Provinzielle Fixierung

23. August 2014. In der Welt empfiehlt Tilman Krause Katharina Wagner, "nach dem 'Ring'-Desaster" von Frank Castorf endlich dazu überzugehen, "nach Leuten mit weiterem Horizont Ausschau zu halten".

Castorf sei, ganz wie "der Meister von Bayreuth", "ein Mann, dem fast jedes Mittel recht ist, wenn er das Publikum nur beeindrucken, ja überwältigen kann". Das führe allerdings in seinem Fall dazu, dass sich seine Regie "im Läppischen, Vulgären, Abseitigen" verliere. Sie führe "zumindest den fortgeschrittenen Zuschauern" ein für allemal vor Augen, "was sie vielleicht beim Besuch von Theater- oder Opernaufführungen mit Ost-Handschrift schon immer ahnten, aber noch nie in dieser Eindringlichkeit erleben konnten: nämlich das Versagen einer spezifischen Ost-Ästhetik vor allen differenzierteren Hervorbringungen des klassischen europäischen Musik- und Sprechtheaterrepertoires".

Was Castorf biete, sei ein "Wagner-Torso, lebensverhindernd amputiert". "Und diese Vergröberung ist der Skandal", so Krause. Er bezeichne aber nicht nur ein punktuelles Verfehlen des "Ring"-Zyklus, dem Castorf geistig und emotional "keineswegs zufällig" nicht gewachsen sei. "Er bezeichnet etwas viel Umfänglicheres, nämlich die Beschränktheiten einer Kunstwahrnehmung, die sich in provinzieller Fixierung auf Erfahrungen mit der DDR, wo ja nun in der Tat alles jämmerlich und kleinkariert war, anmaßt, den gescheiterten real existiert habenden Sozialismus wie ein Passepartout über andere künstlerische Weltentwürfe zu stülpen."

Mit diesem kümmerlichen Passepartout verhunze Castorf an der Volksbühne auch die großen Sozial- und Seelentableaus von Balzac beziehungsweise Dostojewski. "Mit diesem kümmerlichen Passepartout verzeichneten schon Theaterleute wie Heiner Müller oder Dimiter Gotscheff die Klassiker." Und Schriftsteller wie Volker Braun oder Christoph Hein "verzwergten" mit diesem kümmerlichen Passepartout die deutsche Wirklichkeit von heute, "sofern sie sich künstlerisch auf sie einlassen".

(sd)

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