Endzeit Europa

von Kai Krösche

Wien, 17. Mai 2013. Draußen vor dem Wiener Parlament scheint noch die Sonne hinter der weißen Wolkenfront. Zwei lange Warteschlangen reihen sich vor den Metalldetektoren des Besuchereingangs und fast scheint es, als gäbe es kein Fortkommen, so lange dauert die Sicherheitsprozedur samt Taschenscan. Die Geduld, die Christoph Marthalers Abende dem Publikum auf so radikale Weise abverlangen, wird hier schon vor Beginn auf die Probe gestellt – scheinbar endlos der Weg durch die prächtigen Hallen und Gänge des 130 Jahre alten Parlamentgebäudes.

An den Kaiser von Habsburg-Europa

Der kleinen Uhr im historischen Sitzungssaal, einem imposanten Bau des Historismus aus Gold, hölzernen Sesseln und weißen Säulen, fehlen die Zeiger. Zeitlos dieser Raum, zeitlos, so die beunruhigende Ahnung, auch die Vorgänge der folgenden 150 Minuten. Bald schon erhebt sich eine der Figuren im dem Publikum spiegelartig entgegenragenden Halbrund aus Sesseln: Der Begrüßungspräsident eröffnet den Abend mit einer Rede anlässlich des "200. Jubiläums" der Befreiung der Konzentrationslager, adressiert an den "Kaiser von Habsburg-Europa" und Vertreter der europäischen Union. Befinden wir uns in jener finsteren Zukunft, vor der Marthaler 2005 in seiner – ebenfalls im Rahmen der Wiener Festwochen entstandenen – Produktion "Schutz vor der Zukunft" noch warnte? Der Antisemitismus, so erklärt es uns der Sprecher, sei vor einigen Jahren als "europäische Tradition" zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt worden. Selbiges habe man auch für den Rassismus vor.

letztetage2 560 walter mair uChristoph Marthaler inszeniert im historischen Sitzungssaal des Wiener Parlaments.
© Walter Mair
Betont leise, ruhig, besonnen rezitieren die Darsteller historische und zeitgenössische Reden rechter Politiker. Rassismus und Antisemitismus erscheinen bei Marthaler nicht in ihrer grellen Schrillheit, sondern als tief sitzende Ängste und Neurosen, irreversibel eingebrannt in die Herzen jener, die den Hass predigen. Derart fragil präsentiert, entziehen sich die verqueren Gedanken auf schauerliche Weise jedem lautstarken Gegenprotest, entblößen sie sich in ihrer ganzen erschütternden Monstrosität. Ist diesem so tiefverwurzelten Glauben an das Schlechte im Anderen noch mit Worten beizukommen oder sind wir bereits Zeuge jener "letzten Tage", die das Stück im Titel heraufbeschwört?

Zärtliches Gegengewicht zur Sprache des Hasses

Das Gegengewicht bildet, wie immer bei Marthaler, die Musik, die an diesem außergewöhnlichen Abend einen besonders großen Stellenwert einnimmt. Komponist und Musiker Uli Fussenegger bearbeitete für "Letzte Tage. Ein Vorabend" eine Vielzahl musikalischer Werke jüdischer, im Dritten Reich verfolgter Komponisten, darunter noch im Konzentrationslager entstandene Stücke. Die von der "Wienergruppe" live am linken Bühnenrand interpretierte Musik bietet den strukturellen Rahmen des Abends: ein zärtliches Gegengewicht voll erschütternder Hoffnung, das die zuvor, danach, dazwischen gehörten Worte des Hasses nonverbal, aber desto entschiedener Lügen straft.

Die Musik – stellvertretend für die Kunst –, so erzählt der Abend, bietet jenen Gegendiskurs eines bohrenden Zweifels, der den im Brustton erschütternd tiefer politischer Überzeugung geäußerten "Wahrheiten" die tröstende Gewissheit entgegensetzt, dass die Dinge nicht, dass die Dinge niemals so einfach sind, wie es manche, viele Menschen gern hätten. Kunst als politisches Gegengewicht: Marthalers im Parlament inszenierter Abend ist nicht nur ein wundervoller Musikabend, sondern ebenso ein ideologisches Statement wider allzu schnell gefundene Gewissheiten, die zu allen Zeiten, vor allem aber gegenwärtig in Form um sich greifender Entsolidarisierungen und des Rechtsrückens in einem von den Ängsten der Krise geschüttelten Europa die Runde machen.

Chinesische Touristen begutachten Europa

Das Spiel der zwölf Darsteller bildet dabei die im Verlauf des Abends immer kürzer werdenden Verbindungen zwischen den einzelnen musikalischen Darbietungen. Mal schreien die merkwürdigen Figuren in Anzügen und Kostümen einander an, dann harren sie stillsitzend, bisweilen gar wegnickend, jener ungewissen Dinge, die da kommen mögen im Anschluss an diese "letzte Tage". Einmal läuft eine – dem Programmheft zufolge zur Inszenierung angehörige – Gruppe chinesischer Touristen an den gläsernen Eingangstüren des Parlamentssaals vorbei, fallen die neugierigen Blicke und Blitze von Fotoapparaten in den dunklen Sitzungssaal. Die Darsteller, wir, Europa ist zum historischen Objekt der Betrachtung einer neuen, anderen Welt geworden.

letztetage3 560 walter mair uRassistische Reden werden konterkariert durch die Musik jüdischer Komponisten.
© Walter Mair

Die letzte halbe Stunde des Abends widmet sich vollständig der Musik, die den Raum mit einer tieftraurigen und doch wärmenden Hoffnung füllt. Das ewig gedehnte Ende stellt eine Prozession dar: Die Darsteller, nun in trist-beige Alltagskleidung aus einer vergangenen Zeit gehüllt, bewegen sich im obersten Rang einmal von links nach rechts durch den Saal und singen dabei "Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig" von Mendelssohn-Bartholdy. Noch Minuten, nachdem sie den Raum verlassen haben, klingen die Stimmen aus fernen, langen Gängen.

Mit dem nicht enden wollenden und doch schließlich versiegenden Applaus verhallt dieser letzte, ewig scheinende Augenblick, zeigt die Uhr auf dem Handy wieder die aktuelle Zeit, führt der Weg zurück auf die autobefahrene Ringstraße eines belebten Freitagabends in Wien. Dicke Regentropfen fallen nun vom dunklen Himmel. Es ist kalt geworden.

 

Letzte Tage. Ein Vorabend
Ein Projekt von Christoph Marthaler
Regie: Christoph Marthaler, Musikalische Leitung: Uli Fussenegger, Raum: Duri Bischoff, Kostüme: Sarah Schittek, Lichtdesign: Phoenix (Andreas Hofer), Regiemitarbeit: Gerhard Alt, Dramaturgie/Textcollage: Stefanie Carp.
Mit: Tora Augestad, Carina Braunschmidt, Bendix Dethleffsen, Nelson Etukudo, Silvia Fenz, Ueli Jäggi, Katja Kolm, Josef Ostendorf, Clemens Sienknecht, Bettina Stucky, Michael von der Heide, Thomas Wodianka, Die Wienergruppe/Instrumentalisten: Michele Marelli, Martin Veszelovicz, Hsin-Huei Huang, Sophie Schafleitner, Julia Purgina, Uli Fussenegger.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.festwochen.at

 

 

Kritikenrundschau

Sven Ricklefs schreibt auf der Website des Deutschlandfunks (18.5.2013, 17:30 Uhr): Mit seinem Projekt habe Marthaler einen "historisch-politischen Ort für die Wiener Festwochen okkupiert" und fülle ihn zum einen mit der Erinnerung an vergessene, verfolgte und ermordete jüdische Komponisten. Zum anderen setze er ihre Musik wie eine "aus der Vergangenheit heraufscheinende Utopie" gegen Rassismus und Antisemitismus. Doch "Letzte Tage. Ein Vorabend" sei nur kurz ein Blick zurück in die Geschichte, ein anderer zwischen den "sonst fast leeren Stuhlreihen des Parlaments" adressiere am "200. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager" seine Rede an den "Kaiser von Habsburg-Europa". Zwischen diese beiden zeitlichen Pole habe Marthaler "aktuelle Reden von europäischen Politikern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán montiert", die zeigten, "wie weit nationalistisches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut schon wieder gedrungen ist". Da wimmele es von Vokabeln wie "Volkscharakter" oder "bluthaft unterschiedene Europäer". Die letzte halbe Stunde dann schenke Marthaler nur der Musik, "so als könne sie etwas ausrichten gegen all das".

Auf der Online-Seite der Wiener Zeitung Die Presse schreibt Barbara Petsch (18.5.2013, 18:01 Uhr): Die Performance sei "skurril, erschreckend und gemächlich, kurz: typisch Marthaler." Das "babylonische Gewirr aus Musik und Sprache", das "Raunen, das Stürzen, Kriechen müder Menschen, die Clownerien, die sparsamen, einprägsamen Bilder, die Monologe" – alles passe "perfekt zusammen", wirke "gereift, entschlackt", ergebe "eine Symphonie". "Hochkomplexe, über Jahrzehnte intensiv geführte Diskurse" würden auf einen "schlichten Nenner gebracht und zwar jenen, wie etwaige Erkenntnisse beim Durchschnittsmenschen ... angekommen sind: nämlich gar nicht." Dass Marthaler die "bösesten Tiraden leise dreht", lasse ihre "Pseudosachlichkeit" noch gefährlicher erscheinen. "Man könnte einwenden: Der ständige Hinweis auf die angeblich bevorstehende nächste Katastrophe" verderbe "jede Lebensfreude". Doch der Vorwurf stimme nicht. "Letzte Tage" sei "einfach tolles Spiel, das sich ernsthaft mit Karl Kraus' 'Letzten Tagen der Menschheit' messen könne".

Margarethe Affenzeller schreibt die knappe "Nachtkritik" auf der Website des Standard (17.5.2013, 23:15 Uhr): Das Theater Marthalers sei "viel zu klug und sensibel für platte politische Botschaften", weshalb die "schwächsten Teile" des Abends diejenigen seien, in denen "dummer Populismus in Politikerreden oder in Selbstgesprächen von Bürgerinnen ausgewalzt" werde. "Groß" werde die Inszenierung dort, "wo die Musik die Körper erfasst und in der typischen Marthaler-Sprache durch sie hindurch spricht". Das geschehe nicht allzu oft; der Abend werde im Verlauf von knapp zweieinhalb Stunden "zunehmend zum Konzert".

Dirk Pilz legt in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau (21.5.2013) dar, dass er "Letzte Tage. Ein Vorabend" für den legitimen Nachfolger von "Murx den Europäer" vor 20 Jahren hält – "wieder ein Abend, der die Gerüche und Farben des Heute einfängt". Clemens Sienknecht begrüsse den "Kaiser von Habsburg-Europa" und erinnere daran, dass "die Demokratie und der Antisemitismus" "als hervorragende europäische Eigenschaft" zum "Unesco-Weltkulturerbe" erklärt worden seien und der Rassismus bald in die Liste aufgenommen werde. Ueli Jäggi spreche Viktor Orbán, der klingt, als habe er beim legendären antisemitischen Wiener Bügermeister Lueger abgeschrieben. Darum gehe es Marthaler: um einen Alltagsantisemitismus und politisch hoffähigen Rassismus, der nicht vergangen sei. Auch die Musik sei nicht die "Wärmehalle der Utopien", sondern "körperlich gewordenes Gedächtnis". Verzweiflungsgymnastiker seien die Figuren Marthalers immer, diesmal aber zudem Gedächtnisakrobaten: "Sie weigern sich, die Erinnerung zum Gedenken schönzureden, sie halten den Riss zwischen Gedenken und Gedächtnis offen. Es ist der Unterschied zwischen Stumpfheit und Schmerz." Der Abend entwerfe ein "schreckvolles, scharfkantiges Zwiegespräch zwischen Musik und Spiel, Geschichte und Gegenwart". Vielleicht seien deshalb die Marthaler-Menschen nicht mehr "nur in Schläfrigkeit gehüllte Wandelwesen", vielleicht deshalb die Musik "schroffer", der gesamte Abend "sperriger": weil "der Zeitgeist schärfer, fauliger, gefährlicher riecht".

"Christoph Marthaler entfesselt mit seinem grandiosen Ensemble gekonnt ein Treiben aus Farce und Klamauk, aus nonverbalen Skurrilitäten, aus Musik und Texten, die beklemmende Stachel in den Abend treiben", schreibt Stefan Musil in der Welt (21.5.2013). "Er nutzt sein bestens bekanntes Vokabular, um eine diesmal durchaus sehr bedächtige, aber für jene, die sich darauf einlassen können, atmosphärisch dichte und wie immer immens musikalische Assoziationschoreografie in den Raum zu zaubern."

"Die Szenen haben immer wieder einen scharfen Witz, sie sind aber auch recht plakativ und eindimensional gebaut; die lakonischen Marthaler-Momente sind diesmal eher rar", meint Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (21.5.2013). Fürs Subtile sei hier hauptsächlich die Musik zuständig. "'Letzte Tage' ist ausdrücklich eine Hommage an jüdische Komponisten der Zwischenkriegszeit, die entweder emigrieren mussten oder Opfer des Naziterrors wurden: Ernest Bloch, Pavel Haas, Szymon Laks, Erwin Schulhoff, Alexandre Tansman, Viktor Ullmann und andere." Spätestens im letzten Drittel der Aufführung, wenn fast kein Text mehr gesprochen wird, sei klar: "Die Musik spielt hier die erste Geige." Mit der Aufgabe, den Abend zu tragen, sei sie allerdings überfordert. "Zwar werden zwischendurch biografische Notizen zu den Komponisten vermittelt, der Musik selbst aber hört man ja nicht an, unter welchen Umständen sie komponiert wurde." Der etwas unbefriedigende Eindruck, den 'Letzte Tage' am Ende hinterlasse, beruhe wahrscheinlich auf einem Etikettenfehler. "Der Abend ist eigentlich ein Konzert mit szenischem Kommentar." Beurteile man ihn aber als Theaterinszenierung, dann sei die Dramaturgie zu nummernartig geraten, wirke der Rhythmus der ganzen Aufführung unrund. "Theater ist eine andere Baustelle."

Peter Hagmann stellt in der Neuen Zürcher Zeitung (22.5.2013) angesichts der Aussagen in einem zeitgenössischen Politiker-Interview fest: "Und kann man wieder ins Staunen geraten über die Nähe zwischen dem Antisemitismus von damals und dem Fremdenhass von heute. Dieselben Befürchtungen, dieselben Klischees – nur: Gerät die Gleichstellung nicht doch zu einfach?" Die Sitation sei komplexer. Auch wenn es etwas billig sei, die "Volkesstimme" vor den aufgeklärten Zuhörern zu denunzieren, "wird auch dieser wieder verschmitzt respektlose, leichtfüssig verspielte und zugleich tief melancholische Abend keinen Zuschauer unberührt entlassen."

In der tageszeitung (23.5.2013) schreibt Uwe Mattheiss, dass in der Überlagerung der beiden Diskursanordnungen Theater und Parlament etwas Verblüffendes gelinge: "nicht nur eine inhaltliche, sondern auch so etwas wie eine ästhetische Kritik des Totalitären." "So unterschiedlich und unterschiedlich gewichtig all diese Einlassungen sein mögen, jenseits des beschworenen Kollektivs gerinnen sie auf dem Parkett zum lächerlichen Solipsismus, zur paranoiden Weltverkennung." Viel Beifall ginge auch an die scheidende Schauspieldirektorin Stefanie Carp "für ein Festwochentheater, das sich als Bohren dicker Bretter verstand und die Frage nach der Geschichte und dem gesellschaftlich Ganzen zu stellen wusste".

Der "gediegene Aufführungsort" sei "das Beste" an dieser Marthaler-Veranstaltung, findet Christian Wildhagen (reichlich spät) in der Frankfurter Allgemeinen (31.5.2013). Das "diffuse Gefühl des Unbehagens gegenüber den Verhältnissen im Land, in Europa, in der Welt, ist auch schon der wesentliche Inhalt" dieser "neuesten Wiener Befindlichkeitsstudie". Es werde "viel und durchaus stimmungsvoll von hervorragenden Schauspielern gesungen". Mehr noch werde "ohne Gesang musiziert, von einem zauberhaften Kammerensemble". Von der mit den musizierten Stücken "– irgendwie – verknüpften Anklage gegen Ausgrenzung, Verfolgung und Rassismus" schlage der Regisseur "einen gewagten Bogen bis in die Gegenwart, bis hin zu neuerlichen und allerneuesten Entgleisungen von Politikern, die schon wieder glauben, sich auf dem Rücken von Minderheiten profilieren zu müssen". "Damit die Betroffenheit über so viel geistfreien Schwachsinn nicht zu groß wird, gibt es zwischendurch und am Ende dann ausschließlich bedeutungsschwere Musik." Das solle "nicht versöhnlich klingen, wirkt aber so. Irgendwie echt schlimm, das alles."

Ebenfalls not amused ist Julia Spinola im Deutschlandfunk (3.9.2014) über die Version, die in der koproduzierenden Staatsoper Berlin zu sehen ist. "Das Thema Fremdenhass und Antisemitismus wäre hoch aktuell, doch rückt es auf der Bühne in eine behaglich-museale Ferne, die geradezu unerträglich wirkt." Zu platt, zu klischeehaft führe Marthaler die fremdenfeindliche Stimme des Volkes vor. Das kalauere "in einer solch sicheren Distanz zum Zuschauer dahin, dass niemand sich angesprochen fühlen muss. Für all dies muss die Musik der jüdischen Komponisten als eine sentimentale Tapete herhalten."

Einen "schreiend leisen" Abend hat hingegen Ulrich Ameling in der Berliner Staatsoper im Schillertheater erlebt, wie er im Tagesspiegel (4.9.2014) schreibt. "Der historische Ort ist in Wien geblieben, die Reden sind mitgekommen ins Schillertheater, in dem alles für Marthaler verdreht wird. Die Zuschauer nehmen auf einer die Bühne überragenden Tribüne Platz und blicken mit sanftem Schrecken ins Theatergestühl." "Widerlich" seien die Reden, kontrastiert von der Hommage an jüdische Komponisten.

Kommentare  
Letzte Tage, Wien: Carps Zeit
Da ist Marthaler wirklich ein ganz großartiger Abend geglückt! Schön, dass die Zeit von Stefanie Carp bei den Festwochen, die ja mit Marthalers "Schutz vor der Zukunft" am Steinhof begonnen hat, mit einem ähnlich wichtigen, berührenden, so auf den historisch "kontaminierten" Ort bezogenen Abend auch endet.
Letzte Tage, Wien: Großartig!
Bin berührt, nachdenklich und voll mit unvergesslichen theaterbildern aus dem marthaler-Stück gekommen, großartiges Theater! Der Meister hat auch an diesem schwierig zu bespielenden Ort des Sitzungssaal des alten reichsrats gezeigt, was das Theater aus der Blutspur des 20. Jhs machen kann!
Dank für den Abend!
Letzte Tage, Wien: Bitte
ab in den Bundestag über die Volksbühne, wäre eine große Freude.
Bitte, bitte, bitte!
Letzte Tage, Wien: nicht vorgesehen
Es sind, glaube ich, keine Gastspiele in der Volksbühne vorgesehen. Aber vielleicht in der Staatsoper Berlin. Die sind ja schließlich Koproduzenten.
Letzte Tage, Berlin: Stille kaum ertragbar
Es ist ein nicht enden wollender und nicht enden sollender meditativer Moment, der einen Abend beschließt, in dem die Aufhebung jeglicher räumlicher und zeitlicher Linearität, die das Theater Christoph Marthalers auszeichnet, zu sich selbst kommt wie nur selten in seinem Oeuvre. Denn der Zwischenwelt, dem stehengebliebenen Schwebezustand, in den wir fast zweieinhalb Stunden eintauchen dürfen, ist das ungefähre fremd. Die Juxtaposition von verletzendem Wort und selbstbehauptender Musik, der Verschränkung der Zeiten und die Hörbarmachung des Verschwundenen entfalten eine Unmittelbarkeit, die die abschließende Stille kaum ertragbar und doch zugleich tröstlich macht, die davon spricht, dass die Auslöscher und Vernichter und Wegdefinierer am Ende keine Chance haben werden. Dabei ist Marthaler nicht naiv, die Stille stets auch eine der Friedhöfe. Und doch ist da etwas, dass sich nicht töten, nicht ausmerzen lässt. Hier in diesem Raum, in dem sich die Geister, von denen auch wir uns nie frei sprechen können, treffen, ist es beinahe greifbar.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/09/04/die-geister-die-wir-riefen/
Letzte Tage, Berlin: nicht die Wirkung wie in Wien
Leider entfaltet die Aufführung im Schillertheater nicht ganz die Wirkung wie im realen Raum des Alten Parlaments in Wien, und das nicht nur allein wegen der akustischen Probleme. So lässt sich auch die nervende Unruhe im Publikum erklären. Man scheint wohl nicht nur räumlich bereits weit von dem entfernt zu sein, was sich da vorn in den Sitzreihen abspielt, obwohl es mit aktuellen Wortbeiträgen gewürzt ist. Das historische Flair kann man sich zur Not ja dazu denken. Kleine Assoziationshilfen gibt es im Foyer in Form eines Videos, das aber vielleicht kaum wahrgenommen wurde. Ein ähnlich historisch brisanter Raum hätte sich doch in Berlin durchaus finden lassen. So kommen einem die Figuren doch auch etwas verloren vor in der Weite des Zuschauerraums. Eine Verlorenheit, die wiederum bestens spiegelt, was uns das Vergangene heute noch sagt. Trotzdem war ich erneut tief beeindruckt von Marthalers Kunst und der Virtuosität seiner Darsteller.
Letzte Tage, Berlin: Stille füllen
Ich habe die Aufführung in Wien nicht gesehen, daher fehlt mir der Vergleich. Mein Eindruck ist aber, dass die zusätzliche Abstrahierung, die der nicht-authentische Raum aufzwingt, dem Konzept des Abends eher entgegenkommt als die eindeutige Verortung wie in Wien. Die Entfernung ist sicher problematisch, allerdings hat die Unruhe m.E. mehr damit zu tun, dass das saturierte Staatsopern-Premierenpublikum Stille nicht ertragen kann. Man müsste die ja irgendwie füllen, schlimmstenfalls mit Nachdenken.
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