Kommentar zur geplanten Berufung des Schweriner Intendanten zum Leiter von Neubrandenburg / Neustrelitz
Theaterreich mit zwei Herrschern
von Georg Kasch
31. Januar 2014. Es ist noch gar nicht so lange her, da war unter Mecklenburg-Vorpommerns Theatern das Verlobungsfieber ausgebrochen. 2010 war das, der Kultusminister hieß Henry Tesch (CDU) und sein Rat an die Bühnen des Landes lautete: Such dir einen Partner, oder ich drehe dir den Geldhahn zu.
Seitdem haben sich viele der damaligen, unter Zwang entstandenen Heiratspläne in Luft aufgelöst. Der Kultusminister heißt nun Matthias Brodkorb (SPD). Zu verteilen gibt es allerdings weiterhin nur 35,8 Millionen Euro – eine Summe, die sich seit 1994 nicht geändert hat, trotz teils dramatisch gestiegener Ausgaben für Personal und Energie.
Reserviertes Ministerium
geht’s hier) –, hat die Theater- und Orchestergesellschaft Neustrelitz / Neubrandenburg jetzt Nägel mit Köpfen gemacht und Joachim Kümmritz zusätzlich zu seiner bisherigen Beschäftigung als Generalintendant in Schwerin zu seinem Leiter ernannt. Sein Vorgänger Wilhelm Denné hatte nach nur zwei Jahren entnervt das Handtuch geworfen.
Während das Kultusministerium von Mecklenburg-Vorpommern noch an der Weiterentwicklung der Theater- und Orchesterstrukturen bastelt – Grundlage ist ein Konzept der Münchner Unternehmensberatung METRUM mit neun Modellen (zum DownloadPikant: Eine Fusion (oder auch nur Kooperation) beider Häuser ist im METRUM-Papier nicht vorgesehen. Vielleicht, weil zwischen ihnen 143 Kilometer, also zwei Autostunden liegen. Deshalb reagiert das Ministerium nun auch äußerst reserviert auf die Pläne und erinnert an die Absichtserklärung der Landkreise (die zugleich Träger der Theater sind), sich mit der Landesregierung abzustimmen. Personalentscheidungen seien einstimmig zu fällen, so der Ministeriumssprecher. Möglich also, aber nicht wahrscheinlich, dass der Deal noch platzt.
Versprochene Synergieeffekte
Kümmritz will sich erst nach Vertragsunterzeichnung äußern, aber die Gründe für seine Berufung liegen auf der Hand. Er ist einer der profiliertesten Kulturakteure in Mecklenburg-Vorpommern (seit 1979 am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, seit Anfang der 1990er in der Leitung, seit 1999 Generalintendant), sein Haus ist verhältnismäßig gut aufgestellt. Und er hat einen guten Draht zu den politisch Verantwortlichen. Außerdem ist er ein erfahrener Bauherr – in Schwerin hat er immer darauf gedrängt, den historischen Theaterbau aufzupolieren, um auch mit der Verpackung Menschen zur Kultur zu locken. Im ebenfalls historischen Neustrelitzer Bau steckt noch der Muff der Vorwendezeit.
In einem kurzen, allgemein gehaltenen Statement für die Presse versprach Kümmritz: "Mit Sicherheit wird es durch diese Doppelfunktion Synergieeffekte für die Theater in Neustrelitz, Neubrandenburg und Schwerin geben." Ähnliches wiederholte er in einem Interview mit dem NDR, wo erbetonte, dass beide Häuser eine ähnliche Struktur besäßen. Auf Entlassungen und Einsparungen angesprochen, wiegelte er ab: "Solange man den Etat nicht hundertprozentig kennt, kann man auch schwer ganz klare Vorschläge machen."
"Überlegungen" allerdings gebe es schon. Ob dann das Ballett fusioniert oder die anderen Sparten zur Kooperation angehalten werden, ist also noch vollkommen offen. Dass Schwerin aber gerade weitere 30 Stellen "sozialverträglich" abbaut, wie vom Land gefordert, obwohl Kümmritz seit Jahren betont, dass die Schmerzgrenze beim Personal längst überschritten ist, und dass gerade die letzten Hürden für einen Haustarifvertrag mit der Schweriner Staatskapelle genommen wurden, lassen – zumal vor dem Hintergrund des Rostocker Ausstritts aus dem Deutschen Bühnenverein – erahnen, in welche Richtung die Mecklenburger Reise geht.
Nächste Station: Landestheater MV
Die Schauspielsparte in Neustrelitz und Neubrandenburg leitet übrigens weiterhin Wolfgang Bordel, der seit 1983 die Landesbühne Anklam führt (nebst umfassender Sommerbespielung der Insel Usedom) und vor zwei Jahren das Neubrandenburg-Neustrelitzer Sprechtheater mit übernommen hat. Sein Vertrag dort läuft zunächst (wie auch der des GMD und des Operndirektors) bis 2015. So treffen also die zwei Alphatiere aufeinander, die vor vier Jahren schon einmal fusionieren wollten. Kümmritz ist 64, Bordel 63 Jahre alt. Sollte das Kultusministerium zustimmen, erstreckt sich ihr gemeinsames Reich dann vom äußersten Westen bis zum äußersten Osten des Landes – zwischen Schwerin und Anklam liegen 206 Kilometer. Übrig bliebe nur der Norden mit Rostock und Greifswald-Stralsund. Gerade angesichts der weiterhin angespannten Situation in Rostock ist fraglich, ob diese Nordinsel langfristig bestand haben würde.
Was immerhin andeutet, wie die Zukunft der Bühnen in Mecklenburg-Vorpommern aussieht, das sich rühmt, bei den Landeszuschüssen für Theater und Orchester pro Kopf bundesweit einen Spitzenplatz einzunehmen. Das ist richtig, weil im Flächenland mit stetig schrumpfender Bevölkerung nur noch knapp 1,6 Millionen Einwohner leben (allein das Saarland und Bremen haben weniger – und deutlich weniger Theater). Den darbenden Bühnen hilft das wenig.
Nach dem jüngsten Stand versucht gerade das Mecklenburgische Landestheater Parchim, das das Kultusministerium gerne mit Schwerin fusioniert sähe, wegen des eigenen maroden Hauses im aus Spargründen geschlossenen Rostocker Theater am Stadthafen unterzukriechen – was man durchaus als Kampfansage verstehen kann. Schon unter den Ballungsplänen des alten Ministers hatte Parchim versucht, sich gegen eine Ehe mit Schwerin zu wehren, weil das einer Auflösung gleichkäme.
Sollte diese Strategie aufgehen, dann wäre das räumlich ebenso unlogisch wie die Verbindung Schwerin-Neubrandenburg (zwischen Schwerin und Parchim liegen 45 Kilometer und gute 40 Autominuten, zwischen Rostock und Parchim 125 Kilometer und dank Autobahn 80 Fahrminuten). Aber es würden sich zwei Theaterballungsräume herauskristallisieren, die in eine magere, nicht mehr allzu ferne Zukunft weisen: eine (oder zwei) Landesbühne(n) mit vielen PS und transportablen Produktionen.
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das trifft so wie Sie es schreiben nicht zu.
Vielleicht meinen Sie die Renovierung des Zuschauersaales des Großen Hauses in Schwerin?
In den 90er Jahren wurden dann in der Tat in mehreren Abschnitten mehr als 1 Mio DM in die Renovierung des Gebäudes des Mecklenburgischen Staatstheaters investiert. Das Geld kam aus dem Strukturfonds für Erneuerung und Erhalt der Kulturbauten Ost oder wie das hieß. Damals wurde zum Beispiel das Dach erneuert. Auch die Kammerbühne wurde zurückverwandelt in das Konzertfoyer und stattdessen das E-Werk am Pfaffenteich als kleinere Spielstätte vornehmlich für Schauspiel ertüchtigt. Das alles begann in der Zeit der Dreierintendanz Saladin (Musiktheater), Waszerka (Schauspiel), Kümmritz ("Ökonom"). Und in der Tat war Joachim Kümmritz auf Seiten des Theaters der Bauherr, der es auch verstand, für das Schweriner Haus das Geld locker zu machen.
http://www.svz.de/mv-uebersicht/mv-kultur/walpurgisnacht-im-bade-id5550661.html