben
Regie und Buch: Paolo und Vittorio Taviani, Kamera: Simone Zampagni, Musik: Giuliano Taviani, Carmelo Travia.
Mit: Cosimo Rega, Salvatore Striano, Juan Dario Bonetti, Giovanni Arcuri, Antonio Frasca u.a.
Dauer: 76 Minuten

www.caesarmusssterben-film.de

 

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