Conversion_1 - In ihrem Dokuprojekt über US-Soldaten in Heidelberg neigt die costa compagnie zur Ästhetik des Déjà-vus
Save my beer
von Thomas Rothschild
Heidelberg, 9. Juli 2014. Durch einen mit Stacheldraht gekrönten Zaun gelangt man zur Turnhalle des ehemaligen US-Hospitals am wenig attraktiven Südrand Heidelbergs. Konventionelles Theater ist hier nicht zu erwarten; Darsteller, die Rollen verkörpern oder Dialoge sprechen, wird hier niemand verlangen. Aber oh Wunder: Was an diesem ungewöhnlichen Ort geboten wird, ist so innovativ und experimentell wie eine katholische Sonntagsmesse. Nicht ein Einfall, den man nicht anderswo schon gesehen hätte, nicht ein Augenblick der Überraschung. Stattdessen: ein permanenter Déjà-vu-Effekt und eine Ästhetik der Beliebigkeit.
Von 1945 bis zum Krieg gegen den Terror
Das Theater Heidelberg kündigt "Conversion_1", der in der kommenden Spielzeit eine "Conversion_2" folgen soll, als "eine deutsch-amerikanische Chogeographie in Zusammenarbeit mit der costa compagnie" an. Was genau bedeutet hier "Zusammenarbeit"? Das Theater stellt seine Infrastruktur zur Verfügung und sichert, unterstützt vom Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes, der genau solche Kooperationen fördert, die Finanzierung, wie das immer häufiger auch koproduzierende Festivals tun. Das Ensemble und die Mitarbeiter samt Autor-Regisseur Felix Meyer-Christian liefert, mit einer geringfügigen Beteiligung des Heidelberger Theaters an Choreographie, Performance und Dramaturgie, die Hamburger costa compagnie, die das Projekt grundsätzlich auch in Hamburg, Berlin oder in Mainz verwirklichen könnte, wo man vermutlich lediglich wegen des regionalen Stoffs geringeres Interesse daran hat.
Anlässlich des Abzugs von 8000 Soldaten der US-Armee aus Heidelberg im Sommer 2013 hat das Team 32 Amerikaner und 25 Heidelberger interviewt, die hier mit US-amerikanischen Armeeangehörigen Kontakt hatten. Die Erinnerungen reichen vom Einmarsch der US Army im Jahr 1945 bis zum "globalen Krieg gegen Terror" im Irak und in Afghanistan und sind mal gestelzt ("Sie schrieb, hier finde sie den unerschütterlichen Glauben an das Amerikanische Narrativ wieder. Der Glaube an die Richtigkeit und die moralische Bestimmung des eigenen Handelns, auch wenn die Folgen und Konsequenzen nicht vollends vorausgesehen und berücksichtigt werden können oder werden sollen"), mal eher kolloquial ("And one of the things I did after the first bomb went off, I told the bartender: 'Save my beer. Would you?'"). Die Darsteller sprechen auf Deutsch und Englisch Auszüge aus diesen Interviews in Mikrophone. Hinzu kommen Projektionen, die Homevideos ähneln: Menschen, die in die Kamera schauen, Straßenszenen. Das geht so etwa zwanzig Minuten, bis die Regie offenbar merkte, dass Theater hier nichts leistet, was der Dokumentarfilm nicht besser kann. Die Recherche jedenfalls ist besser gelungen als die szenische Umsetzung.
Ästhetik des Déjà-vu
In der Folge sieht man von den beteiligten Tänzern selbst entwickelte minimalistische Choreographien, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Text stehen. Das wirkte vor zehn Jahren noch irritierend und, wenn es von guten Tänzern ausgeführt wurde, faszinierend. Aber mittlerweile ist das Bestandteil jeder zweiten Inszenierung, egal, worum es geht, wie einst die Trenchcoats und die Schlapphüte. Ästhetik des Déjà-vu. Begleitet werden Tanz und Rezitation durch ein Ostinato von Einzeltönen und -geräuschen aus den Boxen.
Dann ist die Zeit für das Mitmachtheater reif. Die Zuschauer müssen von ihren Papphockern aufstehen und die Seiten tauschen wie beim "Bäumchen wechsel dich" der Kindheit, während ein ferngesteuerter Flugkörper unter der Decke kreist. Wenn das demonstrieren sollte, wie artig das Publikum jeder Anweisung gehorcht, dann ist die Rechnung aufgegangen.
Fusion von Stadttheater und Freier Szene
Das Heidelberger Projekt fügt sich bruchlos in die Tendenz, Freie Gruppen zeitweilig oder auch kontinuierlich an größere, subventionierte Häuser zu binden, um dem reflexartigen Vorwurf eines antagonistischen Gegensatzes zwischen angeblich veraltetem Stadttheater und zeitgemäßen Freien Gruppen zuvorzukommen. Dass diese Unterstellung Unsinn ist, lässt sich auch ohne solche Kooperationen leicht belegen. Auf der einen Seite bieten die meisten Tourneetruppen oder Sommertheater, die ihrer Organisationsform und ihrem Finanzierungsmodell nach den Kriterien für Freie Gruppen entsprechen, aber auch manche Freie Gruppen im engeren Sinne erzkonservatives Theater an, auf der anderen Seite sind Spielformen und Verfahren, die einst als signifikant für Freie Gruppen galten – vom kollektiven Entwickeln der Texte und szenischen Realisierungen über die Suche nach unkonventionellen Spielstätten und die Beteiligung des Publikums bis hin zum Anspruch auf unmittelbare politische Einmischung –, nicht nur bei René Pollesch, Jan Neumann oder Volker Lösch, längst in den Stadttheatern angekommen.
Dass diese (noch) von der öffentlichen Hand subventioniert werden, sollte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Die Hoffnung, dass bei Schließung von Theatern eingesparte Mittel den Freien Gruppen zufließen, erweist sich in der Regel als trügerisch. Die hitzigen Debatten um das gültige Theater, wo es in Wahrheit um den Zugang zu den Fleischtöpfen geht, nützen weder den Stadttheatern, noch den Freien Gruppen. Ob freilich die Fusion anstelle des Bekenntnisses zur Vielfalt, zum Nebeneinander unterschiedlichster Möglichkeiten die richtige Antwort ist, bleibt auch nach dem Heidelberger Experiment offen.
Conversion_1
von Felix Meyer-Christian
Regie: Felix Meyer-Christian, Bühne: Eylien König, Kostüme: Paul Sebastian Garbers, Video: Jonas Plümke, Audio: Katharina Kellermann, Dramaturgie: Stawrula Panagiotaki, Sonja Winkel.
Mit: Paolo Amerio, Ana Laura Lozza, Lee Meir, Toni Jessen, Elena Nyffeler.
Dauer: 1 Stunden 45 Minuten, keine Pause
www.theaterheidelberg.de
Die Diskussion um das Verhältnis von Stadttheater und Freie Szene wurde auf nachtkritik.de mehrfach aufgegriffen – hier das Dossier zur Stadttheaterdebatte mit gesammelten Positionstexten. Auch der Heidelberger Intendant Holger Schultze hat sich in der Debatte unlängst zu Wort gemeldet, zusammen mit seiner Dramaturgin Lene Grösch – ihr Plädoyer fürs Stadttheater.
"Kann man aus der Vergangenheit überhaupt Erkenntnisse für die Zukunft ziehen? Oder wiederholt sich Geschichte ohnehin nie?" Die Costa Compagnie stelle diese Fragen sehr deutlich und zeige in vielen Sequenzen, "dass es 'die' historische Wirklichkeit, geschweige denn eine dokumentierte Wahrheit, nicht gibt", schreibt Ingeborg Salomon in der Rhein-Neckar-Zeitung (11.7.2014). Der Künstlerische Leiter Felix Meyer-Christian setze die Mitglieder der Costa Compagnie eindrucksvoll in Szene, "besonders die Tanz-Szenen zeugen von großer Professionalität."
Special Effects, Tanzeinlagen und hübsche Lichtstimmungen könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese erste Arbeit des Konversionsprojektes auf hohem Niveau ihr Thema verfehlt habe, schreibt Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (11.7.2014). Der Abend trage, solange hinter den Texten Menschen mit persönlichen Erinnerungen zu erkennen seien. Leider saufe das "über weite Strecken aktionistisch ratlose Geräume und Gelese" aber im Ganzen "gehörig ab", weil die Zusammenfassung der Interviews hohe dramaturgische Collagenkunst statt menschliches Zeugnis sein wolle.
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die kritik spricht weder über die inszenierung noch fügt sie in irgendeiner weise brauchbares zu debatte hinzu
D.W.
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Konversion mal anders
Veröffentlicht von: ruprecht in Feuilleton, Heidelberg, Startseite 26. Juli 2014
Im vergangenen Jahr zogen die US-Truppen endgültig aus Heidelberg ab. Nun setzt sich das Stadttheater in einem Langzeitprojekt mit dieser Vergangenheit auseinander.
Aus den Kopfhörern ertönt ein dröhnender Bass. Langsam nimmt er den Rhythmus eines Pulsschlags an. Ein Triangelschlag erklingt. Plötzlich herrscht Stille. „Heidelberg is a beautiful place. I miss it sometimes somehow,” sagt eine ältere männliche Stimme. Der Triangelschlag erklingt erneut, der Bass setzt wieder ein. Ein kräftiger Windstoß wiegt die hochwachsenden Sträucher und Bäume gegen das verlassene Krankenhausgebäude. Es riecht nach Löwenzahn.
Die Atmosphäre ist eine ganz besondere während des Audiowalks „Bilder aus Morgen“ auf dem ehemaligen Gelände des US-Hospitals in Rohrbach. Er ist Teil eines großen Projektes des Theaters Heidelberg: Während die städtebauliche Umwandlung der ehemaligen Kasernengelände in vollem Gange ist, blickt das Stadttheater zurück auf die fast 70 Jahre dauernde Präsenz der US-Streitkräfte.
Zusammen mit der Costa Compagnie, einer Hamburger Künstlergruppe, hat man das Projekt „Conversion – Eine deutsch-amerikanische Cho-Geographie“ initiiert. Die auf zwei Jahre ausgerichtete Kooperation, die erst durch eine Förderung der Kulturstiftung des Bundes ermöglicht wurde, will mit Tanzaufführungen und Installationen die Präsenz des US-Militärs in Heidelberg aufarbeiten. Als Basis dienen Interviews, die von Mitgliedern der Costa Compagnie in Heidelberg, den USA und in Afghanistan durchgeführt wurden.
„Die zentrale Frage des Conversion-Projekts ist: Wie soll man erinnerungskulturell mit diesem historischen Umbruch umgehen?“ sagt Katharina Kellermann, die den Audiowalk konzipiert hat. Ihr war es wichtig, nicht nur die Heidelberger zu fragen, welche Erinnerungen sie an diese Zeit haben. Dieses Mal standen die Amerikaner im Vordergrund. Fast alle haben für einen gewisse Zeit auf den Militärflächen gelebt.
Zu Beginn der Audiotour erhält man einen MP3-Player, Kopfhörer und eine Karte, auf der die Route gekennzeichnet ist. Drückt man auf „Play“, ertönt der Pulsschlag. Amerikaner berichten über die Kirche, die man als erstes passiert, die Turnhalle, in der sie spielten. Dann gelangt man zum Krankenhaus. Die Sirene eines Krankenwagens erklingt. Doch auch eigene Wege sind möglich: Während über die Kopfhörer Protestsongs gegen den Vietnamkrieg laufen, kann man in die teilweise leer stehenden Kellergewölbe einzelner Baracken klettern.
So gelingt der Audiowalk vor allem deshalb, weil er eine perfekte Symbiose aus dem leerstehenden Gelände, den einzelnen Stationen und der durch die Natur hervorgerufenen Atmosphäre entwickelt. Nach zwanzig Minuten steht man vor einer freien Wiese, Lautsprecherboxen ragen aus dem Gras. Der Blick wendet sich nun nicht mehr zurück, sondern nach vorn: Soll es ein Denkmal geben, um an die amerikanische Präsenz zu erinnern? Die Antworten fallen unterschiedlich aus.
Die Denkmaldebatte spielt aber beim Conversion-Projekt nur am Rande eine Rolle. Zumindest die um ein festes, statisches. „Erinnerung sollte viel mehr als ein Moment der Teilhabe betrachtet werden. Und das Theater eignet sich da besonders gut. Erst durch das Zusammentreffen kann Erinnerung entstehen. Sie wird so zum Ereignis,“ sagt Felix Meyer-Christian, Gründer der costa compagnie, während einer Podiumsdiskussion im Theater Heidelberg.
An diesem Abend geht es vor allem darum, das Conversion-Projekt auch wissenschaftlich zu rechtfertigen. So sitzen neben Meyer-Christian und Kellermann auch drei Historiker auf dem Podium. Dürfen Theaterkünstler Geschichte schreiben? Eine Frage, die die anwesenden Historiker bejahen. „Die Geschichtswissenschaft sollte eine gewisse Offenheit gegenüber anderen Darbietungsformen zeigen,“ sagt Martin Klimke, Geschichtsprofessor an der New York University in Abu Dhabi. „Gerade das Conversion-Projekt mit seinen Zeitzeugengesprächen bietet da eine ganz hervorragende Plattform.“ Felix Meyer-Christian war selbst mit in den USA und hat die Gespräche geführt. Für ihn haben sich an vielen Stellen Parallelen in der Arbeit des Historikers und des Theaterkünstlers ergeben: „Bei der Auswertung der Interviews mussten wir uns von diesen Distanzieren und wurden dann aber gleichzeitig bei der Auswahl der Abschnitte wieder zu Akteuren. So stellten wir uns die Frage: Welche Erzählung entwirft man von Zeitgeschichte?“ Der Großteil der Interviews wurde dann nicht nur für den Audiowalk verwendet, sondern vor allem für die Tanzperformance „Conversion_1“, die dieser Tage in der Turnhalle des ehemaligen US-Hospital-Geländes aufgeführt wurde.
Beim Betreten der Halle herrscht zunächst Verwunderung: Bis auf ein paar Projektoren und Leinwände ist sie fast komplett leer. Wo sind die Stühle, wo ist die Bühne? Zumindest kleine Hocker werden auf einem Wagen angefahren. Als nach ein paar Minuten die ersten Zuschauer unruhig hin und her rutschen, erfolgt die erste Aufforderung, sich diagonal zur Turnhallenmarkierung zu platzieren. Es wird nicht die letzte Anweisung an diesem Abend sein. Die Aufführung bietet insgesamt eine atemberaubende Mischung aus Tanz, Musik und Video. Die geführten Interviews werden vorgelesen, auf Leinwänden gezeigt und tänzerisch umgesetzt. Der Fokus richtet sich dabei nicht mehr so sehr auf die Anwesenheit der Amerikaner in Heidelberg. Im Laufe des Abends wird auch immer wieder die amerikanische Militärpräsenz in Afghanistan und im Irak thematisiert.
Ist es dieser Aspekt, der einige Heidelberger nach etwa einer Stunde zum Verlassen der Halle treibt? Oder wohl doch eher die Anweisung, sich auf den Hallenboden zu legen? Nach kurzem Zögern folgen die meisten aber doch. Auf die untere Seite des Hallendachs werden Bilder einer kleinen Drohne projiziert, welche die Künstler in den USA und in Heidelberg aufgenommen haben. Am Ende steht man mitten in der Halle und ist umgeben von vier quadratisch von der Decke herunterhängenden weißen Vorhängen. Das Licht geht aus und dem Zuschauer bleibt nichts anderes übrig, als zu applaudieren.
Der Costa Compagnie und dem Theater ist es gelungen, die Heidelberger Geschichte der US-Streitkräfte der Öffentlichkeit wieder ins Gedächtnis zu bringen. Fortsetzung folgt: Im Oktober gibt es eine Wiederaufnahme des Stücks und des Audiowalks, im nächsten Jahr folgt „Conversion_2“. Dann geht es um Afghanistan.
von Michael Graupner
Aha, interessant allemal für jemanden, die die Gruppe zwar aus Hamburg kennt, aber die besprochene Performance nicht gesehen hat. Denn was sich hier mittlerweile an unterschiedlichen Stimmen und Wahrnehmungen seitens Presse und privat so ansammelt zeigt, mit was für einer (
kulturpolitischen Agenda der oberste Rezensent (T. R.) ins Felde zog. Und das Eingangsniveau erinnert dann doch eher an die MoPo als Nachtkritik ; )