Presseschau vom 3. September 2013 - die taz über den ungarischen Theaterregisseur und Nationaltheatex-Intendanten Róbert Álföldi
Geliebt und gehasst
3. September 2013. Ein sehr differenziertes Porträt des ungarischen Theaterregisseurs Róbert Álföldi, der bis zum Sommer auch Intendant des Ungarischen Nationaltheaters war, schreibt heute Anna Frenyo in der taz. Gerade hat Álföldis Inszenierung der Rockoper "Stefan, der König" wieder einmal die Rechten auf den Plan gerufen. (siehe Meldung). Das in den 1970er Jahren entstandene populäre Werk ist für Ungarn jeder politischen Couleur identitätsstiftend.
Wo der preisgekrönte Alföldi künstlerisch zu Werke gehe, könne mit vollem Haus gerechnet werden, schreibt Frenyo. "Er ist ein kreatives Multitalent: Theater- und Filmregisseur, Schauspieler und Maler – zudem musikalisch begabt. In dem auch verfilmten Stück "Amadeus" von Peter Schaffer dirigierte er selbst im Mozartkostüm das Orchester und spielte Klavier. Alföldis Genius scheint schier unerschöpflich – genauso wie der Hass, der ihm aus dem rechten Lager der ungarischen Gesellschaft bei allen seinen Projekten entgegenschlägt."
An Alföldi verdichten und entladen sich, so Anna Frenyo, die gesellschaftlichen Spannungen in Ungarn. Auch anlässlich seiner aktuellen Inszenierung von "Stephan, der König" sei Álföldi nun wieder aufs Heftigste in den Medien, über Facebook und auf Internet-Foren gebasht. "Die Rockoper über Ungarns Staatsgründung ist für alle politischen Lager identitätsstiftend. Doch fungiert sie nicht als Kitt einer zerbröselnden Gesellschaft, sondern macht die Gräben erst recht sichtbar: Alföldis Kritiker meinen, ein Liberaler wie er dürfte das 'Nationalheiligtum' "Stephan, der König" überhaupt nicht anfassen".
Vom Publikum werde Alföldi entweder geliebt oder gehasst, kalt lasse er keinen. "Seine Anhänger stehen stundenlang an, um Karten zu bekommen, seine Hasser organisieren Demonstrationen gegen ihn, den schwulen, skandalträchtigen Regisseur. Die rechtsextreme Oppositionspartei Jobbik hetzt auch gern im ungarischen Parlament gegen ihn - auf ihrer Agenda stand die Entfernung Alföldis als Intendant des Nationaltheaters ganz oben."
Der Intendantenwechsel ist aus Sicht Anna Frenyos allerdings angesichts von Alföldis Persönlichkeitsstruktur nicht nur eine politische Entscheidung gewesen. Alföldi stehe sich manchmal charakterlich selbst im Wege. Ende 2010 habe er beispielsweise dem Rumänischen Kulturinstitut erlaubt, das rumänische Nationalfest im Budapester Nationaltheater zu feiern. "Ziemlich unsensibel. Denn bei diesem Fest wird der Anschluss Siebenbürgens an Rumänien 1918 gewürdigt, der für Ungarn den Verlust dieses Gebiets brachte und zu den wundesten Punkten seiner Geschichte gehört". "Dieses Fest im Budapester Nationaltheater zu feiern ist so, als wären Japans Luftstreitkräfte in Pearl Harbor zum Sektempfang geladen", zitiert sie einen User eines Online-Forums. "Alföldi gab nach, konnte aber die über ihn hereinbrechende Protestwelle dadurch nicht mehr aufhalten."
(sle)
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