Vom chaotischen Pluralismus

27. November 2013. In der Süddeutschen Zeitung berichtet Alexandra Borchardt von der internationalen Fachtagung "Online in die Politik" in Berlin (hier das Tagungsprogramm). Im Netz herrsche die Blockbuster-Kultur, so die Bestandsaufnahme. "Die 'Gefällt mir'-Gesellschaft der sozialen Netzwerke belohnt und stärkt die Sieger, die Schwachen werden bestenfalls ignoriert." Politische Inhalte spielten dabei eine weit geringere Rolle als Pornographie oder Witze. "Hinter einem 'Gefällt mir' auf Facebook verbirgt sich oft Apathie", wird Nishant Shah, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Internet und Gesellschaft in Bangalore, zitiert.

Eingehend beleuchtet der Artikel E-Petitionen als Mittel netzgestützter Bürgerbeteiligung. Von 2007 solcher E-Petitionen in den Jahren 2008 bis 2013 hätten nur elf die notwendigen 50.000 Unterschriften erreicht, die zur Vorlage des Themas im Petitionsausschuss des Bundestages berechtigen. "Dies ist nicht grundsätzlich beklagenswert. Die Demokratie braucht wirksame Filter, um arbeitsfähig zu bleiben", so SZ-Autorin Borchardt. Sie sieht aber auch die Gefahr, dass "Lobbys sich diese Gesetzmäßigkeit sehr schnell zunutze machen und Prozesse damit kapern können". Die Möglichkeit der viralen Verbreitung in sozialen Netzwerken erhöhe die Schlagkraft der neuen Lobbys.

Zudem verselbstständige sich durch einen "Mangel an Anstrengung" der Aktionismus. "E-Petitionen reduzieren die Kosten der Beteiligung und Weiterverbreitung. Es sind Mikro-Spenden an Zeit und Anstrengung", so die Politikwissenschaftlerin Helen Margetts, Direktorin des Oxford Internet Institute. Es entsteht der "gedankenlose Klick auf ein 'Ich bin auch dafür', ohne ein Thema richtig durchdrungen und verstanden zu haben". "Chaotischen Pluralismus" nenne Margetts diese Netzdynamik.

(chr)

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