Auf das Nicht-Anschlussfähige vertrauen

9. März 2013. In einem Gespräch mit Patricia Hecht und Katrin Bettina Müller in der taz (9.3.2013) äußert sich René Pollesch zu einigen grundlegenden Fragen des Daseins:

Zur Liebe

Die Liebe tauge im Moment nur noch dazu, Menschen loszuwerden. "Wir sagen dann, wir folgen der Stimme unseres Herzens, und verlassen jemanden für einen anderen." Wir gingen dahin, wohin "der Zeiger des Herzens" jeweils ausschlage. Daran glaube er, Pollesch, nicht. Er tendiere eher dazu, "nicht wegzurennen, wenn es kompliziert wird". Doch misstraue er auch den Aufforderungen zum Weiterwurschteln, wenn jemand vor den Trümmern seiner Beziehung stehe. "Wenn es um die große Liebe geht, was soll dann dieses Konzept von Am-Leben-Bleiben? Es gibt keine Liebe nach der Liebe." Nach der Liebe kommt die nächste, das sei das, was wir leben. Und das sei eben "das Werkzeug der Gesellschaft, um jemanden loszuwerden". Dabei - wenn man "Liebe radikal und ernst nimmt, ist sie nicht unbedingt anschlussfähig". Wenn er jetzt sage: "Ich habe versucht, die wahre Liebe meines Lebens zu finden, und das ist gescheitert, und jetzt ist mein Leben eben zu Ende", fordere der "biopolitische Terror um uns": Bleib am Leben!

Zum Theater

Im Theater sei die Frage immer, erreicht man die Zuschauer durch heruntergedimmte Meinungen, die alle teilen könnten? Also etwa einem verwässerten Liebesbegriff: nach der einen Liebe kommt die nächste. Oder erreiche man Zuschauer mit dem, was nicht zu teilen ist. "Die beste Lösung ist, finde ich, sich nicht auf die Zuschauerposition zu stürzen, sondern auf das nicht Anschlussfähige."

"Macht man Theater für die auf der Bühne oder fürs Publikum? Ich mache es für mich, und die Schauspieler machen es für sich." Er, Pollesch, käme nicht "mit einer Vision zu den Proben und versuche die dann durchzuziehen". Wenn ein Regisseur mit einer Idee komme, könne die nur besser werden, "wenn viele Leute draufgucken". Er, Pollesch, liefere eine Idee und ein Thema und Textmaterial. "Und dann geht es darum zu schauen: Kann man die Texte benutzen? Dienen die zu etwas? Sind das Instrumente, um auf das eigene Leben zu sehen?" Wenn nicht, verwerfe man sie.

Schauspieler, die ihn noch nicht kennten, dächten natürlich "erst mal", es sei "Koketterie", wenn er, Pollesch, sage: "Wenn der Text euch nicht interessiert, muss ich eben einen neuen schreiben." Für ihn sei es aber wichtiger, das, was er an Themen und Texten mitbrächte, mit allen Beteiligten zu überprüfen: "Geht das die Schauspieler an?" Und wenn es sie was angehe, dann sehe man bei der Premiere Leuten zu, die "immerhin an etwas arbeiten, was sie angeht".

Schreiben

"Ich kann nicht deshalb schreiben, weil das in mir steckt, sondern weil ich das gelernt habe." Er, Pollesch, habe Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen studiert, wo es ein anderes Paradigma gegeben habe. "Und zwar: erst die Inszenierung, dann der Text. Das generiert bis heute mein Schreiben."

Es habe so angefangen, dass alle Leute, an die er seine Texte geschickt habe, gesagt hätten: "Nee, das sind keine Theatertexte." Man hoffe also, dass "Papa" einem sage, dass man es gut gemacht habe, und dann das! Dann könne man entweder so weitermachen, oder man fange an, sich davon zu emanzipieren, dass die anderen einem sagen, was Theater ist und was Theatertexte. Und das habe er in Gießen gelernt.

Von meinen Texten möchte ich, dass man sie benutzt, dass sie einen Gebrauchswert haben. Das sind Sehhilfen für die Wirklichkeit. Für bestimmte Verhältnisse, in denen wir stecken.

Die Volksbühne

Die Volksbühne sei für ihn "eine Art Zuhause". Es sei ihm ein "Grauen, zu überlegen, was nach 2016 passiert", wenn Frank Castorfs Intendanz zu Ende gehe. Wenn er und eine Schauspieler dort nicht mehr ihre Basis hätten.

Theorie auf der Bühne

Er sei leider kein Philosoph geworden und kein Soziologe. Er sei zu einer Zeit aufgewachsen, in der der Künstlerberuf immer stärker aufgewertet worden seien. Er sei in der Schule in einer Theater-AG gelandet, "um Freunde kennenzulernen". Und als es später um die Frage des Studiums gegangen sei, "fand meine Mutter, die wusste, Theater beschäftigt mich, eine Anzeige für den Studiengang in Gießen, der damals gerade aufgebaut wurde. Da dachte ich, ich bewerbe mich mal. Das war der erste Jahrgang." Ein Kommilitone habe ihm einmal gesagt: "Was wir in Gießen eigentlich gelernt haben, ist die Chuzpe zu wissen: Was wir hier machen, das ist es."

(jnm)

 

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