Uniformen, Kanister und Tarnschminke

von Andreas Wicke

Bad Gandersheim, 21 Juni 2013. Eine Frau setzt gefaltete Papierschiffchen in ein Becken mit Wasser, dazu erklingen lyrische E-Gitarrensounds, Soldaten treten auf, sie tragen Camouflage-Kleidung und King-Kong-Masken, außerdem sind sie schwer bewaffnet. Von hinten kommt eine schlanke junge Frau im roten Kleid, sie wirkt fragil. Der Anfang dieser Inszenierung ist fließend, aber das Bild ist stark und deutet die verschiedenen Ebenen des Stückes, die politischen Verwicklungen ebenso wie das Liebesdrama, an.

Wenn Othello seine Desdemona am Schluss umbringt, trägt auch sie Militärkleidung und hat eine Waffe in der Hand, und während man noch überlegt, warum die Welten des Krieges und der Eifersucht hier ineinanderfließen und ob das vielleicht eine raffinierte Deutungsfacette sein könnte, setzt Jago im Elvis-Ton zu Gitarrenbegleitung mit "Don't look so sad, I know it's over" ein und dekonstruiert und reduziert die Produktion auf jenes Musical-Format, das viel zu viele Szenen dieses Abends bestimmt.

Militärcamps und Krisenherde

"Shakespeare arbeitet da mit Suspense-Elementen, die mich an Alfred Hitchcock erinnern", so wird Regisseur Christian Doll, Intendant der Bad Gandersheimer Domfestspiele, in einer Pressemitteilung zitiert. Er wolle vor dem Dom ein "imaginäres Zypern entstehen lassen, das Militärcamps und aktuelle Krisenherde assoziieren lässt, aber zugleich auch traumatisch erinnerte Kriegsschauplätze wie Vietnam", so heißt es weiter. Was davon bleibt, sind Uniformen, Kanister und Waffen sowie ein Auto-Anhänger mit Tarnnetz, auf dem der Gitarrist Martin Werner steht. Natürlich kann man damit Krisenherde assoziieren, aber zu einer aktuellen Politisierung des Stoffes kommt es ebenso wenig wie zu einer überzeugenden dramatischen Zuspitzung.

othello1 560 rudolf a hillebrecht uAls Soldat und brav: Günter Heun als Othello liegt am Boden © Rudolf A. HillebrechtDabei gibt es durchaus raffinierte Ideen wie die mit Wasser gefüllte Kiste, in der mit Papierschiffchen Krieg gespielt wird und in der am Schluss der Mord an Desdemona verübt wird. Und auch die dunkel getönte Glaswand, die die Bühne nach hinten zum Eingang des Domes hin abschließt und durch die hindurch man sich gegenseitig beobachtet und beschattet, ist ein sprechendes Symbol für die intriganten Verwicklungen dieser Tragödie.

Fremdartigkeit als Charakterzug

Ach ja, die Frage nach dem Blackfacing ist noch nicht angesprochen worden, und natürlich muss in jeder "Othello"-Inszenierung geklärt werden, wie man den "noble Moor in the service oft he Venetian State" darstellt. Aber diese Frage wird auf der Bühne der Bad Gandersheimer Domfestspiele konfliktfrei gelöst. Zwar trägt Othello im ersten Bild, wie gesagt, eine King-Kong-Maske, aber die tragen seine Militärkollegen auch, zwar bleibt bei ihm nach dem Abnehmen der Maske etwas grünliche Tarnschminke im Gesicht, aber die verschwindet im Laufe des Abends, wenn er sich immer wieder mit nassen Händen übers Gesicht wischt; seine Fremdartigkeit ist hier eher ein Charakterzug. Gunter Heun zeigt einen Othello, der manchmal an einen großen tollpatschigen Teddy erinnert, der nicht wahrhaben will, dass Jago mit ihm ein heimtückisches Spiel spielt. Und während sich die Soldaten immer wieder in militärischen und heroischen Posen üben und sich stolz fotografieren lassen, zeigt sich Othellos Fremdheit eher in seinem arglosen Vertrauen in seine vermeintlichen Freunde.

So wie die Inszenierung Shakespeares Stück sommertheatralisch – und das nicht nur quantitativ – verknappt, zeigt sich auch im Ensemblespiel, dass die Figuren hier kaum entfaltet und entwickelt werden. Gunter Heuns Othello bleibt in seiner Sprache, seinen Gesten, seiner Deklamation sehr viel farbloser, als der Text – insbesondere in der klaren, lebendigen und frivolen Übersetzung Erich Frieds – dies vorgibt. "Du sprichst so matt", sagt Desdemona zu Othello, und dem möchte man aus Kritikerperspektive gern zustimmen.

Wo möchte das hin?

Doch auch Lea Willkowsky macht aus Desdemona keine tragisch gebrochene und vielschichtige Figur, sondern wirkt in ihren Ausdrucksmitteln eher gleichförmig und bemüht. Mario Gremlich als Othellos Fähnrich Jago bietet zwar einen aggressiven Gegenpol zu seinem Chef, ihm gelingt es durchaus, heuchlerische Intriganz zu verkörpern, aber auch sein Jago wird nicht zur schillernden Bestie. Moritz Fleiter spielt Rodrigo, jenen jungen Mann, der ebenso leidenschaftlich wie unglücklich in Desdemona verliebt ist, als frühadoleszent-frustrierten Oberprimaner, das ist zwar heiter – etwa wenn er versucht, sich in einem Zehn-Liter-Eimer zu ersäufen –, trägt aber wiederum nicht zur Verdichtung und Konzentration dieses Abends bei.

Alice Hanimyan als Cassios Geliebte Bianca spricht Englisch und singt gern und viel, diese Unterbrechungen mögen kurzweilig wirken, zeigen aber vor allem, dass dieser – zu harmlose, zu unbeholfene – Abend zwischen großer Tragödie und Musical nicht so genau weiß, wo er eigentlich hin möchte.

 

Othello
von William Shakespeare
Aus dem Englischen von Erich Fried
Regie: Christian Doll, Ausstattung: Cornelia Brey, Bühnenmusik: Martin Werner, Dramaturgie: Alexander Kohlmann.
Mit: Gunter Heun, Mario Gremlich, Dirk Schäfer, Moritz Fleiter, Christine Dorner, Andreas Torwesten, Jens Schnarre, Ulf Schmitt, Daniel Montoya, Lea Willkowsky, Martina Reichert, Alice Hanimyan.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.gandersheimer-domfestspiele.de

 

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Kritikenschau

"Eine nachdenkenswerte Lesart und einer der überzeugenden Momente des zweistündigen Abends" sei jener Moment, als Othello Desdemona erst tötet, "wenn er die Waffe weggeworfen hat und sie als Liebender im Arm hält", so Bettina Fraschke in der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (24.6.2013): "Wir sind privat roher, als wenn uns Gruppenregeln zügeln." Allerdings mangele es an Spannung, und auch die "eingebauten Songtitel aus dem Seicht-Pop" seien "deutlich zu trivial und wirken wie aufgepropfte Fremdkörper".

Warum die ganze Knarren-Action?, fragt hingegen Martin Jasper in der Braunschweiger Zeitung (24.6.2013). "Es bleibt der Eindruck einer Inszenierung, die durchaus eigensinnig daherkommt, aber interpretatorisch in Ansätzen stecken bleibt. Das Shakespearsche Motiv des Außenseiters, der von der Gesellschaft nur als kriegerischer Nothelfer, nicht aber als Zivilist in seiner Sehnsucht nach Glück akzeptiert wird, fällt weg. Dem durchaus engagiert und mit heutiger Emotionalität agierenden Othello-Darsteller Gunter Heun fehlt jegliche Fremdheit. Jago fehlen die diabolischen Abgründe. Desdemona glauben wir ihre Wandlung vom Liebchen zur Amazone leider nicht." Immerhin: "Gelangweilt hat man sich nicht."

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