Verkehrsberuhigte Zone

von Tim Schomacker

Osnabrück, 8. Februar 2013. Verdeckt man Brustwarzen kreuzweise mit Klebeband, liegen Burleske und Protest nah beieinander. Tierrechte, Prostitutionskritik, Krebsvorsorge: Vermehrt taucht der nackte weibliche Körper auch in Protest- oder Kampagnenzusammenhängen auf. Einserseits hat er es als Kritikträger schwer in der durchsexualisierten, kapitalistischen Landschaft, kann sich jedoch andererseits – wie jüngst die so genannten Slut Walks oder ganz aktuell die Berlinale-Berichterstattung zeigen – der Aufmerksamkeit stets sicher sein. Selbst während des konzertiert verweigerten Beischlafs kenianischer Frauen im Bürgerkrieg im Jahr 2009 mochte der Boulevard von "Bild" bis "Spiegel" nicht verzichten auf die auflagemachende Alliteration: "Sex-Streik". Auch bei Rebekka Kricheldorf, die Aristophanes' Lysistrata-Stoff nun beherzt in die Gegenwart zerrt, hat die Macht im Staat nicht nur wer das Bett, sondern auch wer mit Signalreizen die Medienmaschine in Gang zu setzten versteht.

lysistrata hoch UweLewandowski u"Es wird kein Mann mehr seinen Speer... !"
© Uwe Lewandowski
Schwur unter der Discokugel

Ein Fernsehstudio. Eine politische Talkshow wird aufgezeichnet. Das Publikum spielt das Publikum, wird vom Aufnahmeleiter nach Geschlechtern getrennt auf zwei einander gegenüber stehende Tribünen verteilt. Auf rollbarer, mit alten Computergehäusen möblierter Bühne umreißen der Moderator (Alexander Jaschick spielt ihn nach offensichtlich ausgiebigem Markus-Lanz-Studium mit staatstragender Eckigkeit) und Oliver Meskendahls jovialer Verteidigungsminister die aristophanische Ausgangssituation: Der Krieg ist im 21. Jahr festgefahren. Beide Seiten glauben an "die technische Überlegenheit unserer Waffen", beide Seiten erwarten "zeitnah die Kapitulation" der anderen. Die Kampfhandlungen wurden ausgesetzt: "Soldaten an der Front!", ruft der Verteidigungsminister in die Kamera, "Heute Abend ist es soweit: Ihr dürft endlich nach Hause. Habt eine schöne Waffenruhe!"

Die Halbinsel Peloponnes, bei Kricheldorf umschließt sie ganz offenbar ein Meer aus Kakao, durch das aller Heldenmut, alle Ruhmestaten gehörig gezogen gehören: der nach ihr benannte Krieg als universelle Urgroßmutter aller Schlachten. Schweigen Schwert und Panzer auf Zeit, hört die Titelheldin ihr Stichwort. Sie schart die Frauen des Landes um sich, sämtlich ausgezehrt von jahrelanger Heimatfront. Nimmt ihnen unter schnapsgefüllter Diskokugel den Schwur ab, die Kampfzone auszuweiten auf den eigenen Körper, sich ihren Gatten und Gefährten zur Erzwingung des Friedens sexuell zu versagen. Der Feind habe die Dildofabrik platt gemacht, jammert eine Soldatenfrau, man "findet nicht einmal mehr einen Hausfreund", klagt die andere. Monika Vivells Lysistrata hat so ihre Mühe, die kriegsbedingt enthaltsamen Damen – und das ist nicht als erotische Anspielung gemeint – bei der Stange zu halten. "Es wird kein Mann mehr seinen Speer..." Weiter kommt sie nicht, weil immer eine losprustet. Eine andere tanzt, rhythmisch "End-lich Waf-fen-still-stand!" singend und die Hüften schwingend, herum.

Singende Friedensamazonen verordnen Sexentzug

In Marie Bues' Uraufführungsinszenierung geht es derb zu und grell. Männer staksen, sich das Gemächt haltend, durch die Gegend; untrügliches Zeichen der guten Erfolgsaussichten von Lysistratas Strategie, mit ihrer feindlichen Doppelgängerin Lampito (Andrea Casabianchi als Großraumdiskobraut mit knallroter Perücke und in hinreißend blödem Kauderwelsch) den Bund der verweigerten "ehelichen Pflichten" zu schließen. Frauen, die die Medienmacht übernehmen, zunächst aber nicht wissen, wie das geht: Propaganda. "Es folgt ein patriotischer Aufruf", setzt Lysistrata sitzend an, bricht ab, "Moment", stellt sich hin, drückt den Rücken durch, eine Mitstreiterin an jeder Seite; sie präsentieren den Streikaufruf in der Manier einer Werbe-Kochsendung: "Kann ich das auch?" "Gut, dass du fragst..."

Das Ensemble folgt Kricheldorfs und Bues' Groteske herzlich gern. Schön die konkurrierenden Chöre der Alten auf entgegengesetzten Videoleinwänden, Männer links, Frauen rechts. Schön, wenn – nachdem sie sich obenrum entblößt hatten, die Brustwarzen kreuzweis überklebt, den Verteidigungsminister in die Enge zu treiben – Monika Vivell sich angestrengt das Oberteil wieder überstreift und dabei ins Publikum (Männertribüne) murmelt: "Finden Sie mal einen halterlosen BH in meiner Größe..." um anschließend Luftballons als Busenattrappen zu verteilen. Schön, wenn der Minister, umgarnt und festgezurrt von den "We Shall Overcome" singenden Friedensamazonen, ruft: "Ja... kenn ich... ich war auch mal bei den Grünen" und genervt für einige geleierte Silben einstimmt.

Nur eine Frage beantworten Bues und Kricheldorf nach anderthalb durchaus unterhaltsamen Stunden nicht: Warum sie – Aristophanes hin oder her – derart an längst aufgeweichten Geschlechterrollen kleben. Der Sexentzug führt hier zwar zum Ziel – ob die befriedeten Herren hernach allerdings mal selber putzen (oder im nächsten Krieg die Frauen Panzer fahren lassen), ist mehr als fraglich.

 

Lysistrata (UA)
Rebekka Kricheldorf nach Aristophanes
Inszenierung: Marie Bues, Bühne: Blanka Rádóczy, Kostüme: Claudia Irro, Blanka Rádóczy, Video: Florian Rzepkowski, Dramaturgie: Stefanie Eue.
Mit: Clemens Braun, Johannes Bussler, Andrea Casabianchi, Rosemarie Fischer, Catrin Flick, Maria Goldmann, Alexander Jaschick, Oliver Meskendahl, Sabine Osthoff, Monika Vivell.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-osnabrueck.de

 

Kritikenrundschau

In der Neuen Osnabrücker Zeitung (11.2.2013) stellt Christine Adam zwar fest, dass "die empfindliche Motorik der Komödie mal quietscht und eiert", doch wer es zulasse, dass er auf "einem Niveau hart an der Gürtellienie vom Theater animiert wird", der habe viel zu lachen. Auch wenn es Schwankungen gebe: "Mal spielen die sechs Darstellerinnen und drei Darsteller die sexuelle Erpressung richtig witzig und gut. Mal erinnert das Gekeife, Gequengel und Gezappel aber auch an einen überdrehten Kindergeburtstag – nur mit wohlwollender Nachsicht zu ertragen." Im Vergleich zu Kricheldorfs anderen Osnabrücker Uraufführungen bleibe es ein "literarisch eher schlichter Spaß".

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