Über den roten Teppich nach Korinth

von Georg Patzer

Berlin, 24. Januar 2013. Eigentlich ist Medea eine der schönsten Frauenrollen in der Theatergeschichte, eine Zauberin und Barbarin, verliebt sich in ihren Feind, hilft ihm, den kostbarsten Besitz ihres Vaters zu stehlen, folgt ihm in die Fremde. Bringt ihren Schwiegervater um und sogar lieber ihre Kinder, als dass sie sie im Haus der barbarischen Griechen lässt. Eine vielschichtige, in viele Richtungen deutbare Rolle, psychologisch, mythologisch, soziologisch: Denn Medea ist eine verlassene Ehefrau, eine enttäuschte Geliebte, eine Verbannte in einem fremden Land, eine Nicht-Dazugehörige.

In Karlsruhe wurde jetzt der dritte Teil von Grillparzers "Das Goldene Vlies" inszeniert, nachdem bereits die ersten beiden Teile zu Anfang der ersten Spielzeit des neuen Intendanten Peter Spuhler aufgeführt wurden. Aber die Inszenierung hinkt der Vielschichtigkeit ihrer Figur hinterher, und selbst die Haupt- und Titelrolle blieb so blass, dass man sich doch wieder fragt, was einem "Medea" eigentlich sagen soll.

Das Stück ist in Karlsruhe in einem Irgendwo angesiedelt, mit Ledersofas und -sesseln, ein paar Partytischchen und einem Kühlschrank, die weiter keine Rolle spielen, mit  englischsprachiger Popmusik und einer historisch belassenen Sprache. Geschickt wird immerhin die Grenze zur Stadt Korinth angedeutet, zu der es mitten durch den Zuschauerraum über einen roten Teppich geht.

Anpassung oder Selbstverleugnung?

Die Regisseurin Mareike Mikat weiß aber leider nicht, welche Geschichte sie uns erzählen will: Medeas Ehegeschichte mit Jason, der sich plötzlich in eine Sicherheit flüchten will, die ihm Kreon bietet? Das kommt in Karlsruhe derart unvermittelt, dass man sich wundert, was in ihn gefahren ist. Das Leben von Emigranten in einem fremden Land, in dem sie nicht akzeptiert werden, was die Koffer und Plastiktüten und der Teppich zeigen sollen, mit denen sie in die Stadt einziehen. Oder ist es psychologisch zu sehen als Medeas Versuch der Anpassung und Selbstverleugnung? Da gibt es eine kurze Szene, in der Medea versucht, so zivilisiert zu tanzen wie Jasons Jugendfreundin Kreusa, was sie aber nicht kann, weil sie eben Medea ist, die Barbarin. Oder, oder, oder? Der Programmzettel zählt noch auf: "Geschlechterkampf und Rassismus ebenso wie Gewalt und ihre Legitimation oder ihr Ursprung".

medea 560a markuskaesler uMedea in Karlsruhe © Markus Kaesler

So schwankt die Regie zwischen all diesen Geschichten hin und her und erzählt keine richtig. Und lässt damit ihre Schauspieler ziemlich allein. André Wagner als Jason hatte einige starke Momente, Stephanie Biesolt als dauergrinsende Kreusa in Pink und Shari Crosson als Sekretärin wirken heillos überfordert, Eva Derleder als Kreon im dunkelgrauen Anzug ist heillos unterfordert und muss dann schon mal über die Sessel hüpfen, Thomas Halle spielt Medeas Kinder (eines davon als dunkelhäutige Puppe – Rassismus!) allerdings recht differenziert.

Zwischen Extremen

Aber ausgerechnet Medea bleibt eindimensional. Sascha Özlem Soydans Rolle ist nirgendwo richtig durchgestaltet, auch sie schwankt zwischen den Extremen, ist selbstbewusst, brüllt und tobt, versucht mit ungelenken Bewegungen, Jason noch einmal zu verführen, bis sie am Schluss ihren Abschied so leise spricht, dass man sie schon in der sechsten Reihe kaum noch verstand.

Die Konflikte zwischen Jason und Medea oder zwischen Medea und Kreusa, die Unschlüssigkeiten Jasons werden nicht entwickelt oder ausgespielt, sondern eher aufgesagt, weil es keine richtigen Beziehungen gibt, kein Gefühl für die Wandlungen oder die Brüche, nur grobe Symbole. Besser wurde es auch nicht durch die Idee, ausgerechnet die Wahnsinnsszene am Schluss, in der sich eine Medea-Schauspielerin so recht beweisen könnte, nicht zu inszenieren, sondern vorher aufzunehmen und wild zusammengeschnittene Schnipsel einzuspielen und dazu Text von den Schauspielern im Chor sprechen zu lassen.


Medea
Trauerspiel von Franz Grillparzer
Regie: Mareike Mikat, Ausstattung: Simone Manthey, Dramaturgie: Kerstin Grübmeyer.
Mit: Sascha Özlem Soydan, Eva Derleder, Stephanie Biesolt, André Wagner, Shari Crosson, Thomas Halle.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause.

www.staatstheater.karlsruhe.de

Kritikenrundschau

Judith von Sternburg schreibt in der Frankfurter Rundschau (26.1.2013): Mikat bringe ihr "ehrgeiziges Projekt"- alle drei Teile des Grillparzerschen Goldene Vlies' an zwei Abenden aufzuführen - nur "recht bescheiden" zu Ende. Wenn Medeas Söhne die Vorgeschichte rekapitulierten, habe dies den Charakter "einer Kinderfernsehsendung". Wenn danach in einer "Art Hotelhalle" die Flüchtlingsfamilie auf die "straffen adretten Griechen" träfen, wirke eine Fremde ungefähr so "wie eine Unterschichten-Mama", obwohl Sascha Özlem Soydan "das" engagiert spiele und "eine Portion Eigenartigkeit" dazu gebe. Überhaupt mache Mikat viel zu wenig aus dem starken Karlsruher Schauspielensemble, der Jason etwa des sonst so dominierenden André Wagner bleibe eine Leerstelle bleibt. "Recht dürre hundert Minuten, mitten aus der üppigsten Theaterliteratur gegriffen".

Andreas Jüttner findet in den Badischen Neuesten Nachrichten (26.1.2013) noch bevor jemand den Mund aufmache, vermittele die Simone Mantheys Ausstattung "schlagend die Aktualität des Stoffs". Im Kern stehe eine Flüchtlingsgeschichte. Grillparzer mache Medea als Opfer kenntlich, "das in den Schmerzensirrsinn getrieben wird". Und Mikats Inszenierung stehe "ganz auf der Seite der Titelfigur". Kreons Hof sei ein "Hort des opportunistischen Erfolgsdenkens", da sei kein Platz für "eine, die wuschelköpfig einherstapfend auf ihrem Selbst beharrt". Sascha Özlem Soydan punkte, indem sie sich auf Andeutungen beschränke, "welche eruptive Energie in dieser Figur steckt". Als blutige Rächerin sei Medea nur auf projizierten Filmbildern zu sehen, was die Assoziation zulasse, "dass auch der Kindermord eine Projektion der anderen auf Medea ist". Mikat lasse dem Dialog und den Schauspielern viel Raum. Neben Soydan gewinne Eva Derleder als Kreon Präsenz. André Wagner gebe dem "selbstmitleidigen Draufgänger Jason zwar physisch Statur", kippe aber sprachlich ins "wohl lässig gemeinte Nuscheln".

 

 

Kommentare  
Medea, Karlsruhe: positiver Rassismus
ach herr patzer, nun haben Sie doch bei ihrer kritik von den ersten beiden teilen der trilogie (der gastfreund/die argonauten) bemerkt, dass diese art von theater in karlsruhe nix für Sie ist. (…) dass Sie sich nun noch in den dritten teil setzen müssen. ich fand Ihr buch "kleine geschichte der stadt karlsruhe" so toll... bleiben Sie doch bei diesen leisten. die hauptfigur medea in dieser inszenierung wird von der postmigrantischen schauspielerin sascha özlem soydan verkörpert und Sie unterstellen aufgrund einer schwarzen puppe, die einen sohn medeas darstellt rassismus. sind für Sie in ihrer weißen welt schwarze puppen an sich schon raassistisch oder sahen die söhne medeas nicht der eine aus wie die mama und der andere aus wie der papa. für mich sind solche unterstellungen wie Ihre sogenannter positiver rasissmus und zeugen auch von wenig sachkenntnis des grillparzerschen stoffes, der vielleicht unter heutigen gesichtspunkten rassistisch ist aber eben damals so geschrieben wurde.
Medea, Karlsruhe: Welcher Kühlschrank?
Welcher Kühlschrank? Kann jemand, der einen Kühlschrank sieht, wo keiner ist und dann auch noch kritisiert, daß ihn sonst niemand sieht (oder bespielt) überhaupt adäquat Theater beschreiben?
Medea, KA: soziale Brisanz ignoriert
Mich wundert, wie der Kritiker die soziale Brisanz, die Mikat eindeutig auf die Bühne stellt, systematisch ignoriert. Wer flüchtet, gerät an den Rand der Gesellschaft und hat weder Einfluss noch Geld um das Recht zu stellen. (siehe das Letzte Protestcamp in Berlin) Eine Problematik, die gerade auch weltweit Kriege schürt oder Menschen ins Unglück stürzt - leidtragend sind dabei Generationen, die nicht Ursache der Ereignisse sind - oft also die Kinder. Sie werden zum Spielball von Wohlstand und Rhetorik.Ich war sehr angetan von dieser Interpretation.
Medea, Karlsruhe: überzeugend und schlüssig
Hatte die erste Vorstellung nach der Premiere besucht und war von der Inszenierung und dem Ensemble sehr beeindruckt.Insbesondere Medeas verzweifelter Kampf gegen ihren vorauseilenden Ruf und ihr gescheiterter Anpassungsversuch als auch Jasons Motive für seine Trennung von Medea wurden für mich überzeugend und schlüssig dargestellt. Mit ihren Bezügen zur Gegenwart taten das Bühnenbild (Wartesaal, Treppe), die Kostüme und die geschickte Musikauswahl ihren Beitrag für einen für mich sehenswerten Abend.
Medea, Karlsruhe: Prädikat sehenswert
Ich hatte meine Karten schon länger gekauft und wollte am Sonntag nun in das Stück....las dennoch die Kritik hier vorher.
Tatsächlich fand ich nur wenige der Kritikpunkte von Herr Patzer in diesem Stück wieder (geschweige denn einen Kühlschrank) und war mit meiner Begleitung von der LEISEN Intensität, mit der Medea spielt, begeistert.
Die finale Tötung der Kinder muss doch nicht immer in schrecklichen Bildern erzählt werden!
Bis auf den tatsächlich etwas nuschelnden Jason echt ein tolles Stück. Prädikat: SEHENSWERT!
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