Plakate gegen Plakat

27. März 2014."Rund 150" Menschen haben am vergangenen Freitag (21.3.2014) in Konstanz laut Zeitungsangaben gegen die Premiere von "Das Märchen vom letzten Gedanken" nach Edgar Hilsenrath am Theater Konstanz demonstriert. Die Polizei sprach von "rund 100" Teilnehmern. Die Demonstranten trugen Plakate, auf denen unter anderem "Keine Verhetzung zwischen armenischen und türkischen Brüdern", "Überlasst die Geschichte den Historikern" oder "Kunst = Beleidigung?" stand. Das melden der Südkurier und die Welt. Die Demonstration war angekündigt worden (nachtkritik.de berichtete) – Polizeiangaben zufolge ging sie gegen 19.45 Uhr friedlich zuende, der Theaterabend konnte zur geplanten Zeit beginnen.

Die Demonstranten betonten, schreiben die Zeitungen, dass sie sich nicht gegen die Produktion an sich wendeten, sondern gegen das Plakat, mit dem sie beworben worden war. Zu sehen sei darauf die abgedeckte Leiche des im Januar 2007 auf offener Straße erschossenen regierungskritischen armenischen Journalisten Hrant Dink gewesen, "darüber weht die türkische Halbmond-Flagge", referiert der Südkurier. Der Wochenzeitung "Kontext" zufolge (die der Causa einen längeren Bericht widmet, der ihrem Namen alle Ehre macht) ließ der Intendant des Theaters Konstanz Christoph Nix das Plakat bereits drei Tage vor der Premiere aus dem Stadtbild entfernen.

Nix verlas außerdem den Medienberichten zufolge vor der Premiere vor dem Theater einen Brief des türkischen Generalkonsuls in Karlsruhe Serhat Aksen, in dem dieser die "Ereignisse von 1915" als "legitimes akademisches Diskussionsthema" dargestellt und geschrieben hatte, viele Historiker seien nicht der Meinung, dass es sich dabei "um einen 'Völkermord' handelt". Aksen hatte Nix in dem Brief auch darum gebeten, "das Publikum bei jeder Vorstellung über die gegensätzlichen Positionen zu informieren".

Über Mario Portmanns Inszenierung des Hilsenrath-Romans schreibt Siegmund Kopitzki im Südkurier: "Portmann setzt – wie das Vorbild Hilsenrath – auf Schock, statt auf Einfühlung; auf Wahrnehmung statt auf Sentimentalität; er zielt aufs Alleräußerste, statt aufs Innerste." – "Es wären märchenhaft realistische Geschichtsstunden für die Verdränger geworden", ordnet Josef-Otto Freudenreich die Inszenierung im Wochenmagazin Kontext ein.

Edgar Hilsenrath hat auch zu Wort gemeldet. In seinem Blog schreibt der Autor von "Das Märchen vom letzten Gedanken": "Es gibt keine Diskussion darüber. Es war ein Völkermord."

Mittlerweile regt sich Protest armenisch-deutscher Intellektueller dagegen, dass die türkische Leugnungsposition dem Publikum vor jeder Vorstellung vorgelesen wird. Tiradur Sardaryan, Gemeindepfarrer der Armenische Gemeinde Baden-Württemberg e.V., schreibt in einem offenen Brief an den Oberbürgermeister und die Stadträte von Konstanz: "Stellen sie sich vor, man veranstaltet ein Theaterstück über den Holocaust, und Neonazis setzen durch, dass man deren Meinung vor der Uraufführung vorliest... Und die Polizei macht Freundschaftsfotos mit den Demonstranten, mit den Genozidleugner."

(Welt / Südkurier / Kontext / SWR / sd)

Auch die aktuelle Theaterkolumne der Journalistin und Publizistin Mely Kiyak dreht sich um die Ereignisse in Konstanz, Titel: "1915 - als die Armenier spazieren gingen".

 

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