Dauer-Loop am Wirtshaustresen

von Reinhard Kriechbaum

Linz, 16. Mai 2013. Persönlichkeitsspaltung im fortgeschrittenen Stadium, ein Fall von theatraler Verhaltensauffälligkeit? In Linz hat man vor ein paar Wochen das neue Musiktheater eröffnet, ein riesiges Opernhaus in Bahnhofsnähe. Zur Eröffnung hat man sich eine uraufzuführende Oper von Philip Glass nach Peter Handke ("Spur der Verirrten") vorgeknöpft und man baut eine eigene Musical-Sparte auf. Ab Herbst gibt's Wagners "Ring".

Während das Linzer Landestheater also mit dem auch technisch grenzgenial perfekten neuen Opernhaus ganz vorne mitmischt, unterläuft das Schauspiel – gleiche Institution, gleicher Intendant – die Jubelstimmung mit intensiver Befragung des offenbar super-ruinösen Provinz-Daseins. Da war jüngst die Uraufführung Alpenvorland von Thomas Arzt. Nicolai Gogols "Revisor" (Premiere vor wenigen Tagen) gehört auch in den Themenkreis. Und nun noch, in der demnächst aufzulassenden (oder richtiger: der ambitionierten freien "Bühne 4" zu überlassenden) kleinen Linzer Alternativ-Spielstätte "Eisenhand", Felicia Zellers "Triumph der Provinz". Ist da eine Eiterbeule aufzustechen – oder steuert man bloß mit Selbstironie dem Übermut gegen?

Selbstverwirklichung anderswo

Leicht überdrehte Provinzbacken also bei Felicia Zeller, in dem 2002 in Jena uraufgeführten "Triumph der Provinz". Den Trick mit den nur beinah fertigen Sätzen hatte Felicia Zeller schon damals raus. Zum Punkt kommen sie eigentlich nicht, die acht Einzelkämpfer, die in einem altmodischen Wirtshaus ihren Frust verklemmt, aber laut- und wortstark ausleben. Das Schaf, das die Autorin eigentlich als neunten Protagonisten vorschreibt, Sinnbild des Angepflockt-Seins, steckt hier in einem Verschlag am rechten Bühnenrand.

triumph 2 560 chrstian brachwitz uTresen ist überall, "Triumph der Provinz" in Linz: Leopold Geßele, Julia Schneider, Dawn Patricia Robinson, Thomas Hofer, Ivana Nikolic und Tobias Saatze. © Christian Brachwitz

Aber es ist vermutlich genau so Chimäre wie der Traum der Protagonisten vom selbstverwirklichten Leben anderswo. Ihnen allen geht es so, wie eine gleich zu Beginn hinausposaunt: "Da, wo ich herkomme, da geht überhaupt nichts." Eine Trauersymphonie der Aussichtslosigkeit, in die gleich alle einfallen. Aber dann ist‘s auch schon aus mit dem symphonischen Tutti, dann erleben wir Frustwuchteln beim bewegten Ausmalen des Stillstands. Am allerwenigsten geht ja das Weggehen. Da müsste man sich schließlich weiterbewegen, und damit haben sie es alle nicht so sehr. Dauer-Loop um einen Wirtshaustresen: Alle Versatzstücke sind ausrangierte (oder gar noch genutzte?) Dinge aus dem Gasthaus nebenan. Fehlt eigentlich nur noch die Music-Box.

Alte Maschen

Eine träumt von größeren Brüsten, eine andere von weniger Pickeln im mit Make-up zugekleisterten Gesicht. Einer fühlt sich als Super-Anmacher, doch seine Masche will partout bei keiner funktionieren. Ein Pärchen schmust andauernd miteinander, wenn sie nicht gerade eifersüchtelt und er ihr versichern muss, wie sehr er sie liebt. Sie hat auf die gleiche Frage übrigens noch viel weniger eine Antwort als er.

So geht das also dahin. Nach zehn Minuten ist klar wohin, ins Nirgendwo. Und dann wird es ein wenig mühsam, auch wenn die Aufführung selbst von den schauspielernden Jungspunden vom dritten Jahrgang der Linzer Bruckner-Universität sehr ambitioniert, nicht mal nur mit Eifer und Temperament, weiterbefördert wird. Die Figuren wären schon gut gezeichnet (da hat Regisseurin Heike Frank gut gearbeitet) – aber all das trägt nicht mal neunzig Minuten.

Kirche im Dorf

Die vielen Studienkolleginnen und Kollegen bei der Premiere haben begeistert durchgelacht. Die etwas Erwachseneren (deutlich in der Minderzahl) haben manchmal verwundert dreingeschaut. Vielleicht wird auf dem Programm-Faltblatt einfach zu viel Thomas Bernhard zitiert. Das weckt (falsche) Erwartungen an Heimat-Beschimpfung. Die Autorin konnte ihnen mit "Triumph der Provinz" einfach nicht genügen. Irgendwie nervt auch die konkrete Umsetzung im nostalgischen Ambiente, gerade, weil sie mit dem Text so parallel geht: Die Patina entwickelt nicht genug Charme, weder jene der konkreten Aufführung (Regie: Heike Frank) und schon gar nicht jene des Texts selbst, der deutlich älter wirkt als elf Jahre. Wenn Franz Xaver Kroetz das vor 35 Jahren geschrieben hätte…

Man wird das Gefühl nicht los, dass die Autorin mit "Triumph der Provinz" reichlich aufdringlich eine urban-überhebliche Sicht aufs Dorf-Volk auslebte. Nicht, dass man die Kirche unbedingt in diesem lassen solle. Aber anno 2003 kommunizieren selbst Provinz-Eier per Facebook. Ihr Eiern täte man also doch gerne ein wenig zeitnäher sehen, sonst geht es einem wie dem tollpatschigen Frankaxel, einem netten Blumenkind der Sohn-, eigentlich Enkelgeneration: Er fühlt sich wie im falschen Film.
 

Triumph der Provinz
Eine Farce für acht Einzelkämpfer und ein Schaf von Felicia Zeller
Inszenierung: Heike Frank, Bühne und Kostüme: Susanne Hiller, Dramaturgie: Franz Huber.
Mit: Timon Schleheck, Ivana Nikolic, Jennifer Elisa Schecker, Leopold Geßele, Julia Schneider, Tobias Saatze, Thomas Hofer, Dawn Patricia Robinson.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, ohne Pause.

www.landestheater-linz.at

 

Kritikenrundschau

Im Neuen Volksblatt aus Linz (18.5.2013) beschreibt Andreas Hutter Felicia Zellers "Triumph der Provinz" als "ein Stück par excellence für angehende Mimen". Diese hätten auf der Bühne "mit Aplomb, forschem Auftreten, immer flott und das Interesse am Fortgang wach haltend" gewirkt. Für den Geschmack des Kritikers hätte Heike Frank die Spielfreude allerdings ruhig etwas drosseln können, da manches "gar zu übermütig" oder "recht klamaukig" daherkomme und die leisen Zwischentöne zu kurz kämen. Aber das sei von der Regie "wohl" so beabsichtigt gewesen...

Die Regie habe die "riesige Portion Energie und das spürbare Brennen nach Bühnenpräsenz" zu wenig "eingebremst und gelenkt". So hätten "zu viel Action und Geschrei" manch "komischen, innigen und auch poetischen Moment einfach brutal zugedröhnt". Dazwischen aber "beachtliche Talenteschau ...", schreibt Silvia Nagl in den Oberösterreichischen Nachrichten (18.5.2013).

 

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