"Immer wenn ich den Namen Faymann höre, erschrecke ich ..."

10. Oktober 2013. Aus Anlass des Kongresses "Von welchem Theater träumen wir?" zum 125. Geburtstag des Wiener Burgtheaters, der am Wochenende ebendort steigen wird, hat Norbert Mayer in der Wiener Tageszeitung Die Presse (diepresse.com, 10.10.2013, 17:45 Uhr) ein Gespräch mit Claus Peymann geführt.

Gefragt von welchem Theater er denn bitte schön träume, antwortet Peymann: "Mein Beitrag besteht darin, aus Erinnerung zu schöpfen."

Der Traum ist aus

Sein Traum vom Burgtheater sei ausgeträumt, Peter Handke, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Turrini, George Tabori, Werner Schwab und auch Hilde Spiel seien in diesem Traum vorgekommen. Aber diese Zeit sei vorbei. "Nicht nur in Österreich." Heiner Müller sei tot, Botho Strauß schreibe nicht mehr, Christoph Hein und Volker Braun "im Grunde auch nicht". - "Dafür haben wir überall Firlefanz und Schmock" (kleine Reminiszenz an die verachteten Kritiker. Eines der Lieblngsworte des großen Gerhard Stadelmaier von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist eben dieses "Schmock" - jnm).

Auch Elfriede Jelinek habe ihren Traum vom Theater ausgeträumt. Sie schreibe "keine Stücke mehr, sondern Textflächen". "Früher" sei sie "eine große Dramatikerin" gewesen. Nun arbeite sie mit den "Abschaffern des Theaters" zusammen, erfinde "keine Figuren und Geschichten mehr". Ihr Prinzip sei das "des Jazz. Sie musiziert mit der Sprache". - "Ich könnte weinen, (...) Ich liebe sie nämlich sogar." Er selber, der Peymann, käme sich wie "ein Mammut" vor, eine "anachronistische Figur".

Die Zeit der großen Kämpfe

Peymann bedauert, in seiner Direktionszeit nicht den 100. Geburtstag der Burg gefeiert zu haben. "Das Jubiläum fiel in die Zeit der großen Kämpfe. Ein großer Teil des Hauses war gegen meine Direktion." Der "Boykott des Jubiläums" habe drei besondere Gründe gehabt: Erstens sein Interview in der "Zeit", in dem er erzählt habe, der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim habe ihn in den Nacken geküsst. Zweitens die Vorbereitungen zu Thomas Bernhards "Heldenplatz". Und drittens der Plan, alle 100 Burgschauspieler bei einem Fest auftreten zu lassen, wobei die Direktoren dann aber nicht gewusst hätten, was mit jenen Burgschauspielern passieren sollte, die in der Nazi-Zeit aufgetreten seien. "Es waren ja viele, und berühmte" (was Peymann bei seiner eigenen Ernennung zum Ehrenmitglied des Burgtheaters unter den Bildern eben jener Mitmacher mit keinem Sterbenswort erwähnte - jnm).

Warten auf Erlösung

Inzwischen sei er ja "eine Kunstfigur in Wien". Außerdem "ein Denkmal, sogar in Berlin". Zwar seien "wir" nicht mehr die "politisierenden Künstler", "das können wir nicht mehr", doch sei er dehalb nicht gleich "wie Peter Stein Monarchist geworden, sondern immer noch Revoluzzer!" Wie "König Lear auf der Heide" (klänge das nicht wie "Größenwahn") tobe er in Berlin "als Theatertier zwischen Spree und Potsdamer Platz herum und warte auf die Erlösung". Er glaube noch immer an "die großen Geschichten und an die großen Schauspieler". Das macht ihn dem Anschein nach konservativ, aber diese Art Theater komme "sowieso wieder".

Es könne sein, dass "die wirren Träume von Jelinek, der wirre, kunstlose Ehrgeiz von Regisseuren wie René Pollesch ein Abbild unserer Zeit" sei. Er aber bleibe "ein Träumer von Illusionen, auch wenn es nicht mehr zeitgemäß scheint".

Die Kneipen am Dorotheenstädtischen Friedhof

Den Rechtsruck in Österreich habe er mitbekommen. "Immer wenn ich den Namen Faymann höre, erschrecke ich, weil ich denke, die haben Peymann gesagt." Doch sei ihm die österreichische Politik recht fern. Nach Wien - er sei für die Direktion des Volkstheaters angefragt worden - führe kein Weg zurück. "Berlin ist meine Endstation." Im Berliner Ensemble sei er künstlerischer Leiter, Geschäftsführer und Besitzer. "Es gehört sozusagen mir. Wenn Sie jetzt nett zu mir sind, könnte ich Sie ohneweiters zum Direktor machen." Zwar denke er darüber nach, ob er als Ehrenmitglied des Burgtheaters (und hier) sein Recht beanspruchen sollte, auf dem Zentralfriedhof begraben zu werden. Aber er ziehe es wohl doch vor in der Nachbarschaft von "Brecht, Tabori, Müller, Eisler, Hegel, Fichte, Hoppe und Sander" zu ruhen. Ein Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof habe er sich jedenfalls "vorsichtshalber bereits reserviert". "Die Kneipen sind dort auch nicht so weit entfernt wie die vom Zentralfriedhof."

(jnm)

Kommentare  
Peymann Interview: schade oder nicht schade?
Botho Strauß schreibt nicht mehr (ist das schade oder nicht schade?)
Peymann (nicht Faymann) sagt also, da der Traum (der Burgtheatertraum) für ihn aus ist und daher - ausgeträumt träumen - diese Traumzeit vorbei ist
mit Handke, Bernhard, Jelinek, Turrini, Schwab usw. - die Österreicher eben... Müller ist tot, Hein und Braun schreiben im Grunde nicht:
"Dafür haben wir überall Firlefanz und Schmock", sagt Peymann. - Und Elfriede Jelinek habe ihren Traum vom Theater aus-geträumt (ich glaube es nicht), sie schreibt also keine Stücke mehr, sondern Textflächen - und siehe da, auch Peter Handke schreibt Textflächen (Beispiel: "Immer noch Sturm") - und die Regisseure und Dramaturgen haben nichts dagegen, wahrscheinlich jubeln sie dem auch zu, denn da kommen sie ja zum Zug
(und zur Arbeit + Wirksamkeit) -
Peymann Interview: was sagt Jelinek dazu
Traum vom Theater und Abschaffung des Theaters.

Jelinek arbeitet nun mit den "Abschaffern des Theaters" zusammen, da sie keine Figuren und Geschichten mehr erfinde (was sagt Elfriede Jelinek dazu?) und sie sei früher eine Große Dramatikerin gewesen, sie musi-ziere jetzt mit der Sprache(das tun die Östreicher mit dem Deutschen sowieso - Singsang, Klingklang -im Vergleich mit den anderen Deutschsprachigen),
Jazz sei ihr Prinzip(viel Atonale Musik ist meines Erachtens auch dabei)
Ich selbst, der Schreiber, liebe Elfriede Jelinek nicht, kann sie nicht lieben, und ich könnte auch nicht wegen ihr weinen, aber doch in Depressionen durch sie kommen (würde ich sie öfter lesen . . . )
Peymann Interview: Traum ist gar nicht aus
Ich verstehe Herrn Peymann nicht. Andere Regisseure seiner Generation durchaus, zum Beispiel Frank-Patrick Steckel. Aber vielleicht muss Letzterer auch deswegen offener für Neues sein, weil er eine erwachsene Tochter hat, welche der nachfolgenden Regiegeneration angehört. Peymann dagegen benimmt sich nicht wie ein guter alter König, welcher das Alte neben dem Neuen bewahren möchte, vielmehr ist er ein Diktator geworden. Er sieht nichts ausser das Alte und sich mittendrin. Er möchte vergöttert werden und immer noch die Hauptrolle spielen. Es ist vorbei, die Zeiten ändern sich, und das Theater ändert sich mit den Zeiten, es muss sich sogar ändern, ob wir es nun wollen oder nicht. Der Traum vom Theater ist nicht ausgeträumt, und evolutionär gesehen, ist sowieso immer noch alles offen. Es geht dabei nicht um den Glauben an Erlösung und Transzendenz, schon gar nicht, wenn man so genau wie Peymann weiss, dass dem so ist. Es geht vielmehr um unser Handeln, um die Verantwortung für unser Handeln: Ob Güte oder Verbrechen, wir sind es, die darüber entscheiden können und so unsere Zukunft mitbestimmen. Das klassische Schauspiel- bzw. Regietheater wird auch weiterhin neben dem sogenannte postdramatischen Theater existieren. Und die Formen werden sich vertragen. Das Drama steckt ja noch drin im Begriff der Postdramatik, es steht nur nicht mehr im Zentrum einer Inszenierung, sondern ist ein Mittel von vielen.

@ Traum vom Theater: Warum Sie gleich Depressionen bekommen, wenn Sie Jelinek lesen, verstehe ich nicht. Sie spricht doch nur das offen aus, was ansonsten feinsäuberlich unter der sogenannten "zivilisierten Oberfläche" versteckt gehalten wird, zum Beispiel, wenn es um das Geschäft mit der Liebe geht: "Über Tiere". Genau.
Peymann Interview: Deutungshoheits-Besitz
Claus Peymann ist im Grunde unkündbar und kann seinen Nachfolger selber bestimmen. Er zählt nicht nur das ehemals berühmte BE zu seinem Besitz, sonder auch die Deutungshoheit über alle Trends nach dem "Heldenplatz". Und mit dieser Urteilskraft allein ausgestattet vergräbt er sich in Erinnerungen, (...)
Peymann Interview: gut bezahlte "arme Teufel"
(...)
Peymann sagt am Ende: Ich habe aber Mitleid mit der Politik.
Die sind doch arme Teufel! -
Aber sie sind gut bezahlte "arme" Teufel, so wie Peymann selbst auch.
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