Finanzkrise, Verständniskrise, Reprise

von Jens Fischer

Bremen, 14. März 2013. Schauspieler springen, fallen, stolpern gegen eine Wand, mit der die gesamte Bühne verdeckt wird. Aber mehr als blutige Nasen holen sie sich nicht, tragen diese stolzlustig wie rote Clownsnasen. Ätsch, der große Crash, der Untergang des Abendlandes war nur ein Witz. "Was ich für das Ende hielt, das geht jetzt weiter und dreht sich nach mir um, wieso ich nicht nachkomme". So entschuldigt sich die Autorin Elfriede Jelinek in ihrem neuerlichen Nachtrag zur Finanzskrise.

Als die kapitalistische Konfession mit dem Glauben ans Geld und das Gebot des Gewinnstrebens einiger Menschen Gier heftigst befeuerte, ein entgrenzter Finanzmarkt mit immer absurderen Wertkonstruktionen seiner Produkte aufwartete, schrieb Elfriede Jelinek ihre "Wirtschaftskomödie". In "Die Kontrakte des Kaufmanns" höhnte sie, dass wir gerade alles, was unsere Gesellschaft zusammenhält, gegen die Wand fahren. Es folgten Ergänzungstiraden, Erweiterungslitaneien. Eine solche, die 2009 für die Kölner Uraufführung nicht berücksichtigt wurde, kam jetzt am Theater Bremen mit diversen Zusätzen heraus: "Aber sicher!".

Krisenverlierer und Kalauer-Ströme

Es geht um die Krisenbewältigung. Aus den Staatskassen wurde das Banken-Börsen-Versicherungssystem repariert, es macht nun lustig weiter wie zuvor: Milliardengewinne. Regisseur Alexander Riemenschneider richtet den Blick auf Krisenverlierer. Sie haben mit Hauskäufen auf Kredit in ihre eigene Enteignung investiert: "Die Raten sind fällig, aber wir fallen, wir sind schon gefallen, gefallen tun wir keinem mehr. Götter zücken ihre Strahlen, Banken zücken ihre Forderungen wie Waffen."

Abersicher2 560-JoergLandsberg uVerständniskrise: Auftritt Miss Rosa Luxemburg. © Jörg Landsberg

"Aber sicher!" geht im ersten Teil auf Nummer sicher. Es ist wie immer bei Jelinek. Mit Textflächen bedruckte Seiten, keine Szenen, Dialoge, Figuren, Regieanweisungen, Handlungsfragmente. Sondern ein mäanderndes Drauflosdenken aus sich widersprechenden Positionen, rhythmisiert durch Wiederholungen, durchjuxt mit Wortgleichklängen. Virtuos verdichtet zu einer Art Gebet, heiter fatalistisch, wutschnaubend kokett. Aber im Kalauer-Strom eröffnen ausufernder Anspielungsreichtum und Zitate immer neue Sinnzusammenhänge. Denen inhaltlich zu folgen – wieder eine Überforderung ist. Jelinek erklärt, verdeutlicht nichts. Wer nur ansatzweise verstehen will, worum es geht, muss vorher schon fast alles wissen oder in einem ausführlichen Programmheft nachlesen, das es in Bremen nicht gibt.

Kein lockeres Chaos, sondern präzise gebaut

Wenn die Autorin sich also mit diesen neuerlichen Essays im Glossenstil dem Theater verweigert, eröffnen sich ihm alle Möglichkeiten des freien Zugriffs. Im Gegensatz zu Nicolas Stemann, der "Die Kontrakte des Kaufmanns" mit einer locker-chaotischen Show seiner Theaterästhetiken herausgebracht hatte, sucht Riemenschneider nach einer konzentrierenden Bühnensituation. Angenehm beiläufig, dabei darstellerisch herausragend präzise gibt ein Männerquartett die Kleinanleger und Immobilien-auf-Pump-Käufer. Im Plauderton oder singend, durcheinander oder chorisch zusammen artikulieren und mit direkter Publikumsansprache versuchen sie die Verquickung des konkreten Ödipus- und abstrakten Finanzkrise-Dramas. Ein Gedankenspiel um Schuld und Schulden sowie vergebliche Sühne: "Wie der selbstgeblendete König ein Mörder war und es nicht wußte, so sind wir, selbstgeblendet, unsre eigenen Mörder, ... wir waren geblendet, geblendet von uns selbst, deshalb die Schuld so hoch, geblendet von uns und dem, was uns möglich war."

"Alle wollen alles", das sei doch menschlich, normal – so betreibt Jelinek auch in der zweiten Szene Ursachenforschung. Lisa Guth schleicht als Schönheitskönigin und intellektuell redliche Miss Rosa Luxemburg durchs Parkett, es regnet dazu Geldscheine und Goldflitter. Schön, reich begehrt – alles auf einmal eben. So starten Krisen. Auch wieder Verständniskrisen. Dass die Literaturnobelpreisträgerin der geplatzten Immobilien- eine ebensolche Informationsblase hinzugesellt, aus der Berliner Charité berichtet, wo 2009 ein Rechtsmediziner glaubte, die Leiche der 1919 ermordeten Sozialistin im Krankenhauskeller liegen zu haben – bleibt völlig im Unklaren dieser furiosen Arie. Der ein Abgesang folgt.

Auftritt der Autorin

Endlich fällt die vierte Wand, Scheinwerfer glühen blendend auf. Irene Kleinschmidt als Jelinek-Darstellerin durchleidet eine düstere Selbstanklage. Sie nimmt alles bisher Gesagte zurück, weiß keine Antworten mehr. "Nichts gewährt mir kühn Anhalt, und Sachsen schon gar nicht, blöder Witz, wie alle meine Witze, das kennen Sie vielleicht schon von mir, also, mein Denken, mein lehrhaftes Auswalzen, das ich als Denken ausgab und nicht zurückgekriegt habe, das war falsch, von Anfang an falsch".

Warum noch schreiben? Das fragt Jelinek, ratlos. Warum Theater? Derart gekonnt diese Textmasse dezent wachzukitzeln, sinnlich, hörbar, partiell verständlich zu machen, nebenher Themen aufzureißen und würdevoll das Selbstmitleid der Autorin auf die Bühne zu streicheln, das ist kein kleiner Inszenierungstriumph.

 

Aber sicher! (UA)
von Elfriede Jelinek
Regie: Alexander Riemenschneider, Bühne: Rimma Starodubzeva, Kostüme: Thomas Unthan, Musik: Gregor Schwellenbach, Licht: Christopher Moos, Dramaturgie: Regula Schröter.
Mit Lisa Guth, Irene Kleinschmidt, Siegfried W. Maschek, Nikolai Plath, Gregor Schwellenbach (Klavier), Robin Sondermann und Alexander Swoboda.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterbremen.de

Kritikenschau

Jelineks "ewiger Wortstrom" mäandere eine Stunde lang vor sich hin, "in einer der Jelinek-typischen, unbearbeitet und unredigiert wirkenden Gardinenpredigten", fasst Michael Laages im Deutschlandfunk (15.3.2013) "Aber sicher!" zusammen. Alexander Riemenschneider nutze seine Chance "achtbar": Die erste Stunde, in der die vier Jammerer die Publikumsnähe suchen, sei stark, der Rosa-Lusemburg-Exkurs überflüssig, der Schluss hingegen gehe unter die Haut: Da "sitzt das letzte Klageweib, endgültig rat- und hoffnungslos angesichts des neuerlichen Aufschwungs" und verstummt: "Mit diesem Finale ist Jelineks neues Palaver immerhin gut für einen halb starken Abend."

Jelinek scheitere "fast mutwillig beim Versuch, die gespenstisch-abstrakte Immobilien-, Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise zu begreifen, also: ihr einen Körper zu verleihen und ihn aus den Kulissen zu zerren", schreibt Benno Schirrmeister in der Tageszeitung (16.3.2013). Riemenschneider und seine Dramaturgin Regula Schröter hätten in Bremen "ein großes Welttheater daraus gelesen, ein perverses Mysterienspiel, ein Fest für die SchauspielerInnen". Dass der Epilog erst in der heißen Probenphase fertig wurde, sei im Grunde ein Glück: "Denn nun sprechen die sechs SpielerInnen diesen „Epilogepilog“ vom Blatt, und das ist, gerade durch seinen provisorischen Charakter, ein raffiniert beklemmendes Schlussbild."

Jelineks Text sei in weiten Teilen eine Resterampe, viele Passagen seien "spürbar dated", so Volker Corsten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (16.3.2013). Ihr Kreisen "um Gier, Schuld und Schulden und wie man – ökonomisch nicht allzu sauber argumentiert – diese zu Geld macht", werde in Bremen zu "lange weilenden knapp zwei Stunden allgemeiner Orientierungslosigkeit, ein Tänzchen um alles und nichts", das der Jelinek-Exegese nichts hinzufüge. So "richtungslos und harmlos, wie der Text vor sich hin schnurrt, wirkt auch die Inszenierung des jungen, eigentlich talentierten Hausregisseurs Alexander Riemenschneider."

Stefan Grund bringt in der Welt (16.3.2013) das Stück der "Kassandra des Kapitalismus" auf folgenden Satz: "Was erlaubt die Welt sich eigentlich, nicht unterzugehen, obwohl sie, Jelinek, das doch prophezeit hat?" Vergeblich schlage sich Regiehoffnung Riemenschneider mit dem Text herum: Nach dem "engagierten Männerquartett" folge der Absturz. Nach "einer gefühlt endlosen Schlaufe zur Leiche Rosa Luxemburgs" käme es noch schlimmer: "Als vernagelt entpuppt sich nun nicht mehr die Bühne, sondern die Dichterin." Riemenschneider habe den Kardinalfehler gemacht, der Stemann nicht unterlaufen sei: "Er hat Respekt vor dem großen Namen gehabt, den er vor dem Text nicht hätte haben dürfen."

Noch klarer lehnt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (16.3.2013) den Abend ab: Wenn der Inhalt sich derart abgenutzt habe wie Jelineks "Kritik am gewissenlosen Casino-Kapitalismus", und dann noch "ein Regisseur sich dessen annimmt, der keine schlüssige oder originelle Idee zur Umsetzung entwickelt, dann wird eine Jelinek-Premiere ein wenig zum humorlosen linguistischen Seminar". Alexander Riemenschneider flüchte sich "so tief in Inszenierungsklischees, dass der Text für sich alleine wirken musste, was ihm diesmal nicht so gut bekam".

Jelineks Furor zu inszenieren sei kein leichtes Unterfangen, konstatiert Andreas Schnell in der Nordwestzeitung (16.3.2013). Riemenschneider entschied sich "für Reduktion, sein Ensemble agiert präzise", immerhin sei das "schwerer Stoff, ein zweistündiger, pausenloser, wort- und bildgewaltiger Mahlstrom". Am Ende blieben Fragen. "Es ist das Verdienst von Jelinek, aber auch das des Bremer Theaters, diese Fragen zu stellen, und uns das Material für ihre Beantwortung so virtuos um die Ohren zu schlagen."

"Mit Tempo- und Intonationswechseln, mal im Chor, mal im vehementen Durcheinander gelingt es den Schauspielern, die Textmassen aufzubrechen", so Anke Dürr in der Frankfurter Rundschau (16.3.2013). Der Regisseur bediene sich sozusagen der Jelinek-Methode, nach der kein Wortspiel und keine Redewendung zu abgedroschen ist, um nicht verwurstet zu werden. Die Darsteller lässt er auf der Suche nach den Hintergründen der Krise gegen die Wand rennen, wo sie sich blutige Nasen holen. "Später lassen sie als Banker die Hosen runter, wenn sie ihre Tricks verraten: 'Aus Schulden werden Werte werden', 'aus Etwas wird Nichts werden.'"

 

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