Sagerts Welt - Das Schloss Neuhardenberg führt Theater und Bildende Kunst im Werk von Horst Sagert in einer Ausstellung zusammen
Besessen vom Kleinsten und Größten zugleich
von Wolfgang Behrens
Neuhardenberg, August 2013. Horst Sagert – ja, diesen Namen habe ich schon oft gehört. Wurde der Name von Personen, die den dazugehörigen Menschen tatsächlich persönlich erlebt hatten, ausgesprochen, dann wurde er geradezu umraunt, etwas Mythisches haftete ihm an: "Sagert! Ja, Saaagert!" Ich hörte dann von abgebrochenen Arbeiten und Inszenierungen, von emeritenhaftem Rückzug, von einem Schwierigen, sich Verweigernden, von geplatzten Ausstellungen und Buchprojekten. Und ich hörte vom "Drachen", einem Bühnenbild, wie es in der Geschichte des DDR-Theaters kein zweites gegeben habe. Am Deutschen Theater Berlin war das, 1965, also wirklich eine Ewigkeit her.
Und hie und da habe ich den Namen Horst Sagert auch gelesen. Friedrich Dieckmann etwa schrieb in den 1970er Jahren in "Theater der Zeit" (wiederveröffentlicht in einer späteren Essaysammlung): "Horst Sagert ist heute einer der wenigen Bühnenbildner von Weltruf", um dessen "graphische Kostbarkeiten (…) sich Sammler und Museen reißen". Und berichtet die staunenswerte Episode, dass bei Sagert zuhause das Bühnenbildmodell einer jener gescheiterten Inszenierungen ("König Bamba" von Lope de Vega, 1972 fürs Deutsche Theater geplant) "mit zahlreichen Figurinenpuppen eingeweckt in einer großen Kiste auf dem Schrank" liege; Sagert habe "dieses Schmerzenskind seiner Muse einst mit diesem Zubehör seinen Schauspielern vorgespielt".
Abgeschlossene Theaterbiografie
In Einar Schleefs Tagebüchern wiederum konnte ich lesen, dass das Bühnenbild zum von Benno Besson inszenierten "Drachen" "einer der wenigen Berechtigungsausweise dieses Berliner Vorzeigetheaters, will man heute nicht behaupten, des gesamten DDR-Schauspiels" gewesen sei. "Für mich war er der DDR-Künstler, der 1. der sich mit der realen DDR auf der Bühne auseinandersetzte, (…) selbstverständlich scheiterten seine weiteren Arbeiten, teilweise an ihm, teilweise an den tatsächlichen Verhältnissen, teilweise an den Schauspielern, die sich blöd gegen seine MEDEA-Inszenierung stellten." Und: Sagert sei "piefiger, verspielter, hintergründiger, querköpfiger, im Grunde politischer als wir alle …"
Worte, Worte, Worte. Aus einer anderen Zeit. Vegangen, dahin. Mir fehlte die Anschauung, und obwohl ich wusste, dass Horst Sagert noch lebte, war er doch tot. Sagerts Arbeitsbiographie am Theater verzeichnet nach vier Zusammenarbeiten mit Benno Besson und einer mit Siegfried Höchst noch einige rare tatsächlich zustande gekommene Projekte: einen "Sommernachtstraum" mit Hansgünther Heyme in Köln (1976), von dem sich Sagert distanzierte, da er seine Ausstattungsentwürfe nicht hinreichend verwirklicht fand; eine Zusammenarbeit mit Peter Zadek ("Der Widerspenstigen Zähmung" an der Freien Volksbühne in West-Berlin), schließlich zwei eigene Inszenierungen am Berliner Ensemble ("Faust-Szenen", 1984) und am Deutschen Theater (Mussets "Man spielt nicht mit der Liebe", 1989). Und das war's.
Und nun stehe ich also im Ausstellungsraum der Stiftung Schloss Neuhardenberg im "Vorpolnischen" (wie es der Generalbevollmächtigte der Stiftung Bernd Kauffmann zur Eröffnung von "Sagerts Welt" mehrfach ausdrückt), und mir bleibt die Spucke weg. Ich schaue auf ein recht großformatiges Bild bzw. eine Papiercollage mit dem Titel "Das ist es auch" aus dem Jahre 1976. Das Papier ist, wie auch bei einigen ähnlichen Arbeiten, zum Teil reliefartig gehöht, zudem sind unendlich viele kleine zusammengebastelte Papierkreuze und Fadenschlaufen daran angebracht, kaum entzifferbare Miniaturschrift (Zahlen?) und einige farbige oder figürliche Einsprengsel vervollständigen das Bild. Ein (vor allem im dreidimensionalen Original) wahrhaft überwältigender Eindruck: Eine rissige, fast gebirgige Oberflächenstruktur, die unentwegt zwischen Figürlichem und rein abstraktem Gesamteindruck hin- und herflackert.
Kippvorgang zwischen Oberfläche, Materialität und Figur
Plötzlich begreife ich, was Einar Schleef gemeint haben könnte: Wie piefig, wie verspielt, wie hintergründig, wie querköpfig muss ein Mann sein, um so etwas hervorzubringen? Wie viel Zeit, wie unendlich viel Liebe zum Detail steckt in solchen Werken? Und welche fantastischen Visionen treiben ihn zu dieser Sisyphosarbeit? Für ein Theater muss ein derart vom Kleinsten und Größten zugleich Besessener eine Zumutung sein.
Das Staunen stellt sich beim Rundgang durch die Ausstellung immer wieder ein: Unermesslich fein ziselierte Medaillen (Lupen stehen in der Ausstellung zur Verfügung); bizarr zusammengesetzte Skulpturen, die aus dem Fernsten, aus etruskischen oder älteren Zeiten herzukommen scheinen und doch kühner ersonnen sind als sämtliche Wesen der modernen Fantasy-Literatur; Zeichnungen und Grafiken, die spielend den Abstand von Hieronymus Bosch zu Marc Chagall oder George Grosz überwinden; und natürlich die Entwürfe zu Kostümen und Bühnenbildern sowie die Kostüme und Bühnenbildmodelle selbst. Immer wieder fasziniert der Kippvorgang zwischen Oberfläche, Materialität und Figur, diese Bühnenbilder scheinen regelrechte Labyrinthe für die Wahrnehmung gewesen zu sein. Am buchstäblich höchsten Punkt der Ausstellung schließlich thront das berühmte "Drachen"-Kostüm, und ein Hauch Theatergeschichte weht herein …
"Ich ziehe Konsequenzen aus Ihrem Verhalten, nicht aus meinem!"
Dass die Legende Horst Sagert lebt, dass er nicht vergessen ist, zeigte sich im überwältigenden Zuspruch zur Eröffnung der Ausstellung: Das etwas entlegene Neuhardenberg wurde von Hunderten von Besuchern förmlich überrannt. Der mittlerweile 78-jährige Meister selbst gab sich die Ehre und hüllte sich – naturgemäß – in Schweigen. Für ihn sprachen die Schauspieler Corinna Harfouch und Hermann Beyer (die beide mit Sagert gearbeitet haben) sowie die beiden Kuratoren Mark Lammert und Stephan Suschke, indem sie Textsplitter Sagerts verlasen.
Etwa einen Antwortbrief von 1971 an den Intendanten des Deutschen Theaters Hanns Anselm Perten, der Sagert aufgefordert hatte, zu seinem ungebührlichen Verhalten bei einer Premiere bis zu einem festgesetzten Tag samt festgesetzter Uhrzeit Stellung zu beziehen: "Ich bin sehr ungeübt, derartige Briefe zu lesen. Ihre Aufforderung ist mir einerseits zu ungenau, andererseits zu präzis. Ich ziehe Konsequenzen aus Ihrem Verhalten, nicht aus meinem. Wollen Sie, daß ich von dem Übel rede, welches zu dieser bedenklichen Entwicklung geführt hat? Ich erwarte Ihre Antwort – Horst Sagert". Raunen und Applaus im Publikum: Was für ein mutiger Querkopf! Und was für ein Glück, seiner Kunst nun endlich begegnen zu können.
Sagerts Welt. Theater und Bildende Kunst im Werk von Horst Sagert
kuratiert von Stephan Suschke und Mark Lammert
27. August 2013 – 10. November 2013
Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen 11–19 Uhr
www.schlossneuhardenberg.de
Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit exzellenten, dafür aber leider nur sehr unvollständig die Ausstellung wiedergebenden Reproduktionen:
Horst Sagert – Zwischenwelten
Hrsg. von Mark Lammert und Stephan Suschke
Theater der Zeit, Berlin 2013, 128 S., 24,50 Euro
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Katalog nach Vorschlägen von Horst Sagert, Gestaltung: Hans Joachim Walch. Herausgegeben von den Staatlichen Museen zu Berlin DDR 1979
und
b)Lothar Lang, Horst Sagert, Bühnenbilder und Figurinen zu Jewgeni Schwarz`"Der Drache", Insel-Verlag Leipzig 1971 (Insel-Bücherei)
Das is aber doch n bisschen strange, wenn Redakteure von Theater der Zeit Produkte aus ihrem eigenen Haus besprechen, oder?