Zeichen in Bewegung

27. Mai 2014. In diesen Tagen feiert das Théâtre du Soleil seinen fünfzigsten Geburtstag. Unter der Leitung von Prinzipalin Ariane Mnouchkine entstanden immer wieder bildmächtige, aber auch sich politisch einmischende Arbeiten. Zum Jubiläum porträtieren die Neue Zürcher Zeitung und Dradio Kultur das Theater.

Trotz einer Staatssubvention von jährlich über 1,6 Millionen Euro sei das Théâtre du Soleil nach wie vor eine private Genossenschaft. "Als solche war es am 29. Mai 1964 durch neun Amateurtheaterleute ins Leben gerufen worden, von denen heute nur noch Ariane Mnouchkine der Truppe angehört", schreibt Marc Zitzmann in der Neuen Zürcher Zeitung (25.5.2014). Seit 1970 dient die ehemalige Pulverfabrik Cartoucherie de Vincennes am südwestlichen Pariser Stadtrand als Spielort und Heimlager.

Zu den Besonderheiten zähle, dass man bis auf zwei frühe Ausnahmen nie unter einer anderen Regieführung als jener von Mnouchkine gearbeitet habe. Von einer meist visuellen Initialzündung – durch Fotos, Filme usw. – ausgehend, lasse sie die Schauspielerinnen und Schauspieler monatelang probieren und improvisieren. Jeder darf jede Rolle spielen, bis sich eine Besetzung und das Grundgerüst einer Inszenierung herausgeschält habe.

"Das Projekt des Théâtre du Soleil eignet sich auch für eine militante Dimension. Im Mai und Juni 1968 spielte die Truppe gratis für streikende Arbeiter bei Citroën und Renault", schreibt Zitzmann weiter. 1973 setzte sich die Truppe für Gefängnisinsassen ein, 1981 für Solidarnosc, für Vaclav Havel und für die argentinischen Desaparecidos. "Die aufsehenerregendste Aktion war jedoch die Aufnahme von 382 überwiegend malischen Sans-Papiers, die 1996 aus einer Pariser Kirche vertrieben worden waren. Das Stück 'Et soudain des nuits d'éveil' widerspiegelte im Folgejahr diese Erfahrung, derweil 'Le Dernier Caravansérail' 2003 auf das Los zentralasiatischer Asylsuchender aufmerksam machte."

Das Théâtre stehe für ein nichtnaturalistisches, stark körperbetontes Theater. Über ihre Herangehensweise an Shakespeare etwa sagt Mnouchkine: "Das Gift der Psychologie wird uns durch Film und Fernsehen ganz tief eingespritzt. Die Schauspieler kommen schon verformt bei uns an. Aber ich bin überzeugt, dass Shakespeares Text dazu bestimmt ist, ganz direkt gesprochen zu werden. Sobald man beginnt, ihn zu modulieren, zu verfeinern, ihn subtil zu machen, wird er weichlich und zuckrig." Tendenziell führe dieser Ansatz in die Nähe von Stummfilm-Schauspielerei. Man könne über das Ergebnis geteilter Meinung sein – die häufig wiederkehrende Kritik an Aufführungen des Théâtre du Soleil, sie seien holzschnittartig und darstellerisch durchwachsen, finde auch in der laufenden "Macbeth"-Produktion Nahrung. Fazit: "Faszinierend ist jedenfalls die Formenvielfalt, in die der Ansatz im Lauf der Jahrzehnte aufgefächert wurde." 

Und auf Dradio Kultur (27.5.2014) berichtet Eberhard Spreng, dass die Inszenierungen des Théâtre du Soleil bis heute irritieren würden und dabei der Tradition des aufklärerischen Volkstheaters treu blieben. Radikales Ethos würde Chefin Mnouchkine allen Mitgliedern aufoktroyieren, das Oragnisationsmodell als Produktionsgenossenschaft mit einem Einheitsgehalt von heute 1800 Euro im Monat sei im Kulturbetrieb immer noch einmalig. Für die Opfer der Globalisierung habe man sich eingesetzt und ihnen mit "Le dernier Caravanserai" eine siebenstündige Szenensammlung gewidmet, bevor es 2006 ins Frankreich der Gegenwart zurückkehrte. "Les Éphémères" waren im Ensemble gesammelte Geschichten vom vergänglichen Wesen Mensch und erzählten in hingetupften Szenen von privaten Schlüsselmomenten des Lebens, "Momente einer kurzen Magie, die ein ganzes Leben verändern kann. Wie durch ein Wunder wurde aus dem handfesten Theater plötzlich ein Hort der Behutsamkeit, eine Oase in einer verrohten Wirklichkeit."

 

 

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