Seid misstrauisch!

von Birgit Walter

24. Mai 2014. Der Vorgang könnte sich so abspielen. Ein amerikanischer Produzent kommt nach Berlin und will hier große Oper zeigen. Er mietet ein Theater, engagiert Orchester, Sänger, Regisseure und macht viel Reklame für seine Stücke, denn mit denen will er Geld verdienen. Da lacht der Opernfreund, denn er weiß: Große Oper und selbst großes Theater ist so dermaßen teuer, dass damit im Normalfall keiner Geld verdient, sondern welches ausgibt. Der Amerikaner kommt trotzdem, und zwar mit der Idee, nach Berlin-üblichen Marktbedingungen zu arbeiten. Er verlangt Subventionen, nicht mehr und nicht weniger als die Stadt für die Komische Oper ausgibt oder für das Deutsche Theater. Der Fremde beruft sich auf ein starkes Argument – das Wettbewerbsrecht. Er will nicht schlechter gestellt sein als die Konkurrenz. Berlin hätte unter diesen Rechtsbedingungen zwei Möglichkeiten. Die Stadt könnte aufhören, ihre Staatstheater zu subventionieren oder dem Fremden dieselben Bedingungen gewähren. Beides könnte die deutsche Theaterlandschaft nicht überleben.

klaus-staeck manfred-mayer xKlaus Staeck, Präsident
der Akademie der Künste,
kämpft gegen TTIP.
© Manfred Mayer
Alles bloß Schwarzmalerei?

Kulturfeindliche Szenarien wie diese werden derzeit auf Kulturkanälen für das künftige Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) ausgemalt. Die oben beschriebene Bedrohung stammt aber nicht von 2014, sondern von 2003. Sie wurde damals auch mit Ernst und Verve diskutiert, unter der Annahme, die kulturelle Vielfalt sei bedroht. Auslöser war nicht das TTIP, sondern das sogenannte GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation WTO, das den Handel mit Dienstleistungen liberalisieren soll: Gleiche Rechte für alle, für In- und Ausländer. Kulturverbände und Attac protestierten, Artikel wie dieser in der Berliner Zeitung veranschaulichten eine bizarre kulturelle Zukunft – aber dann war Ruhe. Es folgte – nichts.

Wer kann heute noch aus dem Stand das GATS-Abkommen benennen (General Agreement on Trade in Services)? Die deutsche Hauptstadt unterhält ihre Opern weiter, wie es ihr beliebt, von Gerechtigkeit keine Spur, und das ausgeschmückte Szenario wirkt aus dieser Perspektive direkt ein bisschen peinlich. Haben wir Schwarzmaler uns wieder der German Angst hingegeben? Hat etwa der schneidige FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff Recht, wenn er die heutige vermutlich viel ernstere TTIP-Debatte als Panikmache abtut und als "Alte Denke", wie er es nennt?

GATS hat sich vorübergehend in Luft aufgelöst. Aber nicht wegen des Respekts vor kulturellen Werten, sondern weil sich andere Bereiche brachial zur Wehr setzten, die Landwirtschaft zum Beispiel, die Gesundheits- und Bildungsbranche. Deswegen liegt das GATS-Abkommen seit 2005 auf Eis.

Wir wollen Marktverzerrung

ttip-stop 280 roth-cartoons.de uPanikmache oder berechtigte Sorge?
© roth-cartoons.de
Ja, vielleicht ist Vorsicht geboten, wenn Kulturleute jetzt erneut zum Protest in die Bütt steigen, im Angesicht von Liberalisierung den Ausverkauf der Kultur prophezeien. Wenn die Warnungen heißen: "Kultur darf nicht zur Handelsware verkommen!" Ja, was denn sonst? Kultur war immer Handelsware. Bücher, Filme, Bilder und Stücke entstehen nicht, um Freunde und Familie zu erfreuen, sondern um verkauft zu werden. Alle zusätzlichen Regularien sind staatliche Eingriffe, gern mit Tradition und Charakter, aber doch angelegt, um in den Wettbewerb einzugreifen, Künstler zu begünstigen, Marktregeln zu unterlaufen.

Wollen wir das? Ja. Wir wollen Ungerechtigkeit, Bevorzugung, Marktverzerrung. Der deutsche Staat will Filme- und Theatermachern Steuergeld schenken, damit sie bei ihrer Arbeit nicht nur ans Verkaufen denken müssen. Er will Bücher an feste Preise binden, den Verkauf von Kunst und Büchern mit ermäßigter Mehrwertsteuer erleichtern. Ja, er stellt den Künstler sogar besser als andere Freiberufler, indem er die Künstlersozialkasse mit finanziert. Allerdings gibt es zwischen Politikern und Kulturschaffenden in diesen Fragen keinen grundsätzlichen Dissens – regen wir uns etwa schon wieder grundlos auf?

Als hätten wir lauter abgeschottete Märkte – wem nutzt TTIP?

Was soll denn passieren, wenn alle dasselbe wollen? SPD und CDU hatten bereits in ihrem Kultur-Wahlkampf nur ein einziges neues konkretes Ziel: Sie wollten dafür sorgen, dass die Kultur aus dem Freihandelsabkommen herausgelöst wird. Diese Absicht predigt die CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters bis heute mit stoisch-hartem Wohlklang, und SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel widerspricht nicht. Wird hier wieder ein überspannter Kultur-Aufreger produziert, wo es eigentlich darum geht, andere Gefährdungen abzuwenden, Chlorhühner, Genmais, neue nichtstaatliche Gerichtsbarkeiten?

Nein. Denn was wir hören, sind nichts als Absichten, warme Worte, fromme Sprüche. Weil es eben nicht gelungen ist, die Kultur vor Verhandlungsbeginn 2013 dem Abkommen zu entziehen. Nicht mal die bockigen Franzosen konnten den Bereich herausverhandeln, gerade mal die audio-visuellen Medien, und auch da ist noch nicht das letzte Wort geredet. Grütters ist zum Kampf entschlossen, verweist darauf, dass der subventionierte Kultur-Anteil in Deutschland doch nur bei zwei Prozent des Haushalts liegt. Ach ja, zwei Prozent. Aber für die USA stellen Kultur und Medien den zweitgrößten Export-Anteil dar. Hier hocken die ganz großen Player – Amazon, Google, Apple, keine Kultur-Produzenten, aber eben Kultur-Händler mit ihren Armeen von Lobbyisten. Und denen will die deutsche Kulturstaatsministerin also Hindernisse in den Weg stellen.

monika-gruetters 280 christof-rieken uKulturstaatsministerin Monika Grütters
will die Kultur aus dem TTIP heraus
lösen.  © Christof Rieken
Wie zu vernehmen ist, treffen Grütters' klare Worte zu dem Abkommen ("Wir treten jeder neuen Liberalisierungsabsicht entgegen!") bereits auf nichtöffentliche, aber deutliche Missfallensbekundungen aus dem Bundeskanzleramt. Weil eben nicht alle das gleiche wollen, sondern weil die Bundesregierung vorhat, das Freihandelsabkommen unbedingt durchzusetzen. Wem TTIP am Ende nutzt, thematisiert sie dabei nur wolkig – mehr Jobs, mehr Geld, weniger Handelsbarrieren. Als hätten wir heute lauter abgeschottete Märkte. Seriöse wirtschaftsfreundliche Studien gehen von einem europäischen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent aus, in 14 Jahren, vollkommen lächerlich.

Streng geheim an unbekanntem Ort

Dafür all die Risiken? Verhandlungen unter strengster Geheimhaltung an unbekannten Orten? Bei denen nicht mal die deutsche Kulturstaatsministerin ihre Ansprechpartner kennt, die in Europa auch für Deutschland verhandeln?

Bei aller Gutwilligkeit – wem will man denn hier vertrauen? Dieses Misstrauen und die Abwehrszenarien im Vorfeld wie bei den GATS-Verhandlungen sind das Mindeste, was sich die Kultur leisten muss. Als zu Beginn des Jahrhunderts über GATS debattiert wurde, öffnete Deutschland derweil still und weitgehend protestfrei seine Kapital- und Finanzmärkte und nannte die Vorgänge Deregulierung und Liberalisierung. Sie führten 2008 zu einem bis heute nicht ausgestandenen Finanzkollaps und einer Weltfinanzkrise. Es kann nicht schaden, die Globalisierungsvorgänge zu beobachten und beizeiten vernehmlich zu krakeelen.

 

Birgit Walter war bis Ende 2013 lange Jahre Redakteurin im Feuilleton der Berliner Zeitung und dort zuständig unter anderem für Kulturpolitik.

 

 

Mehr darüber, wie Kulturschaffende und Kulturjournalisten die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen einschätzen, und was es mit den privaten Schiedsstellen auf sich hat, vor denen Konzerne Staaten verklagen können, wenn ihnen durch staatliche Eingriffe Gewinne entgehen, steht in unserer ausführlichen Presseschau zum TTIP.

 

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Kommentare  
Kommentar TTIP: guter Kommentar!
Sehr guter Kommentar! Danke dafür. Man muss nicht nur krakeelen, sondern genau wie in diesem Text sagen, dass es bei TTIP um nichts anderes geht als eine weitere Schranke einzureißen - und das nach der Finanzkrise. Eine unfassbare Dreistigkeit im Grunde: es wurde nichts gelernt.
Kommentar TTIP: Was ich nicht verstehe
Was ich nicht verstehe: wieso sollte ein amerikanischer Produzent plötzlich Anspruch auf Subventionen haben, die doch auch kein inländischer Produzent hat, nur weil er eine Oper inszeniert? Wäre er nicht in jedem Falle ebenso dazu verdonnert, Subventionsanträge zu schreiben, Gremien und Kulturbeamte zu überzeugen etc? Und wenn ja, wo wäre das Problem?
Kommentar TTIP: rollt einem die Fußnägel auf
Herr Tommy, das Problem wäre, dass er die Stadt, bzw. das Land verklagen könnte vor einem Schiedsgericht (ISDS Investor to State Settlement)und das Urteil, das dann gesprochen würd, würde über europäischem bzw. deutschem Recht stehen! Jede Art von staatlicher Kulturförderung wäre dann obsolet oder müsste den neo- liberalen Marktgesetzen untergeordnet werden. Die USA kennen staatliche Kulturförderung so gut wie nicht, über 90% der Kultur wird kommerziell bzw. privatwirtschaftlich finanziert. Zudem ist z.B. die Filmkultur der USA bzw. andere sogenannte "kulturelle Dienstleistungen" der zweitgrösste Exportfaktor der USA, es wäre also naiv zu glauben, dass sie sich den Gepflogenheiten der europäischen Kulturförderung widerstandslos unterordnen würden. Je mehr man sich mit dem TTIP beschäftigt, desto mehr rollt es einem die Fussnägel auf, glauben Sie mir! Also morgen wählen gehen und links oder grün wählen, alle anderen sind mitverstrickt!
Kommentar TTIP: Hinweis Presseschau
Lieber Tomy, mehr zu TTIP + Kultur auch hier: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9561:Presseschau-vom-21-mai-2014-kulturschaffende-warnen-fuer-die-folgen-des-freihandelsabkommen-der-eu-mit-den-usa&catid=242:Presseschau&Itemid=115
Beste Grüße,
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