Magazinrundschau Februar 2015 – Grünes Theater, Flüchtlingstheater und Theater nach den Attentaten von Paris

Wir müssen an die Kunst glauben, verdammt noch mal!

Wir müssen an die Kunst glauben, verdammt noch mal!

von Wolfgang Behrens

Februar 2015. Die Theaterzeitschriften geben sich in diesem Monat betont politisch: Während man bei Theater heute die Situation der Lampedusa-Flüchtlinge aufgreift, blickt Theater der Zeit nach Paris, wo die Künstler nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und auf einen jüdischen Supermarkt nach einer Haltung suchen. Und Die deutsche Bühne fragt: Wie grün ist eigentlich das Theater?

Theater heute

Die Redaktion von Theater heute hat für ihr Februar-Heft die Kampnagel-Direktorin Amelie Deuflhard und den Regisseur Nicolas Stemann zum Gespräch geladen, da beide im Kontext des Theaters mit Flüchtlingen gearbeitet haben. Amelie Deuflhard berichtet von dem Projekt EcoFavela des Künstlerkollektivs Baltic Raw, das ihr und Kampnagel eine Strafanzeige der AfD eingebracht hat: Es handelt sich um eine "soziale Skulptur", ein "temporäres Gebäude von ca. 100 qm (...) – als Winterquartier, aber auch als Aktions- und Diskursraum für sechs Flüchtlinge. Um den Umbau zu finanzieren, haben Baltic Raw eine Crowd-Funding Initiative gestartet", womit übrigens der erste Vorwurf der AfD entkräftet ist, der auf "Veruntreuung öffentlicher Gelder" lautet. Die Idee hinter EcoFavela sei: "Anbindung an die Nachbarschaft, Vernetzung auch mit unserem Publikum, unserem Freundeskreis, mit Künstlern. Das läuft auch sehr gut. Es war aber auch von Anfang an klar, dass die Flüchtlinge keine Kunst machen müssen."

theaterheutemaerz15Anders als bei Nicolas Stemann, der in seiner (gerade frisch zum Theatertreffen eingeladenen) Inszenierung Die Schutzbefohlenen Flüchtlinge auf die Bühne – und somit eindeutig in den Kunstrahmen – holte, um sie "ihre Stimme erheben zu lassen. Denn das ist ja auch genau ihr politisches Anliegen: sichtbar zu werden." Stemann erzählt von den Problemen, die die Arbeit mit den Flüchtlingen im Stadttheaterrahmen begleiteten: "Man gerät, wenn man mit Menschen arbeitet, deren Aufenthaltsstatus ungeklärt ist, schnell an die Grenzen der Legalität: Entweder hält man die Gesetze ein – oder man behandelt diese Leute anständig. (...) Da hatten wir am Thalia einen großen Dissens, weil korrekte Bezahlung [der Flüchtlinge] eben vielleicht auch bedeutet, dass man Gesetze verletzt. (...) [Es] kamen Vorschläge wie 'Nimm doch Leute aus der Statistenkartei' oder 'Leute, die vor vier Jahren gekommen sind und jetzt arbeiten dürfen', aber das haben wir abgelehnt, weil es eben um Menschen geht, die keinen gesicherten Aufenthalt haben und die man eben nicht legal bezahlen kann." Letztlich hat Thalia-Intendant Joachim Lux "mit seinen guten Beziehungen zur Hamburger Politik eine Sondergenehmigung für diese Veranstaltung bewirkt." Man erfährt übrigens auch, dass "Die Schutzbefohlenen" an allen Spielorten – bislang bei Theater der Welt in Mannheim, am Thalia in Hamburg und beim Holland Festival – mit verschiedenen Flüchtlingsgruppen gezeigt wurden, da die Flüchtlinge Residenzpflicht bzw. keine gültigen Papiere für eine Fahrt an einen anderen Ort haben.

In einem weiteren, sehr lesenswerten Artikel, der sich dem Gespräch anschließt, vergleicht der Theaterwissenschaftler Julius Heinicke Flüchtlingstheater bzw. Theater über Flüchtlinge in Südafrika und Deutschland. In Südafrika hat Heinicke die Beobachtung gemacht, dass "gemeinsame kulturelle Hintergründe" zwischen Zimbabwern (um die es in einer von Heinicke gesehenen Inszenierung geht) und Südafrikanern betont werden, das Gemeinschaftsgefühl werde verstärkt. "In Nicolas Stemanns Inszenierung der 'Schutzbefohlenen' in Hamburg scheint es genau anders herum zu sein." Die Aufführung betone "weniger die Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr die Differenz zwischen geflohenen und nicht-geflohenen, deutschsprachigen und nicht-deutschsprachigen Darstellern. (...) Vielleicht wollen sich die deutschsprachige Gesellschaft und ihr Theater hinsichtlich der Flüchtlingsthematik zunächst einmal mit sich selbst und ihren Ressentiments, Ängsten und Degradierungsbestrebungen beschäftigen, bevor sie Methoden entwickelt, die 'Fremden' und 'Anderen' in die Bühnen- und Rezeptionsästhetik aufzunehmen?" Ja, genau, man nähert sich den "Anderen", um am Ende doch nur wieder den eigenen Nabel zu betrachten: Typisch deutsch, möchte man ausrufen! Aber das ist natürlich auch wieder so ein Stereotyp ...

Theater der Zeit

Theater der Zeit hat den Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo zum Anlass genommen, in der Februar-Ausgabe nach Paris zu schauen: Wie reagiert das Theater auf das Attentat, was kann die Kunst allgemein ausrichten? Der auch im deutschsprachigen Raum bekannte Regisseur und Leiter des Théâtre Nanterre-Amandiers Philippe Quesne etwa berichtet im Gespräch mit Lena Schneider, dass er und sein Ensemble sich am 7. Januar (dem Tag des Anschlags) gefragt hätten, ob sie die für diesen Abend geplante Wiederaufnahmepremiere von La Mélancolie des Dragons überhaupt spielen sollten. "Aber letztendlich waren wir uns einig, dass man gerade in so einem Moment nicht versuchen darf, sich zurückzuziehen. Gerade als Künstler." Und später setzt er hinzu: "Denn verdammt noch mal, wenn wir in Zeiten wie diesen nicht an die Kunst – nicht an die Religion, sondern an die Kunst! – glauben, dann bleiben uns nicht viele Gleise, um als Menschen unseren Weg zu finden. (...) Die Wege und Möglichkeiten, die es im Leben gibt, können Künstler nicht direkt vorgeben. Aber sie entstehen in der Kunst: da, wo es Offenheit und Austausch gibt." Und Quesne verbindet dieses Credo zugleich mit einem Appell an die französische Regierung, ihre Kultur- und Bildungspolitik zu überdenken.

tdz 2-2015 titel 72dpi rgbDie in Paris lebende libanesische Schriftstellerin und Malerin Etel Adnan sieht die Kunst ebenfalls in einer aufklärerischen Rolle. Auf die Frage der Redakteurin Dorte Lena Eilers, wie sich Künstler "über die reine Solidaritätsbekundung durch ein 'Je suis Charlie'-Schild hinaus" engagieren könnten, sagt sie: "Wir können Theater in ärmeren Gegenden der Städte gründen, die die örtliche Jugend einbinden. Auch wenn die künstlerische Qualität nicht hoch ist, werden sich die Teilnehmer glücklich fühlen, involviert, und sie begegnen guten Texten. Das Gleiche gilt für andere Künste." Zuvor allerdings hat sie auch die Medien bezüglich des Umgangs mit Karikaturen an ihre Verantwortung gemahnt: "Wir haben diese Tradition in Europa, über Religion seine Witze machen zu können. Aber für einige Muslime werden sie momentan zu einem Symbol des Zorns. Dabei sind sie im Grunde zornig wegen anderer Dinge: Arbeitslosigkeit, Armut, sozialer Ausgrenzung ... Und in den Karikaturen finden sie nun einen konkreten Anlass, diesen Ärger zu kanalisieren. Dessen sollte man sich als Journalist, als Karikaturist bewusst sein. Oft finde ich es schlicht auch gar nicht notwendig, so weit zu gehen. Karikaturen sind für mich kein Denken, es steckt keine Denkbewegung darin." Vielleicht könnte man Etel Adnan entgegnen, dass es in der Kunst (und auch in der Kunst der Karikatur) ja eben nicht nur um Notwendigkeiten geht, sondern auch um Möglichkeiten. Das allerdings wird sie, der im hinteren Teil des Heftes noch ein Porträt anlässlich ihres nächste Woche bevorstehenden 90. Geburtstages gewidmet ist, wohl selber wissen.

Das Februar-Heft steht auch im Zeichen des Gedenkens an den kürzlich verstorbenen Kritiker und langjährigen Theater-der-Zeit-Redakteur Martin Linzer: Auf 16 Seiten hat die Redaktion Nachrufe von Freunden, Kollegen und Weggefährten versammelt. Stellvertretend sei hier eine Passage des Theaterkritikers vom Neuen Deutschland (und ehemaligen, durchaus gefürchteten Junge-Welt-Chefredakteurs) Hans-Dieter Schütt zitiert, die auch auf die kritische Zunft im Allgemeinen zielt: Linzer "schrieb kritisch und demütig zugleich. Noch das scharfe Urteil hatte als Ausgangspunkt die Zuneigung. Enttäuschung war nicht die Abkehr von dieser Zuneigung, sondern beschwor sie. Wenn ich an diesen aufmerksamen Theaterliebenden denke, entsteht inständiges Fragen: Was fehlt uns eigentlich, dass wir das so unbedingt brauchen, dieses Absprechen, dieses Verurteilen, dieses Verneinen? Kann das Leben denn wirklich zerschnitten werden in richtig und falsch, wahr und unwahr, gut und schlecht? Die Top-oder-Flop-Geste ist langweilig, sie ist Machtausübung im Kostüm des Dienens. Aufregend ist eine Kritik, die sich selbst problematisch bleibt."

Die deutsche Bühne

Der Februar-Schwerpunkt der Deutschen Bühne mag erst einmal unsexy klingen, ganz unwichtig ist seine Fragestellung indes nicht – geht es doch darum, ob unsere geliebten moralischen Anstalten neben mancherlei Bühnenbekenntnissen (im "Volksfeind" etwa) auch ganz handfest für unsere Zukunft mit einstehen, auf ökologischem Gebiet nämlich: "Wie grün ist das Theater?" Die Redaktion hat diesbezüglich an 150 Theater einen Fragebogen verschickt, 35 haben geantwortet. Geht man einmal davon aus, dass den übrigen 115 Theater das Thema Umweltbewusstsein einigermaßen schnurz ist, dann ist das Ergebnis der Umfrage schon vor der Auswertung des Rücklaufs niederschmetternd. Ob es dadurch besser wird, dass das Berliner Ensemble in seiner Antwort vermerkt, dass sich "viele Mitarbeiter möglichst von Bio-Lebensmitteln" ernähren (Wo denn? In der Kantine etwa? Das entspricht nicht ganz meinen Erfahrungen, aber die liegen auch schon ein bisschen zurück ...), steht dahin.

ddb cover 0215-228x228Die Redakteurin Bettina Weber meint in ihrer Auswertung immerhin, dass "die Offenheit und das Interesse der Theater für das Thema Ökologie (...) deutlich spürbar" gewesen sei, und in der Tat gibt es auch Positives zu vermelden: 21 der 35 (bzw. der 150) gaben an, "bei laufenden/kürzlich abgeschlossenen/geplanten Bau- beziehungsweise Sanierungsmaßnahmen ökologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen." Geradezu sensationell mutet zudem das Chemnitzer Modell an – und falls das hier jemand vom Theater liest, sei es zur Nachahmung empfohlen: Opernhaus und Schauspielhaus wurden 2014 "komplett energiesparend umgerüstet. (...) Das Besondere: Die Umbaukosten von rund 900.000 Euro netto werden nicht von der Stadt Chemnitz finanziert, sondern von dem externen Unternehmen WISAG (Energiemanagement-Firma) im Rahmen des sogenannten 'Energiespar-Contractings' übernommen. WISAG garantiert dabei über Vertragslaufzeit von elf Jahren hohe Einsparungen von Energiekosten, wodurch wiederum die Sanierungsarbeiten und die Wartung der eingebauten Anlagen refinanziert werden." Hoffen wir nur, dass die WISAG keinen Einfluss auf den Spielplan zu nehmen versucht ...

Außerhalb des Schwerpunkts wettert Kay Voges, der rührige Intendant des Schauspiels Dortmund – noch ohne Kenntnis des jüngst aufgetretenen Münchner Baal-Falles – gegen Rechteinhaber und Erben, die sich "wie Gralshüter als Bewahrer einer vermeintlichen Tradition" gerieren. "Wir müssen die alten Texte aus den Händen ihrer angeblichen Interessenvertreter befreien und sie wieder nutzbar machen dürfen für die Bühne. Es geht nicht um die Abschaffung von Urheberrechtsabgaben, auch wenn im Zeitalter des Sampelns neue und einfachere Abgaberegelungen getroffen werden sollten, es geht mir um die freie Benutzung kulturellen Erbes. Eine Forderung, die im digitalen Zeitalter selbstverständlich ist und beispielsweise in der bildenden Kunst und der Popmusik zu keiner Verwunderung mehr führt." Stimmt, Heino hat einfach bezahlt und durfte dann covern, was er wollte, da konnten die Ärzte noch so sehr ätzen. Voges hingegen bekam anlässlich seiner Endstation Sehnsucht-Inszenierung in Frankfurt per E-Mail folgende Aufforderung der Tennessee-Williams-Vertretung: "Wenn Sie in Szene 11 nicht das Wort 'Zwangsjacke' verwenden, können die Aufführungsrechte nicht erteilt werden." Wenn das mal keine Zwangsjacke ist ...

 

 

Nachgereicht: Zwei Monate nach dieser Magazinrundschau widmete sich Wolfgang Behrens im Fall Kay Voges / Urheberrecht der Gegendarstellung des Verlegers Helmar Harald Fischer – der sich daraufhin mit weiteren Richtigstellungen an die Redaktion von nachtkritik.de wandte. Hier ist der sich an diesem Fall entzündende Mailwechsel zwischen Verleger und Redakteur.

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