Interkulturelles Publikum oder lokale Communities?

von Thomas Köck

Berlin, 15.Mai 2013. "Be Berlin - Be diverse!" Die Hertie-Stiftung hatte europäische Theatermacher zur Diskussion zu Diversität und Theater geladen. Unter dem Titel des Panels stellte ich mir entweder eine, dem neoliberalen Imperativ verschriebene Aufforderung vor, "Kultur" den Mechanismen der freien Marktökonomie zu unterwerfen und dadurch Ökonomie zu kulturalisieren (wie zum Beispiel hier) oder eine unkritische Emphase für postmigrantische Gesellschaften – die zumeist ja auch wirtschaftlichen Interessen folgt. Ich bin also auf einiges vorbereitet, habe den Stift gezückt, gemeine Fragen im Kopf und bin gespannt, wie sich die Diskussion diesem nicht ganz einfachen Komplex nähern würde.

Anregende Theorie

Dann sprechen (von einer Diskussion war man sehr weit entfernt) allerdings auf der Bühne Parkaue-Intendant Kay Wuschek, De-Toneelmakerij-Dramaturgin Apulien Geerlings, Ole Bo, Dramaturg am Det Norske Teatret und ETC-Präsidentin Dubravka Vrgoč mit dem Journalisten Thomas Irmer über die Vor- und Nachteile von Koproduktionen im Theaterbetrieb. Gut, auch ein spannendes Thema. Auch die Erwartungen der Hertie-Stiftung, die zur Diskussion geladen hat, waren groß. Koproduktionen würden den Theatern erlauben, gezielt internationale Kompetenz einzukaufen und damit ein wesentlich zeitgenössischeres, weil interkulturelleres Publikum zu erreichen – so zumindest die anregende Theorie.

Auf der praktischen Seite überwogen zunächst ökonomische Kriterien und die Möglichkeit, sich zusätzliche Lorbeeren und Aufmerksamkeit auf Festivals zu verdienen. Statt Diskussionen zeichnete sich in dieser Hinsicht eine große Einigkeit ab. Einzig Dubravka Vrgoč wiederholte mehrmals emphatisch den kulturpolitischen Ansatz hinter Koproduktionen. So betonte sie, dass nach dem Jugoslawienkrieg in den 90ern die kroatische Theaterlandschaft quasi nicht mehr existierte. "Ohne Koproduktionen, die einen internationalen Austausch mit anderen europäischen Theatern zur Folge hatten, hätten die kroatischen Theater den Anschluss an die zeitgenössische Theaterszene verloren."

Ernüchternde Praxis

Dem jungen wie auch dem alten Publikum zu Hause hingegen sei offensichtlich die Produktionsweise egal. Sowohl Geerlings als auch Wuschek berichteten, dass sie ein postmigrantisches Publikum leichter über deren Themen erreichen würden, als mit internationalen Ko-Produktionen. "Wir haben lange versucht die türkische Community in Amsterdam zu erreichen. Als wir dann Mehmet produzierten, hatten wir plötzlich so viele türkische Zuseher wie nie zuvor", erklärt Geerlings von De Toneelmakerij, die die Produktion gezielt für türkische Jugendliche entwickelten. Wuschek, der mit Fjodor, Hund und Kater vom russischen Dramatiker Uspenski die russische Gemeinschaft in die Parkaue geholt hat, stimmt zu und betont: "Man muss dem anderssprachigen Publikum Themen, Bilder, Geschichten bis hin zu ihrer Sprache bieten."

Die Veranstalter aus der Hertie-Stiftung wurden allerdings nicht müde, dem gesellschaftspolitischen Potential von internationalen Koproduktionen nachzuspüren. Aus dem Hertie-Block kam so im Laufe des Gesprächs eine Frage zur Zukunft des Jugendtheaters nach der anderen: "Lassen sich internationale Projekte nicht leichter an Schulen verkaufen, auch und gerade wegen der Mehrsprachigkeit?" "Wie positioniert man sich als öffentliche Einrichtung in einer Gesellschaft, die ihren Bildungsauftrag zunehmen an Institutionen auslagert?" "Sind die Theater institutionell überfordert mit ihrer Aufgabe, eine interkulturelle Gesellschaft zu porträtieren?"

Überforderung und Pespektivlosigkeit

Die zögernde Antwort: Jein. Geerlings beschrieb, wie in den Niederlanden das Interesse an interkulturellen Projekten und dem Aufbau eines postmigrantischen Publikums längst wieder verschwunden sei. Stattdessen dominiere wieder die Forderung nach künstlerischer Qualität – wie auch immer diese Gegenüberstellung funktioniert. "Da müssen sie die Schauspieler fragen", erklärte schließlich gar der norwegische Dramaturg Ole Bo, "die sehen, welche Menschen im Publikum sitzen". Er suggerierte damit, dass man überhaupt nicht wisse, welches Publikum man erreichen wolle oder wie man das schaffen könne. Definitiven Aussagen wich man auch im weiteren Verlauf aus und porträtierte damit wieder nur eine längst präsente Überforderung und Perspektivlosigkeit im Hinblick auf europäische Themen.

Die gemeinen Fragen zu Kultur und Ökonomie ließ ich deshalb dann lieber eingesteckt und fragte mich stattdessen, warum eigentlich Berlin im Titel stand.

 

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