Die größste Kränkung

26. Februar 2014. "Es war ein Fehler, Schauspielerin zu werden", sagt Anne Tismer im Gespräch mit Dirk Pilz, der sie für die Neuen Zürcher Zeitung porträtiert. "Ich hätte gleich machen sollen, was ich jetzt mache: bildende Kunst." Anne Tismer arbeitet Pilz zufolge an Objekten und Gemälden, baut Skulpturen, entwirft Aktionen und lebt inzwischen in größtenteils Togo.

Vor vier Jahren hat sie in einem Interview über ihre Zeit als Schauspielerin am Stadttheater gesprochen: So ein Stadttheater sei ein schlimmer chauvinistischer Ort. "Am ärgsten aber: Freie künstlerische Arbeit für Schauspieler sei weder vorgesehen noch erwünscht. Schauspielerei an einem Stadttheater? Sie verachte das inzwischen.

Anne Tismer, so Dirk Pilz, habe zu den Grossen im teuren Theaterkarussell gehört. Aber es habe zehn Jahre gedauert, zitiert er Anne Tismer, bis man sie akzeptierte. "Ihr sonderbar seelenzittriges Spiel, ihre störrische Eigenart. Sie sprach auf der Bühne ja nicht, wie Schauspieler gewöhnlich sprechen, sie balancierte die Worte über ein Silbengeröll, das unvermittelt herabstürzen konnte. Immer war es, als nehme sie jeden Satz, um ihn über Eck zu legen und auf seine Haltbarkeit zu prüfen. Immer stellte sie ihre Figuren mit einem Bein in die Seele des Stückes, mit dem anderen in ein gefährliches, unvermessenes Irgendwo. Jede Theaterfigur sah bei ihr aus, als wolle sie ein eigenes Spielreich erschaffen. Vermutlich hätte Michael Haneke sie irgendwann angerufen, oder Lars von Trier."

Viele würden Anne Tismer nicht verzeihen, schreibt Pilz, ihre Karriere hergeschenkt zu haben. "Sie verläppere ihr Talent, das ist der Standardvorwurf. Es gibt keine grössere Kränkung für den Theaterbetrieb, als diesen links liegenzulassen."

(sle)

 

 

Kommentare  
Presseschau Anne Tismer: nicht verachten
Wieder eine ferne prominente Stimme, die egal-pauschal gegen "das Stadttheater" mobil macht. Warum bitte ist diese unpräzise Hass-Attacke eine Meldung wert? Warum bitteschön? - Wer noch konstruktiv denken kann: lasst uns "das Stadttheater" nicht verachten, sondern reformieren. An alle Un- oder Halbprominenten U40: gehen wir an die Stadttheater arbeiten, bilden wir uns fort und fangen wir an, neue Produktionsformen AM STADTTHEATER zu fordern! Come on!
Presseschau Anne Tismer: Dankbar
liebe nr 1. es ist wirklich allerhöchste Eisenbahn das zu benennen, was die meisten eh schon wissen. Stadttheater sind zu 90% kunstfeindliche orte, an denen die Dummheit und Machtgeilheit dominieren. Kreativität, Wagemut, Bekenntnis zu einander können sie in diesem lamoryanten, neurotischen Betrieb seltenst finden. Konsequent beschissen ist die vorherrschende Stimmung bei fast allen Beteiligten, die zumeist aus Angst und nicht aus Lust weitermachen und dabei eine Schneise der psychischen Verwüstung hinter sich herziehen - eingedenk eines Kunstbegriffs aus dem 19. Jahrhundert. Man muß Frau Tismer dankbar sein, dass sie den Möglichkeitsraum wieder eröffnet. Es gibt ein Heil in der Welt ohne kleingeistige Intendanten und Verwalter.
Presseschau Anne Tismer: Austausch statt Motzen
Das ist wahr, aber ich bekräftige nochmal: naives bashen bringt gar nichts. Reingehen, kapieren (schwer genug die heutigen, sich wandelnden Betriebsformen und Abläufe zu verstehen!), dann alles auseinandernehmen und neu machen. Stadttheater von innen verändern. Kooperation statt Konkurrenz. Austausch statt Motzen.
Presseschau Anne Tismer: meistens grandios
Diesmal ein schöner Artikel von Dirk Pilz,

ich habe Anne Tismer immer geschätzt, auch in der Phase nach dem Staatstheaterbetrieb. Ihre Performances waren meistens grandios.
Viel Glück in Togo
Presseschau Anne Tismer: was mich irritiert
Jetzt geht das hier schon wieder los mit dem – okay, ich benutze das jetzt auch einmal, weil offenbar alle auf dieser Seite damit was anfangen können: Stadttheater-bashing. Das nervt extrem und es nervt außerdem, dass sich mit dieser offenbar brennend wichtigen Debatte keine Wissenschaftler ordentlich befassen und das dann für hier einmal auswerten, damit die Theatermacher jeder Art einfach konzentriert ihre Arbeit machen können. (Bahn frei für die gefährdeten Leipziger also…)
Was mich irritiert und auch schon in dem o.e. damaligen Interview von Tismer irritiert hat, ist was, was mich immer total irritiert, wenn ich einmal so etwas von jemandem höre: ich habe damals das und das gemacht und das war ein Fehler! … Ich weiß immer nicht, wie die Leute ihren Moment denken und empfinden können, wenn die ihre Umwege, die vielleicht weh- oder anders nicht gutgetan haben, bereuen und als Fehler sehen… Als sei das Leben eine Rechenaufgabe! Ich will das dann immer verstehen, aber ich kann es einfach nicht… Geht nicht immer ALLES was vorher war ein in das, was man gerade tut oder denkt und fühlt? Und ist DAS nicht gerade ein ungeheurer Freudenquell, zu entdecken und anzunehmen für sich, was genau das ALLES war? – Werd ich nie kapieren, diese Art reuige Bekenntnisse...
Presseschau Anne Tismer: Umwege
vielen dank für Ihren beitrag. exakt so geht es mir auch. in der nachschau......ja klar. doch ist das nicht das Leben und gehört es nicht gerade zum leben des gelebten Lebens. die Umwege, die verzweigungen, Fehler und Irrtümer.
Presseschau Anne Timser: love the errors
zu 6.: Yes. I love the errors, weil: In der Nachschau lösen sie sich eben i m m e r in gelebtes Leben auf und davon hat man, also jeder, ja nur eins, ist also im Einzelfall i m m e r wunderbar, egal wies ist und war-
Presseschau Anne Tismer: Neuerfindung
Was mich ein bisschen betrübt ist, dass die beiden Regie-Abende, die ich von ihr gesehen habe, "Der ganz diskrete Charme der Bourgeoisie", Theater Thikwa vor ein paar Wochen, und der Hitler-Abend vor einigen Jahren im Prater, nicht so gut waren wie Tismers Schauspiel-Leistungen, z.B. Nora, "Wunschkonzert" (Kroetz) oder Hannele unter Jürgen Kruse vor Urzeiten in Frankfurt (unvergesslich).
Aber vielleicht erfindet sie sich ja gerade neu und in 10 Jahren hat sie etwas gefunden, was atemberaubend ist.

Im übrigen finde ich: Stadttheater kann furchtbar oder wunderbar sein, je nachdem wer da das Sagen hat. Und manchmal bringen höllische Produktionsbedingungen ja auch himmlische Produktionen hervor (Zadek konnte ganz schön eklig sein) und umgekehrt.
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