Die Sprache der Dating-Profile

von Steffen Becker

Pforzheim, 8. Februar 2014.Die ungebrochene Aktualität des William Shakespeare ist ein oft verwendeter Gemeinplatz. 450 Jahre ist es jetzt her, dass er das Licht der Welt erblickte, aber sein Werk sei trotzdem "immer noch hochmodern, immer noch heutig", sagt auch Pforzheims Intendant Murat Yeginer. An seinem Haus bringt er die Komödie "Was ihr wollt" auf die Bühne. Und schafft es tatsächlich, den Klassiker mit dem Leben der Zuschauer sehr eng zu verknüpfen.

Die Handlung entblättert sich wie das Liebesleben geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit – man stellt etwas dar, was man nicht ist, um das Objekt der Begierde aufmerksam zu machen. Dessen Raster ist aber ein anderes als vermutet, weil es sich ja auch verstellt. Und alle zusammen wissen sie nicht, wie sie ihre Gefühle und Verwirrungen dem Gegenüber verständlich machen sollen. Dazu braucht es schon ein Klavier, an dem Herzog Orsino (Peter Christoph Scholz) den Tim Bendzko macht (auch optisch) und dessen Hit "Wenn Worte meine Sprache wären" zum Besten gibt.

Fast nur gute Partien

Die als Mann verkleidete Schiffbrüchige Viola (Rashidah Aljunied) schickt er aber nicht mit den berührenden Zeilen des Songs zu seiner Angebeteten, der Gräfin Olivia (Christine Schaller). Der Befehl lautet vielmehr, sie so lange zu spammen, bis sie sich seinen Heiratsbemühungen ergibt. Olivia verliebt sich aber in den falschen Knaben, zeigt dabei aber ebenfalls offenbar zeitlos gültiges Dating-Verhalten.

Erst mal ein Profil der eigenen körperlichen Vorzüge anlegen ("sieh dir mein Gesicht an, keine schlechte Arbeit"). Dann betont cool bleiben, solange man nichts Genaues weiß über den Kerl. Ähnlich gehemmt schmachtet Viola den Herzog an und kann als "Mann" sich nur andeutungsweise auf dem Klavier an ihn herantanzen. So sind bei Shakespeare fast alle Figuren an eine andere gekettet, so dass die Sehnsüchte einmal reihum ins Leere laufen.

Am interessantesten sind für Murat Yeginer jedoch die Figuren, die bei Shakespeare tragische Qualitäten offenbaren. In Pforzheim ist das vor allem Malvolio, der als Hofmeister Olivias arbeitet und unsterblich in sie verliebt ist. Eine Figur, die man als "keine gute Partie" bezeichnen würde. Mittlerer Angestellter, Stock im Hintern, unsouveränes Auftreten, schlechter Kleidungsstil. Jemand, vor der man sich geschützt fühlen will, wenn man sich bei Elite Partner anmeldet.

was ihr wollt pforzheim 560 sabine haymann xLove hurts: Mathias Reiter als Haushofmeister Malvolio in "Was ihr wollt". © Sabine Haymann

Chance des Lebens

Dass er der erste ist, der (aufgrund einer Intrige) die Maske fallen lässt, bekommt ihm dann auch nicht. Mathias Reiter spielt diesen verklemmten Typen so exaltiert wie ein Mann nur sein kann, der die Chance seines Lebens vor sich sieht und am Ende als Illusion erkennt. Die lange zurückgehaltenen und dann explodierenden Emotionen gelingen ihm brillant. Dafür gibt es mehrfach Szenenapplaus – und von ihm als Schlusswort die Drohung "ich bring' euch alle um".

Auch die weiteren Verlierer des Liebesreigens stoßen auf das besondere Interesse von Regisseur Yeginer. Da wären Sir Andrew Leichenwang, der ausgenommen wird von Gräfin Olivias raffgierigem Onkel (Jens Peter als eine umwerfend überdrehte bunte und abgebrannte Version von Dr. Evil aus Austin Powers). In heutigen Maßstäben gedacht wäre er der Typ, der nur auf Partys mitdarf, wenn er den Chauffeur gibt oder die meisten Runden schmeißt. Fredi Noël erledigt die Aufgabe, den "Blödi" mit Topffrisur allen Unsinn mitmachen zu lassen, mit Hingabe zum Slapstick - aber auch der Prise Melancholie von Menschen, deren Chatprofile nie angeklickt werden.

Stinknormales Happyend

Der Schiffshauptmann Antonio (Raphaèl Nybl) könnte in sein Planetromeo-Profil Rubber als Fetisch eintragen. Im Taucheranzug rettet er Violas Bruder Sebastian (Timo Beyerling) mit einem Zungenkuss vor dem Ertrinken. Auch sonst ist er die einzige Figur, die aus ihrem Begehren keinen Hehl macht. Und damit am Ende leer ausgeht. Für eine kurze Maskerade sind die Wechsel der Geschlechts- und sexuellen Identitäten ein anregendes Spiel, doch das Happy End besteht aus der Konformität normaler Hochzeiten.

Die Freaks, die sich dieser nicht unterwerfen (können), geben dem Pforzheimer Abend eine ernste Komponente. Die harmoniert trotzdem mit der knallbunten Verwechslungskomödie, die sich vor einer Wand blühender roter Rosen entfaltet. Der Tanz der Gefühle findet ansonsten auf einer sehr reduzierten Bühne statt. Ideales Terrain für raumgreifendes Spiel, dem sich ein bestens aufgelegtes Ensemble ausgiebig hingibt. Dem Schlussapplaus zu urteilen war es genau das, was das Publikum wollte.

Was ihr wollt
von William Shakespeare
Inszenierung: Murat Yeginer Bühne und Kostüme: Beate Zoff Musik: Paul Taube Dramaturgie: Andreas Kahlert.
Mit: Peter Christoph Scholz, Timo Beyerling, Raphaèl Nybl, Jens Peter, Fredi Noël, Mathias Reiter, Holger Teßmann, Christine Schaller, Rashidah Aljunied, Katrin Rehberg.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause.

www.theater-pforzheim.de

 

Kritikenrundschau

Regisseur und Schauspieldirektor Murat Yeginer legt aus Sicht von Rainer Wolff von der Pforzheimer Zeitung (10.2.2014) "erkennbar Wert auf flottes Entertainment, das die elisabethanischen Wurzeln des Lustspiels beherzt kappt und das Geschehen eher in die überdrehte Ausgelassenheit eines neuzeitlichen Irgendwann verlegt." Doch hat Yeginer seinen Shakespeare aus Kritikersicht mit etwas zu leichter Hand inszeniert. Entscheidende Defizite weist Wolff zufolge besonders die Gestaltung der Hauptrollen Olivia und Malvolio auf: Rashidah Aljunied bleibe "der androgynen Ambivalenz der Viola schon sprachlich zu viel schuldig und spielt die interessante Partie als Girlie auf Irrwegen". Noch bedauerlicher mute die Darstellung des Malvolio durch Mathias Reiter an. "Dieser Schauspieler, der in anderen Rollen großartiges Format bewiesen hat, ist durch eine offenkundige Fehlleistung der Regie zu einem Zerrbild dieser Figur geraten".

Ganz in Silber getaucht sitzt der Narr auf einer Stange, der Mantel verdeckt die kleine Sitzfläche, so dass es aussieht als schwebe er, "genau dieser Spagat zwischen Illusion und Realität, zwischen Gestern und Heute, gelingt hier besonders gut", schreibt Ute Bauermeister im Pforzheimer Kurier (10.2.2014). Murat Yeginer lasse am Pforzheimer Schauspiel die unverwüstliche Komödie "Was ihr wollt" in einem neuen Licht erstrahlen lassen. "Zwei Stunden Spaß mit tollen Darstellern, ein draller Augenschmaus, gespickt mit Denkanstößen begeisterte das Premierenpublikum."

 

 

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