Un/doing Differences – Theaterwissenschaft als Differenzforschung

von Friedemann Kreuder

Leipzig, 3. Juli 2014.7 Fragen / Aufträge an die Theaterinstitutionen:

1. Welche Rolle spielt die spezifische Körperlichkeit der Akteure für eine Besetzungsentscheidung?

2. Welche Zusammenhänge zwischen den Unterscheidungskategorien Geschlecht, Alter, Sexualität, Körper und gegebenenfalls anderen gesellschaftlichen Kategorisierungen wie Ethnizität oder Leistungsklasse fallen hierbei ins Gewicht?

3. Auf der Basis welcher Kriterien werden cross-ethnic-Besetzungsentscheidungen getroffen – gibt es hier beispielsweise eine starke Ausrichtung an den (vermuteten) Erwartungen des Publikums?

commonground3 560 thomas aurin uDas Gorki Theater Berlin arbeitet gegen ethnische Beschränkungen auf der Bühne: Hier mit dem
Balkan-Recherchestück "Common Ground" von Yael Ronen © Thomas Aurin

4. Welche Personen stehen zur Besetzung im Rahmen des institutionellen Theaters in Deutschland überhaupt zur Verfügung und inwieweit gibt es hier auf der gesamten Ebene der Produktion grundsätzliche, ethnisch-differenzierende Eintrittsbeschränkungen?

5. Inwiefern findet ethnische Differenzierung bereits in den Ausbildungsbetrieben statt?

6. Inwieweit wird die Problematik der mit der Ethnisierung von Figuren oftmals einhergehenden Stereotypisierung in der Probenarbeit reflektiert? Wie verlaufen die künstlerischen Dynamiken, wenn man einerseits ein "gleich-ethnisches" und andererseits ein "ungleich-ethnisches" Produktionsteam hat? Ist es Ziel des Probenprozesses, die Differenz zwischen Schauspieler und Rolle möglichst zu kaschieren oder wird daran gearbeitet, sie der Aufführung im Sinne einer Entdifferenzierung produktiv zu Nutze zu machen?

7. Inwiefern reproduzieren und verfestigen die inszenatorischen und schauspielerischen Praktiken des deutschen Gegenwartstheaters diese Identitätskonstruktionen in Form von Stereotypen allabendlich? Mit Hilfe welcher konkreten Praktiken wird die dem Theater eigene performative Reflexion offen als solche ausgestellt und somit eine Unterbrechung, ein Zum-Verschwinden-Bringen von Differenzen angestrebt?


kreuder uUniv.-Prof. Friedemann Kreuder ist Leiter der Abteilung Theaterwissenschaft am Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Sprecher des dortigen Internationalen Promotionsprogramms Performance and Media Studies und Leiter des theaterwissenschaftlichen Teilprojekts der DFG-Forschergruppe 1939 "Un/doing Differences" an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Publikationen zu Richard Wagner, zum Geistlichen Spiel, zum Theater des 18. Jahrhunderts und zum Gegenwartstheater.


Diese Thesen sind die Kurzfassung eines Vortrages, den Friedemann Kreuder im Rahmen der Ringvorlesung Theaterwissenschaft: Aus Tradition Grenzen überschreiten am 3. Juli 2014 an der Universität Leipzig hält. Die Ringvorlesung findet aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums des Instituts für Theaterwissenschaft Leipzig statt. Dem Institut droht die Schließung. Das Programm der Ringvorlesung finden Sie hier.

Weitere Thesen: Matthias Warstat hat sich mit der Protestform der direkten Aktion befasst, Christopher Balme mit der globalen Theatergeschichte, Andreas Kotte mit der Zukunft der Theatergeschichtsschreibung und Nikolaus Müller-Schöll mit dem "posttraumatischen Theater" und der Darstellung der Undarstellbarkeit, Stefan Hulfeld mit der Theaterhistoriographie, Gerda Baumbach mit Akteuren als Erzählerfiguren.

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