Kreaturen im Dickicht des Unergründlichen

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt, 16. März 2014. Sie erinnern an unter die Räder geratene Teletubbies oder Lemuren oder Riesenbabies oder Buddhaköpfe. Sie stecken in unterwäschenunartiger Kleidung und tragen über ihrem Kopf einen weißen Schädel, der statt Augen und Mund klaffende Löcher aufweist. Damit glotzen und staunen sie (es sind vier, obwohl seltsamerweise überall nur drei angegeben sind) ins Publikum, bis einem ganz anders wird.

Einer von ihnen ist der Landvermesser K., der in ein am Fuße eines Schlosses gelegenes Dorf kommt und dort eine Herberge sucht, um sich später auf den Weg zum Schloss zu machen, wo er allerdings nie ankommen wird, obwohl es in Sichtweite liegt. Wer da vollends durchsteigt, ist zu beglückwünschen, viele werden es nicht sein, lebt Franz Kafkas Roman "Das Schloss" doch auch von seiner offenkundigen Rätselhaftigkeit.

Gespensterabend

Kafka für die Bühne zu bearbeiten ist seit langem gängige Theaterpraxis – als eines der prominentesten Beispiele darf Andreas Kriegenburgs brillanter Der Prozess dienen. In der Frankfurter Ausprobier-Spielstätte Box hat nun der Regisseur Ersan Mondtag "Das Schloss" zu einem nicht einmal eineinhalbstündigen Gespensterabend verdichtet. Mondtag, Mitglied des Frankfurter Regiestudios, das Nachwuchsregisseuren die Möglichkeit gibt, sich stilistisch zu entwickeln, ohne sich finanziell zu ruinieren, versucht erst gar nicht, Kafka zu dechiffrieren, sondern kontert ihn konsequent mit eigenen Bildern.DasSchloss1 560 KarolinBack uKafkas Schlossgespenster © Karolin Back

Auf der Bühne liegt kunstvoller Kunstschnee, an der Hinterwand zeigen Prospekte einen Kinderwald, davor wartet ein Schlitten, rechts befindet sich ein Bretterverschlag, der alles mögliche ist und sein wird, weil er sich praktischerweise in Einzelteile zerlegen und verschieben lässt. Zu Beginn des Abends ertönt paradiesisches Vogelgezwitscher, dann zeigen die Figuren zum ersten Mal ihre monströsen Köpfe und sehen dabei wahlweise wie die ersten oder die letzten Menschen aus. Kreaturen, die Pimmel und Vagina über der Hose tragen und so die Verrohung des Begehrens, die im Roman zur Sprache kommt, anschaulich machen.

"Ich will mein Recht!"

Verena Bukal spielt Frieda, die Frau, mit der K. ein Verhältnis beginnt, um zum Schloss zu gelangen. Und es ist schon frappierend, wie es der Schauspielerin gelingt, trotz der klobigen Maske und ihrem ausgestopftem Körper, ihre Figur mit nervöser Feinheit und flehendem Zartgefühl auszustatten. Zuweilen klingen die Wesen auf der Bühne wie brabbelnde Babys, dann wieder wie fremdgesteuerte Roboter, nie aber wie Du und ich. Mondtag vertraut zu Recht darauf, dass Realismus kein Allheilmittel der Wahrheitssuche sein kann und erschafft lieber eine (alp)traumartige Parallelwelt, die auch die Außenwelt der Innenwelt sein könnte.

Einmal strahlt Flackerlicht auf, es beginnt dröhnend zu donnern, und ein bedrohlicher Existenzkampf startet. "Ich will mein Recht!", schreit K. und tönt dabei, als forderte er es für uns alle. Eine beängstigende Szene, die nichts erklärt, aber vieles verdeutlicht. Immer wieder flößen einem die Bilder dieses Abends ein diffuses Unbehagen ein, dann wieder sind sie richtiggehend rührend, etwa wenn sich zwei aneinander schmiegen und die Fremdheit durch Geborgenheit zu überwinden suchen. Und dann wieder kommt man sich selbst vor wie der Landvermesser K. persönlich, der ja auch keinen Weg findet, um an (s)ein Ziel zu gelangen, sondern sich immer tiefer ins Dickicht des Unerklärlichen schlägt.

So weit, so gut, doch das Ganze macht auf die Dauer ein bisschen schläfrig. Dabei wüssten wir gar nicht zu sagen, an was oder an wem das genau liegt. An der Inszenierung? An der schuhschachteligen Spielstätte? An Kafka? An uns? Am Sonntagabend? Wahrscheinlich ein bisschen an allem.

 

Das Schloss
nach Franz Kafka
für die Bühne bearbeitet von Rebecca Lang
Regie: Ersan Mondtag, Bühne: Julia Scheurer, Kostüme: Ersan Mondtag und Lutz Erkens, Musik: Samuel Penderbayne, Dramaturgie: Rebecca Lang
Mit: Verena Bukal, Lena Lauzemis, Christian Erdt.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Mondtags Kafka-Inszenierung sei eine "szenische Entladung aggressiven Potentials", so Claudia Schülke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.3.2014). Auch Kafkas Roman sei destruktiv. "Nach etwa 50 Minuten in der stickigen Box beginnt ein ohrenbetäubender Radau mit Stroboskop-Einsatz. Das ganze Haus bebt. Rette sich, wer kann, denkt man. Aber das Publikum ist schon einiges gewöhnt. Es harrt aus. Fünf Minuten lang im Lichtblitzgewitter." Das Bühnenbild könne sich sehen lassen, "der Rest nicht". Und doch gebe es einen Moment, da man aufhorcht. "In der Kafkaschen Bürokratie dieses Schlosses geht es zu wie im deutschen Verfassungsschutz: Missverständnisse häufen sich, Akten verschwinden oder kommen in falschen Abteilungen an." Dann müsse sich K. auch noch anhören: "Sie sind nichts." "Und wenn doch, dann: 'ein Fremder, der überall im Weg ist'. Kein Wunder, dass K. dauernd schwächelt und der Jungregisseur Wut im Bauch hat."

Von den Riesenbabys zeigt sich Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (18.3.2014) durchaus beeindruckt. Allerdings: "Denkt man sich das ohne Masken, ist es eine bescheidene Illustration einiger Kafka-Dialoge unter einem gelegentlichen Zusammenschieben und Umkippen der Kulissensteckteile. Die Frage, ob man mit K. und seiner Situation fertig wird, indem man ihn als Baby nach seinem Recht plärren lässt, steht zudem dahin."

"Eine Aura des Geheimnisvollen verströmt diese Inszenierung", findet hingegen Stefan Michalzik im Wiesbadener Kurier (18.3.2014). Allerdings: Ob es sich um das gleiche Geheimnis handele wie bei Kafka? "Man mag bekritteln, dass die Angelegenheit über den Charakter einer Fingerübung nicht hinausweist, aber es handelt sich um eine interessante", und der Regisseur verhebe sich deshalb nicht an Kafka, "weil er den Reichtum an Resonanzen seiner Prosa unbefangen links liegen lässt".

"Mehr als nicht übel, das Ganze", sekundiert Marcus Hladek in der Frankfurter Neuen Presse (18.3.2014). "Nachwuchs-Regissuer Mondtag und die Darsteller nähern sich spielerisch über die Dialoge; ihre Kindlichkeit ist die einer Schar Kafka-Teletubbies, die unter ihren Masken scheinbar auf subtile Nuancen verzichten, gerade dadurch aber – mittels Vergröberung, Clownerie und anderem mehr – eine erhellende Distanz ermöglichen."

 

Kommentare  
Das Schloss, Frankfurt: Leistung
"So weit, so gut, doch das Ganze macht auf die Dauer ein bisschen schläfrig" , wobei das Ganze dauert nur 1 Stunde und 15 Minuten. Mensch, das ist eine Leistung!
Schloss, Frankfurt: nicht Kafkas Schuld
An Kafka liegt es sicher nicht. Soviel ist gewiss.
Schloss, Frankfurt: keine Chance – nutze sie!
Junge Menschen mit Stoffen wie Kafkas "Schloss" überfordern_
Die Bühnen bekommen diese jungen Menschen zum (nahezu) Nulltarif und darum geht es letztlich!!! Nicht nur in Frankfurt.
Da hat die Bühne doppelt verdient: denn die Aufmerksamkeit giert nach permanent neuen "Entdeckungen". Diese kommen haufenweise von den Hochschulen...gänzlich ohne Perspektive...und springen durstig auf alles was sich bietet. "Du hast keine Chance_ aber nutze sie"
Wenn dann von hundert Eine(r) länger durchhält rühmt sich das Haus und die Dramaturgie mit der "Entdeckung". Diese wird dann oftmals beschleunigt, bis das Interesse verebbt und alle sagen die oder der inszeniert doch "Immer die gleiche Masche".
Schloss, Frankfurt: nicht allein beim Nicht-Begreifen
Als ich "Das Schloss" las, da habe ich einiges nicht so richtig begriffen. Nach der Aufführung weiß ich, dass ich nicht der einzige bin.
Schloss, Frankfurt: Zitat
"... aber das Interesse der Leute ist ja sehr verschiedenartig.
Ich hörte einmal von einem jungen Mann, der beschäftigte sich
mit den Gedanken an das Schloss bei Tag und Nacht. Alles andere vernachlässigte er. Man fürchtete für seinen Alltagsverstand,
weil sein ganzer Verstand oben im Schloss war."

(Kafka, Das Schloss)
Das Schloss, Frankfurt: wozu?
klar kann man sich an Kafka nicht verheben, wenn man ihn links liegen lässt. nur wozu dann das ganze?
Schloss, Frankfurt: Übermaß an Rationalität
Wenn die Figur des K. hier nichts weiter als ein kleiner, ununterscheidbarer Schreihals ist, dann ist das auch in meiner Wahrnehmung tatsächlich zu wenig für die Auseinandersetzung mit Kafkas "Das Schloss". Denn das wahrhaft Beklemmende dieses Romans ist doch die undurchschaubare Bürokratie der Aufteilung der Menschen in die weltlichen Kategorien "Diener" und "Herren". Und das geschieht nicht aus einem Übermaß an primären Bedürfnissen heraus (wie bei einem Baby), sondern aus einem Übermaß an einer erstarrten, pervertierten Rationalität bzw. Herrschsucht und Machtlust einer kleinen Elite gegenüber einer Macht, die auf dem gemeinsamen Willen aller beruhte.
Schloss, Frankfurt: Romane nicht auf die Bühne
Ich seh das so, Inga: Romane gehören nicht auf die Bühne, Punkt.
Ausnahme: Hörspiel-/Bühnenfassungen von Romanen, die vom Romanautor selbst verfertigt wurden, könnten schon auf die Bühne gehören, wenn eine Dramaturgie oder Regie das sinnvoll im Moment findet.
Das Beklemmende am „Schloss“ ist meiner Ansicht nach die mit Standesdünkel behaftete Selbstverständlichkeit mit der hier Herrschaft anerkannt und wodurch Dienerschaft pervertiert wird. Es ist merkwürdig, dass die großen Denker Herrschaft und Knechtschaft immer zusammengehörig und sogar in/als Eines denken konnten. Erst die Trennung in hier das eine und dort das andere erzeugt die kleingeistige und (klein)bürgerliche Dünkel-Variante, die das Denken pervertiert. Mit der hatte Kafka ja viel Erfahrung sammeln können…
Schloss, Frankfurt: gemäßigte Vinge-Müller-Ästhetik
Gemäßigtere Variante der Vinge/Müller-Ästhetik.
Schloss, Frankfurt: Spiegel vorgehalten
Ich hatte viele Assoziationen bei diesem Stück: Merkel,Putin, Stuttgart 21, Vorgesetzte, Diktatoren.... Es werden keine Dialoge geführt, sondern von oben nach unten regiert, reagiert. Die Personen haben keine Beziehung zueinander, zeigen keine Empathie,keine intensiven Gefühle was durch die Masken gut ausgedrückt wird. Die Bürokratie ist wichtiger als die Bedürfnisse der Menschen. Der Landvermesser ist der einzige, der versucht eine Mauer zu durchbrechen, sich zur Wehr setzt und scheitert. Es gibt kein gegenseitiges Verstehen und kein gemeinsames Handeln.
Wurde uns hier nicht ein Spiegel vorgehalten?
Renate 19.3.2014
Das Schloss, Frankfurt: Diener und Herren
@ D.Rust: Ja, eben. Standesdünkel gegenüber der Akzeptanz verschiedener Lebensformen und vor allem Lebenserzählungen. Es geht also nicht um die Erstarrung der dualen Begriffsopposition Diener hier und Herren dort. Vielmehr ist jede/r im Leben situativ einmal Diener und ein anderes Mal Herr. Kafka macht genau das deutlich, indem er sich über die Figur K. zum Beispiel fragt, ob die Diener sich nicht mit ihrer Unterdrückung identifizieren bzw. ob die Herren die Diener nicht im Grunde nur dazu brauchen, um sich weiterhin als Herren zu fühlen. So spricht ein Diener hier zu K.:

"Habe er denn nicht bemerkt unter welchen Schwierigkeiten die Aktenverteilung vor sich gegangen sei, etwas an sich Unbegreifliches, da doch jeder der Herren nur der Sache dient, niemals an seinen Einzelvorteil denkt [ach, ja?!, I.] und daher mit allen Kräften darauf hinarbeiten müßte, daß die Aktenverteilung, diese wichtige grundlegende Arbeit, schnell und leicht und fehlerlos erfolge? Und sei denn K. wirklich auch nicht von der Ferne die Ahnung aufgetaucht, daß die Hauptsache aller Schwierigkeiten die sei, daß die Verteilung bei fast verschlossenen Türen durchgeführt werden müsse, ohne die Möglichkeit unmittelbaren Verkehres zwischen den Herren, die sich mit einander natürlich im Nu verständigen könnten, während die Vermittlung durch die Diener fast stundenlang dauern muß, niemals klaglos geschehen kann, eine dauernde Qual für Herren und Diener ist und wahrscheinlich noch bei der späten Arbeit schädliche Folgen haben wird. Und warum konnten die Herren nicht miteinander verkehren?" (Kafka, "Das Schloss")
Das Schloss, Frankfurt: dialektisch gleichzeitig
Jo, sind wir uns doch einig, was Kafka betrifft. Außer, dass es beides (HerrschenundDienen) gleichzeitig geht, in der gleichen Situation. Das ist eben dialektisches Denken...
Das Schloss, Frankfurt: Berufsverbot
ich bin nach dieser Inszenierung geneigt , nach Berufsverboten für solche Regisseure zu rufen.

Man möge sich in diesem Zusammenhang den verquasten Wichtigtuertext auf der Homepage des Frankfurter Schauspiels über Ersan Mondtag zu Gemüte führen, dann weiss man mit was und wem man es zu tun hat , below zero !
Das Schloss, Frankfurt: ... liest sowieso nicht ...
na wer an diesem lebenslauf etwas auszusetzen hat, der liest sowieso nichts, was nach 1950 geschrieben wurde.
Das Schloss, FFM: Neigungen
Glücklicherweise ist es völlig egal wozu Sie neigen, peschek. Ehrlich gesagt möchte ich auch nicht wissen, wozu Sie noch so neigen.
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