Muss Theater sein?

von Tobias Prüwer

18. September 2013. Ein Aufsatzband über die freien darstellenden Künste in Deutschland? Die Autorinnen und Autoren – nicht alle entstammen der Off-Szene – kommen dabei naturgemäß nicht ohne Kritik der Förderstrukturen, der Maßnahmen und Anmaßungen der Kulturpolitik aus. Aber der Widerstreit zwischen Stadt- und freiem Theater hier steht nicht im Mittelpunkt. Vielmehr durchzieht die Beiträge als Erkenntnisinteresse die Frage nach der heutigen Stellung von Theater überhaupt, seinem Vermögen in theaterfernen Zeiten sowie das Verhältnis von Theater und städtischer Gesellschaft und deren Repräsentationsbedürfnis.

cover die freien darstellenden kuenste 180Natürlich fällt auch mal das von den kommunalen Kulturbetrieben übernommene Kapitalisierungsargument: Kultur sei Investition in die Zukunft, ein Wettbewerbsvorteil in der Tourismuskonkurrenz, Kreativität gehöre zum Markenkern einer urbanen Region etc. Andere Analysen nehmen aber genau das zum Anlass, um zu fragen, in wie weit denn die freien Theater schon unfreiwilligerweise den neoliberalen Idealtypus – flexibel, mobil, prekär, anpassungsfähig und allzeit bereit zur Selbstausbeutung – verkörpern. Oder was sie diesem entgegenstellen könnten.

Fest? Event? Bildung?

Gerade solche Texte gehen über die in einem derartigen Sammelband erwartbaren Selbstvergewisserungstendenzen hinaus. So arbeiten sie sich nicht nur daran ab, wie freies Theater wurde, was es ist, oder wie man das "frei" von der ökonomischen Knappheit der Mittel abgesehen, positiv ausbuchstabieren kann, sondern daran, was Theater heute eigentlich bedeuten kann und sollte. Auf welche Weisen kann man Theater gegenwärtig produzieren? Sollte man das überhaupt? Verkauft sich Theater als Fest und Event oder liegt hier Potenzial frei? Und wie viel kulturelle Bildung steckt (noch) im Theater der engen Rahmenbedingungen, fragen die spannendsten Essays.

Sie als eine sekundierende Lektüre zu Dirk Baeckers auf nachtkritik.de ausführlich besprochenen Suchbewegungen zu lesen, lohnt sich. Fragt Baecker "Wozu Theater?", so will dieser Band wissen: "Und wie Theater?"

 

Eckhard Mittelstädt, Alexander Pinto (Hg.):
Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland,
Transcript Verlag, Bielefeld 2013, 230 S., 29,80 Euro

 


Mehr zum Thema finden Sie in den nachtkritik.de-Lexikonartikeln zur Stadttheaterdebatte und zu den Hildesheimer Thesen.

Kommentare  
Freie Künste: fünf Sätze
Na wunderbar, die Rezension geht ja gerade mal fünf Sätze über den Klappentext hinaus. Da kann man es gleich sein lassen, liebe Nachtkritik!
Freie Künste: Labor oder Fließband
und man sollte in dem Zusammenhang auch auf "Labor oder Fließband" von Rainer Simon hinweisen
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