Geht es auch ohne Rassismus?

von Elena Philipp

Berlin, 19. September 2014. Alltägliches Beispiel für Rassismus gesucht? Man nehme eine Ausstellung im Heimathafen Neukölln. Dort entdeckt eine asiastisch-deutsche Musikerin das Foto einer blonden Frau, die ihre Augen zu Schlitzen zieht. Sie empfindet dieses Bild als verletzend und weist das Theater in einem Brief darauf hin. Auf diese erste Mitteilung reagiert der Heimathafen abwiegelnd. Erst auf weitere Hinweise hin wird das Bild auf der Ausstellung genommen. Als ein Aktionsbündnis schließlich den öffentlichen Druck erhöht und die Presse berichtet, entschuldigt sich das Theater. Wie kann das passieren, an einem Haus, das auf seine interkulturellen Ausrichtung stolz ist?

Sichtlich aufgewühlt schilderte der Politologe und Aktivist Kien Nghi Ha den rassistischen Vorfall am Heimathafen. Er war ihm persönlicher Anlass für die Organisation einer Diskussionsveranstaltung am Ballhaus Naunynstraße, "Rassismus im Kulturbetrieb. Herausforderungen und Perspektiven für ein diskriminierungsfreies Theater", die am gestrigen Donnerstag stattfand. Als einer von sechs Diskutant_innen saß Kien Nghi Ha mit auf dem Podium, das Moderator Mekonnen Meshgena von der Böll Stiftung auf drei Themenkomplexe einschwor: Erscheinungsformen von Rassismus an deutschen Kulturinstitutionen, eine kritische Analyse ihrer Hintergründe sowie Visionen für die Strukturen und Institutionen einer vielfältigen Gesellschaft. "Schafft die Orte", war sein Fazit nach einer knapp zweistündigen Diskussion, in der das Phänomen Rassismus im Kulturbetrieb in zahlreichen Facetten sichtbar wurde. Auch, weil es für die Teilnehmer_innen nur ein Mikrophon gab, reihten sich eher Einzelposition und Erwiderungen aneinander – und man merkte, dass ein gemeinsames Verständnis des Begriffs Rassismus kulturbetriebs- wie gesellschaftsweit erst noch erarbeitet werden muss.

DiskussionNaunyn1 560 WagnerCarvalhoDie Podiums-Diskutanten im Ballhaus Naunynstraße © Wagner Carvalho

Daher zurück zur oben gestellten Frage: Gründe für rassistische Vorfälle wie am Heimathafen? Fehlendes Bewusstsein und Fahrlässigkeit, so Jens Hillje vom Gorki Theater, das gerade mit dem wohl diversesten Stadttheaterensemble der Republik in seine zweite Spielzeit startet. Die Frage, wie sich (Theater-)Betriebe verhielten, sei in Deutschland eine ethnische wie soziale Frage, es gebe verschiedensten Ebenen Ausschlussmechanismen und Versuche, homogen zu bleiben, so Hillje.

Der Auschwitz-Brocken
Kein Einzelfall sei das Neuköllner Beispiel, bemerkte auch die Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin Azadeh Sharifi. Zugrunde liege ihm struktureller Rassismus im Kulturbetrieb. Nach wie vor seien die deutschen Theater weiße Institutionen, siehe Publikum, Gelder, Ästhetiken, Stoffe. Zum Glück gebe es in Berlin viele Stimmen, so Sharifi, die "benennen, eingreifen, intervenieren".

Diese Interventionen seien eine Chance für die Theater, sich neu zu erfinden, so Esther Slevogt von nachtkritik. Aber sie wünsche sich Orte, an denen die Diskussion geführt werden könne, ohne am Pranger zu stehen: "Keiner will Rassist sein", obwohl "wir alle" sozialisierungsbedingt Rassisten seien. Auch Jens Hillje warb um Verständnis und Geduld. In Deutschland werde der Rassismus-Vorwurf mit Auschwitz assoziiert, so Hillje, die Aktivist_innen sollten bedenken, dass das ein "großer Brocken" sei.

Stolpersteiniger Weg zur Veränderung
Ja, das verstehe sie, äußerte Azadeh Sharifi an späterer Stelle, aber das Benennen rassistischer Strukturen sei "gerade so extrem wichtig" für die Aktivist_innen, weil der "Diskurs so frisch" sei – und die Benennung von Rassismus dürfe auch weh tun, ergänzte Sandrine Micosse-Aikins. Man dürfe die Mehrheitsgesellschaft nicht "mit Samthandschuhen anfassen". Micosse-Aikins, Künstlerin und Kuratorin, rief dazu auf, Privilegien ins Zentrum der Diskussion zu stellen – wer könne es sich überhaupt leisten, Kunst zu machen? Wer werde für eine künstlerische Ausbildung ausgewählt? – und den gebräuchlichen Kulturbegriff zu hinterfragen: Warum werde die künstlerische Arbeit der Berliner Werkstatt der Kulturen aus Integrationstöpfen gefördert und nicht aus dem Kulturhaushalt? Und, als Vorschlag im Nebensatz: Wäre nicht eine Quote für People of Color (PoC) an deutschen Stadttheatern sinnvoll?

Der Weg zur gesellschaftlichen Veränderung ist stolpersteinig, das erwies die gut besetzte, von Fach- und Erfahrungswissen geprägte, von Befindlichkeiten nicht freie Diskussion einmal mehr. Die Wut der Aktivist_innen, die Bemühungen um Diskurshoheit durch die Akademiker_innen, die Abwehrhaltungen und Ablenkungsstrategien derjenigen, die ihre Privilegien aufgeben sollen – all das ist: vermutlich normal. Wandel braucht Zeit, alle müssen dranbleiben am Diskurs.

Die Politik glänzt durch Abwesenheit
Wie viel entspannter er in Zukunft geführt werden könnte, vermittelte der als "Allroundkreativer" vorgestellte Tuncay Acar (Göthe-Protokoll). Mittlerweile könne er mit dem Phänomen Rassismus nüchtern umgehen. Das habe allerdings Jahre gedauert. Als Deutschtürke habe er auch seine eigene "komische Identität" reflektieren müssen, statt nur wütend gegen das deutsche Establishment anzurennen: In Deutschland sei er "of Color", in der Türkei weiß, also Angehöriger der privilegierten Mehrheit. Sein Umgang mit vorenthaltenen Privilegien: "sehr hart debattieren" und seine Rechte einfordern.

Um etwas emotionalen Druck aus der noch jungen Diskussion zu nehmen, wäre politisches Handeln angesagt – jetzt. In Deutschland gibt es keine Richtlinien für Diversität, worauf die Medien-Kultur-Wissenschaftlerin Onur Suzan Nobrega aus dem Zuschauerraum hinwies. Hier könnte man ansetzen. Doch eine_n Adressat_in fand diese Anmerkung vor Ort nicht: Helge Rehders von der Berliner Kulturverwaltung war als Teilnehmer zwar angefragt worden, sagte jedoch ab. Und ein Grußwort der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die die Veranstaltung im Rahmen ihres Themenjahrs gegen Rassismus förderte, lag nur als Ausdruck dem Programmheft bei. Kann sich die Politik ein derart deutliches Zeichen des Desinteresses wirklich leisten?

 

Rassismus im Kulturbetrieb. Herausforderungen und Perspektiven für ein diskriminierungsfreies Theater
Diskussion mit Tuncay Acar (Goethe-Protokoll), Kien Nghi Ha (Buchautor und Politologe), Jens Hillje (Maxim Gorki Theater), Sandrine Micosse-Aikins (Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Aktivistin), Azadeh Sharifi (Kulturwissenschaftlerin), Esther Slevogt (Theaterkritikerin), Moderation: Mekonnen Mesghena (Heinrich Böll Stiftung)

www.ballhausnaunynstrasse.de

 

Mehr zum Thema: "Eine schwarze Maria Stuart oder einen türkischen Faust, wann hat es das auf den deutschsprachigen Bühnen gegeben?", fragte im Mai 2011 auch Özgür Uludag in seinem Text Migranten spielen auf den Sprechbühnen keine Rolle auf nachtkritik.de. Im Dezember 2013 schrieb auch der Schauspieler Murali Perumal in einem Offenen Brief über (Post-)Migranten an deutschen Theatern, mit dem er auf die Berichterstattung über eine Diskussionsrunde von Münchner Künstlern und Theatermachern zu ebendiesem Thema reagierte.

Die Diskussion um Blackfacing auf der Bühne wurde auf nachtkritik.de u.a. mit Beiträgen von Ulf Schmidt, Lara-Sophie Milagro und Nikolaus Merck begleitet.

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Kommentare  
Rassismus im Kulturbetrieb: eine Art von Ausschluss
Man könnte auch sagen. Dass in dem Wort Diskutant. Das es möglicherweise noch nicht einmal gibt. Weil es nicht Diskutant heißt. Sondern Diskutierende. Dass in diesem einen blöden Wort ja tatsächlich beide Geschlechter total geschlechtergerecht bereits vorhanden sind. Und zwar in ihrer Mehrzahl. Oder wie man auch sagen kann. Im Plural. Weshalb es total überflüssig ist. Dem mündigen Leser darauf hinzuweisen. Dass Frauen in der Gesprächsrunde zugegen waren. Und aber auch Männer. Dass sich Männer und Frauen zu einem Gespräch getroffen haben. Was allerdings nicht heißen muss. Dass alle Männer und Frauen bei diesem Gespräch anwesend waren. So ist es denkbar und sogar naheliegend. Dass schnöderweise weiße heterosexuelle Männer mit einem tatsächlich deutschem Passport. Bei diesem Gespräch überhaupt nicht mitsprechen durften. Was uns zu der Frage bringt. Liebe Frau Philipp. Ob es in ihrer Sprache vielleicht auch einen Begriff für diese Art von Ausschluss gibt.
Rassismus im Kulturbetrieb: Nicht nur "weiß" gegen "PoC"
Na ja, wünschenswert wäre ein differenzierter angelegter Diskussionsansatz. Die gewählte Dichotomie zwischen "weiß" und "PoC" - offensichtlich aus der berechtigten Bürgerrechtsbewegung der USA importiert - verdeckt die seit Jahrhunderten vorhandene Vielfalt an kulturellen Ausdrucksformen innerhalb einer durch Zu- und Abwanderung geprägten deutschsprachigen Gesellschaft, was sozialgeschichtlich und dialektgeographisch gleichermaßen wie onomasiologisch nachvollziehbar ist. Zweitens engt die gewählte Dichotomie die Komplexität des angegangenen Problemfeldes dahingehend ein, dass Agierende auf biologische Merkmale reduziert werden, was - darauf weist Esther Slevogt dankenswerterweise hin - niemand will. Dass die Debatte dann emotional verlief, kann ich mir gut vorstellen. Wer kann schon aus seiner Haut oder über seinen Schatten springen? Und fallen dann Stichworte wie "nicht mit Samthandschuhen anfassen" - also für deutschsprachige Ohren als klares Militär-Deutsch erkennbar - verquicken sich Tatsachen und Werte durch einen interpretativen Mangel im Verständnis kultureller Eigenheiten. Abgesehen von der mindestens hundert Jahre alten deutschsprachigen Debatte zwischen "Aktion" und "Aktionismus", lohnt es sich drittens den Zweck von Kampagnenarbeit ins Verhältnis zu deutschsprachigen Eigenheiten zu setzen. Oder, den Inhalt der letzten zwei Sätze nochmal umgestellt: Sachlich ist Auschwitz kein Brocken, sondern eine Tatsache. Ein Vernichtungslager, zuerst für die s.g. slawischen Untermenschen gebaut (außer den Bandera-Truppen, die - neben den Baltischen usw. Hilfstruppen - als ukrainische SS-Soldaten ins KL-System integriert wurden - und z.B. in Buchenwald ein eigenes Bordell besuchen konnten) und nach der Wannsee-Konferenz im Zuge der "Endlösung der Judenfrage" ab 1942 genutzt. Unerwähnt bleiben die Schutzhaftlager und Arbeitslager. Die Metapher "Auschwitz-Brocken" verdeckt die Komplexität des Lagersystems, denen drei Rechtsbereiche beigeordnet waren: Verordnungen zum RAD (Arbeitslager), Schutzhafterlaß des Reichsministeriums des Inneren vom 12. April 1934 (Schutzhaftlager), Nürnberger Rassengesetze ff. (Vernichtungslager). - Ich wiederhole das, weil die Schablone "weiß" vs. "PoC" die Schablone "Auschwitz" aufgreift, darauf eingeht, ohne differenziert die Eigenheiten des vor-importierten Zustands des Reflexionsniveaus auch nur anzuerkennen - weshalb die Tatsache Auschwitz wertegewandt zu einer Schablone "Auschwitz" mutiert. Ergebnis ist eine Verkürzung des Erkenntnisniveaus vergleichbar der Absicht der ehemaligen DDR, Buchenwald mit Bäumen zuwuchern zu lassen, damit ein sakraler Gedenkort entsteht, an dem Fragen überflüssig werden. Volkhard Knigge ist es zu verdanken, dass hier eine Archeologie des historischen Gedächtnisses eingang in die Gedenkstättenarbeit finden konnte. Also die Wertediskussion kann man hinsichtlich der Tatsachen mit Knigge sehr gut führen. Diese Sicht eröffnet vielleicht noch einmal eine andere Perspektive auf die Frage der Diskriminierung im Kulturbetrieb. Biologismen wie "white" vs "PoC" führen begrifflich falsch ins 19.Jh. zurück und bringen wohlmeinend Hörende unnötig auf die Palme, wie in @1 sichtbar wird.
Rassismus im Kulturbetrieb: kompliziert
Ein kompliziertes Thema. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es mit der Streitkultur immer dann problematisch wird, wenn es um persönliche Belange bzw. persönliche Betroffenheit geht. Das fängt bereits an bei den Samthandschuhen, welche man gegenüber seinen "Feinden" (vielleicht nicht doch vor allem sprachlich vor-konstruierten Feindbildern?) lieber doch nicht anziehen möchte. Und da beginnt dann - aus einer verständlichen Wut heraus - ein verbales Hauen und Stechen, welches in der Folge ein differenzierteres Nachfragen kaum noch möglich macht. Weil das Gegenüber angesichts dessen im Grunde nur noch "zu machen" kann. Und genau das empfinde ich als schade, weil ein wechselseitiges Verständnis eben NUR über das immer weiter fragen zustande kommt.

Ich habe selbst erlebt, dass in solchen Fällen auch eine Prise Humor dabei helfen kann, festgefahrene, dualistische Sichtweisen aufzulösen. Die Fähigkeit zum Humor bei allen Beteiligten ist dabei allerdings eine wesentliche Voraussetzung. Was wiederum nicht so einfach ist, angesichts persönlicher Verletzungen, siehe oben. Ein Circulus vitiosus? Vielleicht hilft es, wenn ich bzw. "wir" uns eines vor Augen führen: Dass es nur im Schachspiel (und da noch dazu rein geistig!) um schwarz GEGEN weiss geht. Die Realität gestaltet sich tatsächlich weitaus vielfältiger. Es gibt ebenso Unterschiede ZWISCHEN Frauen, ZWISCHEN Männern, ZWISCHEN Menschen schwarzer oder weisser Hautfarbe oder besser ZWISCHEN Menschen einer Kultur, ZWISCHEN Menschen einer Schicht, ZWISCHEN Homosexuellen, ZWISCHEN Lesben, ZWISCHEN Gläubigen usw. - kurz: Begriffliche Kategorien bzw. die darüber stattfindende Konstruktion von Wirklichkeit sollte immer als flüssig betrachtet werden. Und beschreiben und unterscheiden müssen "wir" zunächst - eine neurowissenschaftliche Tatsache, die auch "Komplexitätsreduktion" genannt wird. Diese zunächst gesetzten Grenzen immer wieder aufzulösen, darin besteht dann wohl die niemals abzuschließende Aufgabe.

Und bei der Quotenfrage bin ich sehr skeptisch. ICH als Frau würde auch nicht eine Stelle bekommen wollen, nur weil es eine Quote gibt. Es geht doch um Kompetenzen! Da müsste man ansetzen, dass die Kompetenzen dieselben sind, was sich dann im Übrigen auch auf die Bezahlung auswirken müsste.
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