Sand im Blut

22. September 2013. Der Theaterautor ist präsent, aber – wenn er nicht gerade Peter Handke, Elfriede Jelinek oder Moritz Rinke heißt – trotzdem fast unsichtbar, resümiert Andreas Schäfer via Tagesspiegel in einem Streifzug durch die Dramatiker-Szene.

"Theaterautoren? Man kann nicht gerade sagen, dass es zu wenige gibt", schreibt Andreas Schäfer. "Im Gegenteil", es gebe auch Festivals und Stückemärkte, die neue Stücke vorstellen, allein zwei in Berlin, eines in Heidelberg und neuerdings eines in Essen. Es gibt auch wahnsinnig viele Uraufführungen, aber die meisten finden auf kleinen Bühnen statt, im Studio, vor einem Fachpublikum. "Eingeklemmt zwischen der großen 'Zauberberg'-Dramatisierung und den großen Dokuabenden mit Müllmännern oder Prostituierten von der Reeperbahn bekommt er kaum Luft, schreibt aber, um zu überleben, ein Stück nach dem anderen und spürt dabei den Anspruch wie eine Pistole auf der Brust: 'Schreib bloß relevant.' Doch wie geht das nur? Relevant schreiben?"

Marianna Salzmann zu Beispiel wisse, wie man Pointen setzt und das Schwere leicht erzählt, ohne ihm Substanz zu nehmen. Ihre Stücke "Muttersprache Mameloschn" und "Fahrräder spielen eine Rolle" zeigen freilich auch, wie schwierig das ist mit der Relevanz ist, also dem richtigen Verhältnis zwischen Privatem und Allgemeingültigem. "Räume öffnen, anstatt sie selbstgewiss zu verschließen. Konkrete Schmerzen in einem konkreten Konflikt darstellen, das ist die Kunst. Eine passende Sprache gehört auch dazu."

"Wie geht das? Relevant schreiben?" Fragt Schäfer. Manchmal ist die Antwort das Unterlaufen der Regeln. Als in diesem Jahr die Kritikerin Sigrid Löffler Alleinjurorin der Autorentheatertage am Deutschen Theater war, wollte sie "kein Beziehungsgedöns, bitte nicht noch eine Familienaufstellung, stattdessen Welthaltigkeit". Zwei der drei Stücke, die während der Langen Nacht schließlich gezeigt wurden, waren dann Beziehungs- und Familiengeschichten. Und den Preis bei den Mülheimer Theatertagen bekam Katja Brunner für ihr Inzest-Drama "Von den Beinen zu kurz".

"Das Stück ist ungeheuerlich. Es erlaubt sich die unerhörte Freiheit, den Missbrauch des Vaters an der fünf-, sechs jährigen Tochter detailliert zu beschreiben und gleichzeitig das klassische Täter- und Opferschema zu vermeiden. Die Selbstrechtfertigungen des Vaters, die Leugnungsversuche der Mutter, die Schuldgefühle und emotionale Abhängigkeit des Kindes. All das wird pur, ohne die beruhigende Zurichtung der Verurteilung dargestellt und bietet einen kaum erträglichen Blick in die Hölle eines aus dem Ruder gelaufenen Zusammenlebens. Vater, Mutter, Kind. Die Welt passt in die kleinste Hütte. Und zeigt dort die Wunden und blinden Flecken unserer Gesellschaft vielleicht am deutlichsten."

 

 

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