Presseschau vom 17. Februar 2015 – Stimmen zum Verbotsverfahren gegen Frank Castorfs Münchner "Baal"-Inszenierung

Die Kleinhäcksler aus der Regieetage

Die Kleinhäcksler aus der Regieetage

17. Febuar 2015. Heute fällt das Urteil im Urheberrechtsverfahren gegen Frank Castorfs Münchner Inszenierung des frühen Brecht-Dramas Baal, das die Brechterben angestrengt haben. Die Südwestpresse hat dazu den Brecht-Biografen und -herausgeber Jan Knopf interviewt, der Lena Grundhuber seine Ansichten ins Mikro gewettert hat. Im Deutschlandradio Kultur sagt Christian Gampert seine Meinung: mit Castorf träfe ein Verbot der Inszenierung "nicht den Falschen".

"Der Verlag macht nur noch Mist"

Jan Knopf: Die Einsprüche der Brecht-Erben seien völlig unsinnig, "weil Theater eine eigene Kunstform ist. Jede Inszenierung ist eine künstlerisch eigenständige Deutung des Texts; nichts kommt so auf die Bühne, wie es gedruckt ist. Gerade für Brecht war ein Stück ohne Bühne gar nicht fertig. Ein Text war offen, eine Partitur, die auf der Bühne je neu und aktuell mit dem Mitteln der gegenwärtigen Schauspielkunst umgesetzt wurde."

Er habe festgestellt, "dass Barbara Brecht-Schall meist gar nicht weiß, worüber sie spricht. Sie kennt noch nicht einmal die einschlägigen Ausgaben, die auf dem Markt sind und häufig so gar nicht von Brecht, sondern von den Herausgebern stammen." Leider sei Suhrkamp "ein bereitwilliger Erfüllungsgehilfe der Erben. Der Verlag macht, was das Werk Brechts anbetrifft, nur noch Mist. Da werden sogar die Notizbücher als neueste Sensation herausgebracht, in die Brecht alles Mögliche hineingeschrieben hat, das in vielen Fällen gar nicht von ihm stammt. Das nennt sich dann Textphilologie: zum Totlachen."

Die Brecht-Erben sollten "froh sein, wenn sich jemand des "Baal" so annehmen würde, wie nun Frank Castorf.

"Die Sekretärin schreibt's dann zusammen"

Christian Gampert: Sollte "Baal" tatsächliche verboten werden, träfe es mit Frank Castorf "nicht den Falschen". Denn das Theater der Postmoderne müsse sich fragen, "welche Rolle der Autor in ihm spielt. Bertolt Brecht sei zwar "eine literarische Leiche, die man künstlich aufschminken, reanimieren, vielleicht auch mit Fremdtext anreichern muss, um sie heute noch interessant zu machen". Doch "die heute lebenden Autoren müssen anfangen, sich zu wehren gegen die Kleinhäcksler aus der Regieetage," führt Gampert weiter aus.

Im Verfahren gegen Castorf wird aus seiner Sicht nun mitverhandelt, "wie das Theater allgemein mit seinen Autoren umgeht. Nach allem, was in den letzten Jahren geschehen ist, muss man sagen: nicht gut. Das alte Nachkriegs-Credo, nach dem der Regisseur eine Art Subalterner, ein Diener am hehren Dichterwort sei, hat sich seit APO-Zeiten, seit Peymann, Stein und Zadek, spätestens aber mit Beginn der Postmoderne und des postdramatischen Theaters in sein Gegenteil verkehrt. Jetzt gilt: Der Regisseur darf alles, und der Autor ist ein armer Wicht."

Texte seien nur noch Spielanlass für etwas Höheres: die Inszenierung. Der Regisseur kann zwar nicht schreiben, aber er kann extrahieren, Textstellen anstreichen, die ihm gefallen, fertig ist das Stück. So macht Frank Castorf angeblich seine Romanadaptationen. Man setze sich irgendwo an die Ostsee, lese Dostojewski und fahre ab und zu den gelben Markierstift aus: Fertig ist der Theaterabend, die Sekretärin schreibt's dann zusammen."

(sle)

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