Für eine Farbenblindheit des Theaters

Von Nikolaus Merck

14. Februar 2012. Sonntagabend im Deutschen Theater. Auf dem Spielplan steht "Unschuld" von Dea Loher. Michael Thalheimer hat inszeniert. Peter Moltzen und Andreas Döhler spielen die Rollen der beiden "illegalen Immigranten" Elisio und Fadoul. Mit schwarz geschminkten Händen und Gesichtern und dick rot geschminkten Lippen. Als die beiden auf der Bühne erscheinen, erheben sich 42 Zuschauer und verlassen wortlos den Saal.

Hinterher verteilen die Ausgezogenen im Foyer Flugblätter, auf denen sie gegen die rassistische Praxis des "Blackfacing" protestieren. Das Schwarz-Schminken weißer Schauspieler entstamme einer "kolonialhistorischen Vergangenheit", entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts in den amerikanischen Minstrel-Shows, übernommen in Deutschland, in Karnevalsumzügen und Filmen, um schwarze Menschen in herabwürdigender Absicht darzustellen.

Ähnlicher Protest hatte sich bereits im Januar, damals noch vornehmlich im Internet, erhoben, als Dieter Hallervordens Schlossparktheater für Herb Gardners "Ich bin nicht Rappaport" Plakate in die Stadt gehängt hatte, auf denen neben dem grimassierenden Hallervorden der Schauspieler Joachim Bliese mit schwarz geschminktem Gesicht als Mitch, eine afro-amerikanische Figur, zu sehen war.

Wieso eigentlich?

Und tatsächlich konnte man sich fragen, wieso eigentlich werden "schwarze" Figuren auf dem deutschen Theater in der Regel von weißen Schauspielern und Schauspielerinnen dargestellt? Das Schlossparktheater hatte im Januar in einer ersten Erwiderung auf die Proteste darauf hingewiesen, dass es in Deutschland schwierig sei, schwarze Schauspieler fest zu engagieren und zu besetzen, da es einfach nicht genug Rollen für sie gebe. Ziemlich töricht das, weil man natürlich fragen muss, wieso schwarze Schauspieler nicht für jede Rolle in Frage kommen? Offenbar war diese einfache Gegenfrage auch in Berlin-Steglitz gestellt worden, so dass sich das Theater veranlasst sah, in einer zweiten Stellungnahme mitzuteilen, der Verlag habe den Vorschlag des Regisseurs, die Rolle des Mitch mit einem ungeschminkten weißen Schauspieler zu besetzen, abgelehnt.

Etwas ausgefeilter dagegen die Argumente, die das Deutsche Theater für seine Besetzung der Rollen der Migranten Elisio und Fadoul in "Unschuld" mit weißen Schauspielern aufbot. Theater, sagte Intendant Ulrich Khuon in einem Deutschlandradio-Interview, sei seit Jahrtausenden nicht nur "ein Darstellen des Eigenen", sondern erzähle immer auch etwas "über den anderen". Wenn im Deutschen Theater weiße Schauspieler, schwarz geschminkt, zwei schwarze Illegale spielten, werde dieses "verfügende Nachdenken über den anderen" dargestellt, aber gleichzeitig auch kritisiert.

Und natürlich hatte Khuon damit recht. Theater-innenpolitisch, also ästhetisch gesehen. Denn wer wollte fordern, dass Kinderrollen auf dem Theater nur noch von Kindern, der "Asiate" Shlink in Bertolt Brechts "Im Dickicht der Städte" nurmehr von einem asiatisch aussehenden Singapurianer oder der verwachsene Richard III. fortan ausschließlich von körperlich gehandicapten Schauspielern zu spielen wäre? Die Authentizität einer Figur, einer Darstellung erweist sich nicht durch die korrekte Hautfarbe, sondern im Spiel. Nicht die Lebenserfahrung der "People of Color" im diskriminierungsfreudigen, um nicht zu sagen: rassistischen Deutschland beglaubigt die Überzeugungskraft einer Theaterfigur, sondern die Nuanciertheit, die Qualität von Spiel und Inszenierung.

Nicht im luftleeren Raum

Und trotzdem hat das Deutsche Theater und das Theater in Deutschland mit seiner vorherrschenden Praxis schwarze Figuren von geschminkten weißen Schauspielern darstellen zu lassen, ein Problem. Denn das Theater befindet sich nicht im luftleeren, sondern im politischen Raum. Und dort ist es nicht üblich, dass der Kritisierte selbst darüber entscheidet, ob Kritik zulässig ist oder nicht. Das Theater ist als Teil der Gesellschaft, als ein Mittel der Verständigung der Gesellschaft über sich selbst, ständig auf die Gesellschaft bezogen. Deshalb ist es ja auch hierzulande so gerne aktiv, wenn es darum geht Figuren aus dem überkommenen Dramenkanon die heuchlerische bürgerliche Maske abzureißen.

Und weil das Theater unaufhörlich auf die konkrete Gesellschaft reagiert, deren Teil es ist, muss es sich auch fragen lassen: warum erleben wir auf den Bühnen neuerdings zwar mehr und mehr Schauspieler mit türkischem, belgischem, holländischen "Migrationshintergrund", aber fast nie schwarze Schauspieler? Gibt es vielleicht keine schwarzen Darsteller? Was immerhin als Begründung höchst merkwürdig klänge, versammeln sich doch etwa in der Berliner Gruppe Label Noir afro-deutsche Schauspieler, von denen drei zur Zeit im Staatstheater Mainz in der Bruce Norris-Produktion "Die Unerhörten" auf der Bühne stehen.

Apropos Bruce Norris: der texanische Autor hatte dem Deutschen Theater im Januar untersagt, sein Stück "Clybourne Park" auf den Spielplan zu setzen, weil das Theater die Rolle einer afro-amerikanischen Frau mit einem weißen Ensemblemitglied besetzen wollte. Für die andere afro-amerikanische Figur war der Schauspieler bereits engagiert worden. Ernest Allan Hausmann, ein Deutscher mit schwarzer Haut, spielt inzwischen in Rafael Sanchez Inszenierung "Die Kommune" mit. Eine "weiße" Figur. Ganz normal. So normal wie die "türkisch-stämmigen" Kommissare und "migrationshintergründlerischen" Stand Up-Comedians, die sich sogar das, vom Theater gerne als geistig hinterwäldlerisch verachtete Privatfernsehen seit geraumer Zeit leistet. Höchste Zeit, dass diese farbenblinde Normalität sich auch als Normalität im deutschen Theaterbetrieb durchsetzt.

 

Nikolaus Merck, 1957 geboren, ist Mitgründer und Chefredakteur von nachtkritik.de.

Dieser Text erschien zuerst am 15. Februar 2012 in der Berliner Zeitung

mehr debatten

Kommentar schreiben