Verbrannte Erinnerung

von Sascha Westphal

Mülheim, 8. November 2013. Entre deux – zwischen zweien, ob es sich nun um Menschen oder Dinge, Staaten oder Zeiten handelt, liegt immer ein leerer Raum, der sich alleine über die beiden Parteien, Dinge oder Zeiten jenseits seiner Grenzen definiert. Es ist eine Frage der Perspektive, was wichtiger ist: die beiden Pole oder der Raum, der zwischen ihnen entsteht?

Eroberung der Leere

Diese Frage ist das Zentrum des Theaterabends, den Fabian Lettow und Miriam Schmuck vom kainkollektiv und Martin Ambara, Gründer und Leiter des kamerunischen Theaterlabors OTHNI, in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, und in Mülheim an der Ruhr einen Theaterabend entwickelt haben. Er wirft einen Blick auf den leeren Raum dazwischen und macht sich daran, wie es im Text heißt, "die Leere zum Leuchten zu bringen". Vier Schauspieler aus Kamerun und zwei Tänzer, der Franzose Antoine Effroy und die Frankokanadierin Catherine Jodoin, die beide schon seit langem in Deutschland leben und arbeiten, erobern sich diese Leere. Jede ihrer Bewegungen und jedes ihrer Worte kommt aus einer Welt zwischen zweien und richtet sich auch an sie. Es ist Performance des Dazwischen, zwischen Kamerun und Deutschland, zwischen Tanz und Spiel, zwischen Märchenerzählung und historischer Recherche.

findemachine4 560 stephan glagla uZwischenwelt in Grün  © Stephan Glagla

Zwischen zwei Holztischen liegt die Spielfläche. Links sitzt der Videokünstler Nils Voges, der vorproduzierte Videos und Animationen einspielt und so einen Zwischenraum erschafft, ein Reich zwischen Orten und Zeiten. Ihm gegenüber auf der rechten Seite hat der Musiker und DJ Rasmus Nordholt seinen Platz, der nicht nur für den Soundtrack der Produktion zuständig ist. Er ergänzt und erweitert das Geschehen auf der Bühne zudem durch kurze Hörspiel-Sequenzen. Zwischen den beiden Tischen erstreckt sich eine große (Kino)Leinwand. Vor Jahren mussten auf Weisung der Regierung alle Kinos in Kamerun ihre Pforten schließen. Aus den ehemaligen Palästen der großen Bilder und Geschichten aus Hollywood und Nigeria, aus Europa und Bollywood, sind tote, von Geistern heimgesuchte Nicht-Orte geworden, ihrer glorreichen Vergangenheit genauso wie der Zukunft beraubt.

Das Dunkel der Nicht-Geschichtsschreibung

Die Leere vor und auf der Leinwand wird für Fabian Lettow, Miriam Schmuck und Martin Ambara zum Ausgangspunkt ihrer Befragung der Kolonialgeschichte Kameruns. 1889 haben deutsche Beamte und Militärs auf einer Lichtung im Urwald eine erste Handelsstation errichtet und damit den Grundstein für die wuchernde, sich ständig verändernde und neu erschaffende Millionstadt Yaoundé gelegt. Alles, was vorher war, liegt im Dunkel der Nicht-Geschichtsschreibung, aber auch im Licht der Legenden und Märchenerzählungen, die mündlich von Generation zu Generation weitergetragen werden. Nur haben die Europäer deren Strahlkraft nie anerkannt und sie einfach ignoriert: "Memoire brûlée", verbrannte Erinnerung nennen das François Stéphane Alima Mbarga, Junior Moïse Esseba, David Guy Kono, und Edith Nana Tchuinang. Aus deren Asche steigt "Fin de Machine / Exit.Hamlet" gleich einem Phoenix auf.

findemachine2 560 stephan glagla u© Stephan Gagla

Kamerun und Deutschland sind zunächst die gegensätzlichen Pole des Abends. In einem längeren Monolog, der nur von kurzen "Das ist normal"-Rufen der Kameruner unterbrochen wird, beschreibt Catherine Jodoin die Ankunft der Europäer in Yaoundé, die drückende Hitze und den allgegenwärtigen Lärm, die Begegnungen mit Korruption und Chaos. Das Fremde ist das Gewöhnliche. Und eben diese Erfahrung macht auch David Guy Kono in Mülheim. Die Stille und die Ordnung in Deutschland kosten ihn den letzten Nerv. In einer furiosen Tirade schimpft er auf die deutschen Straßen und deutschen Supermärkte, auf rote Ampeln und Hundehalter. Hier hat alles seinen Platz, und auch das kann einen in Rage versetzen und zur Verzweiflung bringen.

Zeitlose Tragödie

Das Fremde und das Vertraute, auch das sind zwei, zwischen denen die eigentliche Welt liegt, ein gemeinsamer Raum, der eben nicht leer ist. Davon erzählen Fabian Lettow, Miriam Schmuck und Martin Ambara auf allen Ebenen ihrer Inszenierung. Ihr eigener Text, der Shakespeares "Hamlet", "Die Zeit ist aus den Fugen", und Heiner Müllers "Hamletmaschine", "Ich stand an der Küste...", zitiert, füllt das Nichts zwischen der zeitlosen Tragödie und ihrer posthistorischen Überschreibung. Er ist wie das Zusammenspiel von Text und Tanz, Körper und Sprache, konkret und abstrakt zugleich. Scheinbare Gegensätze lösen sich auf. Eine Erfahrung, die schließlich auch das Publikum ganz direkt macht.

Einer der Schauspieler aus Kamerun erklärt, dass es bei ihnen im Theater keine Zuschauer, sondern nur Teilnehmer gibt, und fordert dann alle auf, ihre Plätze zu verlassen und auf die Bühne zu kommen. Aus der Grenz-Überschreibung wird eine Grenzüberschreitung. Nun ist auch das Publikum zwischen zweien und erlebt im Herumwandern und Zuhören, im Tanzen und Zuschauen die Welt als Raum dazwischen. Die Leere leuchtet.

 

Fin de Machine / Exit. Hamlet (UA)
Eine deutsch-kamerunische Grenz-Überschreibung
von kainkollektiv (Fabian Lettow / Miriam Schmuck) & OTHNI (Martin Ambara)
Regie: kainkollektiv (Fabian Lettow/Miriam Schmuck) Martin Ambara; Video: sputnic (Nils Voges), Musik: Rasmus Nordholt, Bühne: sputnic (Malte Jehmlich), herrwolke, Kostüm: Emese Bodolay, Produktionsleitung: Kirsten Möller.
Mit: François Stéphane Alima Mbarga, Antoine Effroy, Junior Moïse Esseba, Catherine Jodoin, David Guy Kono, Edith Nana Tchuinang.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause.

www.ringlokschuppen.de
kainkollektiv.de
othni.blogspot.de

 

 

 

Kommentare  
Fin de Machine, Mülheim: Akiééé!
Akiééééé A tara oohhh!!

Déchirez seulement le coin jusqu'ààààà!!!

Ils vont sentir leur part que sur cà!
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