Jüngst, als ihr Lebenswerk mit dem Theaterpreis "Der Faust" in ihrer Heimatstadt Berlin geehrt wurde und sie aus Krankheitsgründen fehlte, ging ein Raunen durch den Saal, als Gregor Gysi im Video-Einspieler zum Preis für Inge Keller frohlockte: "Wir müssen endlich auch mal die Großen aus der DDR würdigen."

inge keller 280 dtInge Keller © Deutsches Theater BerlinDie Großen, welch ein schillernder Begriff aus diesem Munde, für die Tochter aus hohem Hause, die mit dem späteren Chefpropagandisten der DDR Karl Eduard von Schnitzler nach Ost-Berlin ging und hier am Deutschen Theater zu einer der ersten Schauspielerinnen des Landes aufstieg, 1961 und 1977 mit dem Nationalpreis für Kunst und Literatur der DDR ausgezeichnet wurde. Als "diensthabende Gräfin der Deutschen Demokratischen Republik" bezeichnete sie sich selbst.

Die DDR ging unter, Inge Keller blieb, blieb dem DT bis in jüngste Tage mit ihrem Auftritt als Schauspieldiva Tilla verbunden. Wie eine Erscheinung aus ferner Zeit begegnete sie dem jüngeren Theatergänger als Philemon und Baucis in Michael Thalheimers "Faust II". Knorrig und aufrecht, jeder Schritt ein Meisterwerk an Präzision. Die Diktion schneidend klar, Konsonanten wie kleine Kristalle, Vokale voll tiefer Resonanz. In Robert Wilsons Shakespeares Sonette gab sie den englischen Dichterfürsten wie dem Chandos-Porträt entstiegen, mit angeklebtem Bart, fast jugendlich unter dem maskierten Antlitz, schier zeitlos. Beim "Faust"-Preis erhob Klaus Wowereit ein Diktum von Inge Keller zum Motto des Abends und eigentlich auch zum Motto für unsere reiche Bühnenwelt und ihre Widerstandsfähigkeit. "Es geht mir fabelhaft". So möge es sein! Wir gratulieren Inge Keller zum 90. Geburtstag. (chr)

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Gratulation Inge Keller: Würdigung "Die Welt ist aus den Fugen"
"Die Welt ist aus den Fugen, wie soll es das Theater nicht sein?"

Die "Gräfin" war ein Phänomen, das es in dieser "adligen" und kompromisslosen Form in der DDR eigentlich gar nicht geben durfte. Doch es gab hin und wieder Wunder, wie eben Inge Keller, die große und wunderbare Schauspielerin des Deutschen Theaters, die das Leben für alle anderen (sagen wir mal: wenigstens für die Theatergänger) seinerzeit erträglicher gemacht hat, weil man eine Ahnung von wirklicher Größe in einem Land bekam, wo in der Regel das Mittelmaß herrschte. Das sich daran so gut wie nichts, eher im Gegenteil, verbessert hat, steht durchaus nicht auf einem anderen Blatt.

Im heutigen Deutschland fühlt sich die Künstlerin Inge Keller tatsächlich nicht viel besser aufgehoben: "Meine Generation ist eine Generation, die wirklich angeschissen ist - anders kann ich das nicht ausdrücken. Es war immer Krieg. Erst die Hitlerzeit, der Weltkrieg. Dann kam die Nachkriegszeit, danach der Kalte Krieg. Und was ist jetzt? Ich sag´s mal mit Matthias Claudius: ´s ist Krieg! ´s ist Krieg! - und ich begehre, nicht schuld daran zu sein."

Inge Kellers Blick auf das Leben da draußen, wie es vor den Türen des Theaters sich austobt, verheißt ihr nichts Gutes: "Die Dramen spielen sich in der Welt ab, und die Spaßgesellschaft funktioniert. Die gefallenen Helden werden mit großen Ehren nach Hause geflogen. Und wieder frage ich mich: Warum? Wofür? Diese Kriege sind nicht zu gewinnen. Ich schalte den Fernseher zu den Nachrichten nicht mehr an, ich ertrage die Bilder nicht mehr."

Am 15. Dezember begeht Inge Keller, die ihr Leben konsequent auf der Bühne und (fast) sonst nirgends gelebt hat, ihren 90. Geburtstag. "Ich weiß nicht, wo all diese Jahre hin sind. Ich weiß nicht, wie viele Rollen ich gespielt habe, wo ich gestorben bin - auf der Bühne. Aber dann geht der Vorhang hoch, man lächelt und verbeugt sich. Dann habe ich mir gesagt, eines Tages wird nicht mehr der Vorhang hochgehen und du verbeugst dich nicht - merkwürdiger Gedanke."

Inge Keller stammt aus einem gutbürgerlichen Berliner Elternhaus, besuchte ein Lyzeum für feinere Töchter, so fein, dass es ihr gar nicht in den Sinn kam zeitlebens in irgendeiner Partei mitzulatschen. Sie landete schließlich auf einer Schauspielschule, debütierte 1942 am Theater am Kürfürstendamm. Später verschlug es sie ins Sächsische nach Freiberg, wo ein intaktes Theater stand, weil der Freiberger Bürgermeister der Roten Armee mit einer weißen Fahne entgegen lief. Eine solche Aktion nötigt ihr noch heute Respekt ab.

1950 ging sie zurück nach Berlin und kam 1952 ans Deutsche Theater, deren Ehrenmitglied sie heute ist. Ihren 85. Geburtstag hat sich noch mit einer Stefan-Zweig-Lesung im Haus an der Schumannstraße gefeiert. Ihren 90.Geburtstag wird Inge Keller, gesundheitlich nun doch angeschlagen, zu Hause im engsten Kreis der Familie begehen.

Zwischen ihrer ersten Rolle am DT, der Lorna Moon aus Odets "Golden Boy", und der Stefan-Zweig-Lesung (neben Thomas Mann und Heinrich von Kleist einer ihrer "Heiligen") liegt ein Theaterleben, das wohl einzigartig ist. Inge Keller war auf der Bühne in ihren unzähligen Rollen stets ein Ereignis, eine Wortzauberin, die den Dingen mit ihrer Sprache, mit ihrer feinsinnig nuancierten Sprechkultur, stets auf den Grund ging. Da gab es nie etwas Halbes, etwas Unverstandenes. Es ist die Perfektion par excellence, die den höchsten Ansprüchen genügt, und neben sich nichts Mittelmäßiges duldete. Auf dieser Ebene machte es für Inge Keller auch keinen Unterschied, woher einer kommt: Eberhard Esche oder Gert Voss, Fred Düren oder Bruno Ganz, Jutta Hoffmann oder Edith Clever, das waren und sind Schauspielerkollegen höchster Güte. "Das Theater ist meine Heimstätte, das ist das, was ich gelebt habe. Ich habe gelebt im Theater. Es gab Zeiten, wo ich im Monat einen einzigen spielfreien Tag hatte und letztlich nicht wusste, was ich mit diesem Tag überhaupt anfangen sollte... Meine Tochter Barbara ist ohne Vater aufgewachsen, was kaum machbar ist. Das Kind braucht den Vater wie die Mutter - und ich war im Theater."

Mag sein, dass diese kompromisslose Einstellung sehr hart war, aber Inge Keller konnte und wollte nicht aus ihrer Haut, und hat keine Abbitte zu leisten. Auch nicht für ihrer Extravaganz, die sie wie ein Schutzschild vor sich hertrug und die von Gleichgesinnten, wie Jutta Hoffmann, als „nötig und gut für diese Welt“ beschrieben wurde: „Das Kapriziöse, so hoffe ich, möge sich immer gegen das Dröge durchsetzen.“

Inge Keller hatte nie das Gefühl, sich in einen Elfenbeinturm zurückziehen zu müssen, auch nicht in DDR-Zeiten, denn "wir hatten am Deutschen Theater einen guten Spielplan." Dass der heute womöglich nicht mehr ganz so gut ist, liegt gar nicht so sehr an den Theatermachern (Inge Keller mag beispielsweise den "Stückezertrümmerer" Michael Thalheimer, in dessen Faust-II-Inszenierung sie als Wanderer, Philemon und Baucis grandios agierte), sondern an der sich wandelnden Zeit: "Die Welt ist aus den Fugen, wie soll es das Theater nicht sein?"

Aber ins Theater zu gehen, um sich nur noch erzählen zu lassen, wie grauenvoll es überall ist, kann nicht die Lösung sein: "Mir tut das Herz weh, wenn ich sehe, was da aufgeführt wird. Was sollen wir noch spielen?" Vielleicht Shakespeare. Der Regisseur Robert Wilson ("Der Mann hat mich verzaubert!) hat sie gefragt, ob sie nicht die Sonette vortragen möchte. Wilson meinte: " Sie spreche, wie Jessye Norman singt." In der Wilson-Inszenierung, die am Berliner Ensemble 2009 Premiere hatte, hielt Inge Keller tatsächlich als Shakespeare mit Bärtchen und Kniebundhose Hof und brachte die Sonette mit der ihr eigenen gedanklichen Klarheit sprachlich auf den Masterpunkt, wie man beim Bridge sagen würde.

Inge Kellers Stimme ist ein Erlebnis, das man nie und nimmer missen möchte.

Pauline Blumenstein
www.nimbus-und-disput.net
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