Schwarz tragen - Das Ballhaus Naunystraße zeigt das erste Stück von Elisabeth Blonzen beim Festival Black Lux
Schutzraum WG-Küche
von Esther Slevogt
Berlin, 24. September 2013. Da wären zum Beispiel Fragen wie diese: Ein Mitglied der Kreuzberger Wohngemeinschaft, von der das Stück handelt und in deren Wohnküche es wesentlich spielt, ist gestorben. Sein Herz blieb scheinbar plötzlich stehen. Nun wird ein Nachfolger gesucht von den vier Hinterbliebenen der WG-Family. Auch ein gewisser Flori, Kommilitone von Mitbewohnerin Joy, steht zur Debatte. Doch da gibt es ein Problem.
Denn Flori ist weiß, die WG-Familie aber sucht einen Mitbewohner, der so aussieht wie sie selbst: also schwarz ist. Warum? Joy ist es schließlich selbst, die das Hauptargument gegen einen weißen Mitbewohner liefert: "Wenn ich mir vorstelle, dass ich morgens zum Frühstückstisch komme und dann sitzt da ein Weißer... der hier wohnt... dann ist mir noch vor dem ersten Kaffee klar, dass ich nicht weiß bin. Weißt Du?" Und wie ihr geht es auch Eric und Cyrus, für die diese Wohngemeinschaft wesentlich ein Schutzraum bedeutet, vor dem alltäglichen Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft, ihren Zuschreibungen und den Verletzungen an Leib und Seele, die daraus für jeden einzelnen des Quartetts resultieren. "Wir brauchen einen Ort, wo wir so sein können, wie wir sind ohne uns ständig ins Verhältnis setzen müssen zu den 'Anderen'", bringt es WG-Gründer Cyrus noch mal auf den Punkt, eine Generation älter als die anderen Mitbewohner, die zwischen 20 und 30 sind.
Immer in schwarz
"Schwarz tragen" heißt das Debütstück der 1968 geborenen Schauspielerin und Drehbuchautorin Elisabeth Blonzen, das im Berliner Ballhaus Naunynstraße nun von der deutsch-nigerianischen Regisseurin Branwen Okpako uraufgeführt wurde, die unter anderem durch ihre 2011 entstandene Dokumentation über Barack Obamas Halbschwester Auma bekannt geworden ist.
Und schwarz tragen die Figuren auch, im 2. Akt, nach der Beerdigung von Mitbewohner Frank, der eines morgens tot in seinem Bett lag, was für die anderen ein grooviges WG-Frühstück zwischen Sexgeplänkel und Gewitzel über das Leben an sich abrupt ins Tragische zog. Nun brechen die Wunden auf, die den jungen Leuten die Tatsache zugefügt hat, dass sie sozusagen immer schwarz tragen. In den Augen der Gesellschaft zumindest, die ihre Hautfarbe nicht teilt. Vicky zum Beispiel, eine junge Juristin, die davon träumt, erste schwarze Bundesrichterin zu werden und von einer Vergewaltigung im Kopierraum der Kanzlei berichtet, in der sie arbeitet.
Vorsichtige Einfühlung
Wobei man es eben nicht mit einem ausgefeilten Psychodrama zu tun hat, sondern mit einer eher luftig nach dem Muster einer Sitcom gestrickten, lockeren Szenenfolge. So ist dann auch der schwere Mollton nach der Beerdigung mit seinen Zusammenbrüchen bald ins Witzige gezogen: als sich herausstellt, dass die abgründige Trauermiene (samt Krokodilstränen) von Eric lediglich der Tatsache geschuldet sind, dass sein Chat-Profil gelöscht worden ist.
Dass das Stück eigentlich nur stichpunkthaft an der Dramatik seines Themas entlang springt, ist gut und schlecht zugleich. Einerseits erhält man hier als jemand, der in dieser WG wahrscheinlich keinesfalls Aufnahme fände, flüchtige Innenansichten und Informationen: So geht es uns. Auch der eher beiläufig-realistische Milieukomödienstil der Inszenierung mit seinen absichtsvollen Überzeichnungen und Klischees ermöglicht doch vorsichtige Einfühlung.
Den vier Schauspielern sieht man mehr oder weniger gerne zu, wie sie ihre Figuren modellieren: Thelma Buabeng als die ihre traumatischen Erfahrungen mit dem Alltagsrassismus so lange wegträumende Joy, bis auch die Alltagsbewältigung nicht mehr möglich ist. Ernest Allan Hausmann, der ironisch angeschrägt Katalog-Modell und Potenzwunder Eric spielt, der seine Kränkungen mit Frauengeschichten en Gros kompensiert. Sheri Hagen, die als verhärtete Juristin Vicky starke, aber manchmal auch etwas manierierte Momente hat. Thomas B. Hoffmann als weiser WG-Gründer Cyrus, der den promisken Mitbewohnern erst spät zu gestehen wagt, dass er schwul ist. Und schließlich Tyron Ricketts, der als verstorbener Frank nur auf Videoprojektionen erscheint und als eine Art Stimme des schwarzen (und schwulen) Gewissens auf Wahrhaftigkeit drängt.
Weiter Weg
Doch man könnte sich das Stück so im Grunde auch auf dem Boulevardtheater vorstellen. Es geht nie wirklich tief zur Sache, Effekte werden gezündet wie Wunderkerzen und verpuffen ebenso schnell. Dass Stücke wie dieses dort (also auf dem Boulevard) bislang nicht gespielt werden (und immer noch den Schutzraum des Ballhauses Naunynstraße brauchen) ist wohl das eigentliche Politikum dieses sonst eher harmlosen Abends. Dort wurde "Schwarz tragen" im Kontext des Festivals "Black Lux" uraufgeführt, das sich im Untertitel "Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven" nennt. Dass diese Perspektiven sich (in diesem Stück zumindest) nur so schematisch und bruchstückhaft an die gesellschaftliche Oberfläche wagen, mag als Indiz dafür gelten, wie weit der Weg ist, den diese Gesellschaft noch zurückzulegen hat.
Schwarz tragen (UA)
von Elisabeth Blonzen
Regie: Branwen Okpako, Bühne und Kostüm: Arianne Vitale Cardoso, Video: Marvin Kipke, Musik: Jean-Paul Bourelly, Dramaturgie: Nora Haakh, Philipp Khabo Koepsell.
Mit: Thelma Buabeng, Sheri Hagen, Ernest Allan Hausmann, Thomas B. Hoffmann, Tyron Ricketts.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause.
www.ballhausnaunynstrasse.de
"Schwarz tragen" runde als Stückauftrag das einmonatige "Heimatfestival aus schwarzen Perspektiven" ab, "vier Wochen, in denen Rassismus großgeschrieben und so oft thematisiert wurde, dass es durchaus penetrant wirkt, und in denen das politische Anliegen sich teils deutlich vor das künstlerische stellte", schreibt Astrid Kaminski in der taz Berlin Kultur (26.9.2013). Aber die Härtnäckigkeit lade auch dazu ein, "Themen, die man glaubt intellektuell verstanden zu haben, immer wieder mit der Gefühlsebene abzugleichen und die eigenen Reaktionen zu prüfen". "Schwarz tragen" biete jedoch kaum mehr als eine Art coole Volkshochschule mit Kunstpädagogik. Elizabeth Blonzen "beschränkt sich mit der Fantasie für ihre Figuren auf Boulevard-Lehrbuchhaftes und ergießt sich zum Schluss in ziemlich unglaubwürdige (innere) Monologe". Fazit: "Das Konzept, eine erfahrene Filmregisseurin und eine geschulte Drehbuchschreiberin mit einem Theatertext zu beauftragen, hätte ästhetisch einen konzeptuellen Rahmen gebraucht."
"In einem Vorbericht war zu lesen, dass Blonzen ihr Stück anders angelegt hatte: als Innenansicht einer Wohngemeinschaft mit schwarzen und weißen Mitbewohnern. In der Uraufführung durch Branwen Okpako ist es eine rein schwarze WG voller Klischeetypen", so Christian Rakow in der Berliner Zeitung (27.9.2013). Ein viriler Womanizer, eine wonnige Stimmungskanone, eine glaubensstarke Karrierefrau und ein guruhafter WG-Oberer, "mal tanzen sie, mal dialogisieren sie mit staatstragender Langsamkeit. Konfliktpunkte werden allenfalls angetippt." Eigentlich beherrsche es die Naunynstraße, Stereotype gezielt vorzuführen und zu verabschieden, "aber an diesem bleiernen Abend fiel die Verabschiedung aus".
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 22. April 2024 Intendanz-Trio leitet ab 2025 das Nationaltheater Weimar
- 22. April 2024 Jens Harzer wechselt 2025 nach Berlin
- 21. April 2024 Grabbe-Förderpreis an Henriette Seier
- 17. April 2024 Autor und Regisseur René Pollesch in Berlin beigesetzt
- 17. April 2024 London: Die Sieger der Olivier Awards 2024
- 17. April 2024 Dresden: Mäzen Bernhard von Loeffelholz verstorben
- 15. April 2024 Würzburg: Intendant Markus Trabusch geht
- 15. April 2024 Französischer Kulturorden für Elfriede Jelinek
neueste kommentare >
-
Besuch der alten Dame, Dresden Blutleer
-
Intendanz Weimar Österreich
-
Medienschau Alexander Scheer Mit Verlaub
-
Deutschlandmärchen, Berlin Sehenswert
-
Intendanz Weimar Empfehlung
-
Zauberberg, Weimar Zumutung
-
FIND-Eröffnung, Berlin Klares Profil
-
Kolumne Slevogt Verantwortungsgefühl
-
Medienschau Alexander Scheer Tief im Herzen
-
Theaterbrief Istanbul Aufführungszahl
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
"Gaijin desu ne" "Ausländer nicht wahr?!" oftmals zu hören bekommt.
gehört, drittens das, was von anderer Art, was fremdartig oder heterogen ist.
gespielt von "echten", also "Afro-Deutschen" Schauspielern (und eben nicht von politisch-künstlerisch überfrachteten ge-blackfacten weißen Schaupielern),
inszeniert von einer "Afro-Deutschen" Regisseurin,
geschrieben von einer "Afro-Deutschen" Autorin,
uraufgeführt auf einem "Schwerpunkt-Schwarz-Sein-Festival" -
...Möglicherweise ist das alles - für manch einen - zuviel des "Guten",
zuviel "Schwarz-Seherei",
zuviel Thema - zuwenig Kunst...
Möglicherweise nervt es sogar -
Genauso wie der Begriff "Afro-Deutsch" (mich zumindest!)
Möglicherweise ist der Vorwurf sogar berechtigt, das dieser Abend künstlerisch mehr bieten sollte/könnte/müsste, als einfach nur irgendwie in jedem Aspekt schwarz zu sein, um dadurch maximale Normalität zu demonstrieren!
Möglicherweise !
Aber möglicherweise ist dies alles, vor allem Teil eines Prozesses - der zwar nicht gänzlich am Anfang steht - aber der sich, noch immer, ständig selbst neu konfigurieren muss -
(Dies ja auch das sinnvolle Wesen eines Prozesses)
Und dieser Prozess ist möglicherweise, für alle die es nicht direkt betrifft, - weil sie zB weiß sind - mitunter nervig und künstlerisch nicht so gehaltvoll wie er zu sein hätte, damit er von denen, die wissen wie gute Kunst geht und zu sein hat, interessant gefunden würde.
Aber darum geht es nicht. Nicht ausschliesslich.
Es geht nicht darum, im großen "Mäuserennen" des 'Besser-Innovativer-Noch-nie-dagewesener',
all die glücklich zu machen, die schon alles gesehen haben und sich so sehr nach 'Wundern' sehnen.
Wir alle sehnen uns nach Wundern und wir alle wären gerne die Ersten denen es begegnet.
Aber darum geht es auch nicht.
Dieser Prozess hat denke ich, vor allem auch damit zu tun überhaupt eine schwarze, deutsche Identität zu suchen, zu finden und zu benennen.
Wir sind nicht die Ur-Enkel verschleppter und versklavter Afrikaner.
Wir "Schwarzen" hier, in Deutschland haben keinen kollektiven Moment der Identität in uns.
Es gibt noch nicht mal ein "WIR" .
(Wo gibt es das schon ?)
Aber dafür gibt es diesen Prozess.
Auch um etwas über das "Wir" und das "Ihr" rauszufinden und mitzuteilen.
Um es im besten Falle eines Tages zu verwerfen.
Nicht nur um sich von irgendwem bewerten zu lassen, ob das schon Kunst ist - und deshalb der Blackface-N-word--Blabla-Debatte zuträglich - , oder doch noch nur "gutgemeinter Sozialarbeiter-Volkshochschul-Kram" - und daher Eure schlimmsten Befürchtungen mal wieder bestätigend...
Es bleibt anstrengend !
http://unruheimoberrang.net/2013/09/27/schutzraum-und-wenn-ja-wie-viele-schwarz-tragen-im-ballhaus-naunynstrase/
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/11/11/hinter-verschlossenen-turen/