Zettels Version

von Claude Bühler

Zürich, 18. Oktober 2014. Das Publikum war hörbar erleichtert, als die Aufführung beim fünften Akt ankam, jenem Spiel im Spiel, wo die naive Handwerkerstruppe zur Hochzeit des Königs und zum Happyend all der Liebeswirren die Tragödie von Pyramus und Thisbe radebrecht. Und das Ensemble bewies Komödienlust. Claudius Körber als Liebhaber Pyramus näselt mit süddeutschem Akzent durch die Wand, die Klaus Brömmelmeier mörtelverschmiert und mit stoischem Ernst verkörperte, seiner Thisbe (Anna Blomeier) schwülstig-hohle Liebesphrasen zu, die als schauspielender Handwerksgeselle mit dem Mörtel am angeklebten Schnurbart kämpfte. Und mit heiligem Ernst vollzog Körber mit einem Klappmeter als Dolch Pyramus’ Liebesselbstmord, als er die Geliebte von einem Löwen (Katharina Schmidt, mit fürchterlichem Gebrüll) gerissen wähnte. Shakespeares Verse, eine Parodie auf die Lyrik seiner Tage, stachen wie am ersten Tag, das Publikum war hingerissen.

Nur einer machte nicht mit. Der Handwerker Zettel schmiss vor seinem grossen Auftritt hin (nicht die einzige Änderung zum Ursprungstext). Es klang wie eine Anklage gegen höhere Instanzen: “Ich hatte einen Traum, es geht über Menschenverstand, zu sagen, was für ein Traum das war“. So stieg Jirka Zett gedemütigt von der Bühne, verliess das Auditorium. Übel hatte man ihm mitgespielt. Der Kobold Puck (Lambert Hamel) hatte ihm einen Eselskopf gezaubert, seine Schauspielkollegen waren schreiend vor ihm geflohen, die Elfenkönigin Titania (Isabelle Menke) aber hatte ihn bezirzt. Verzweifelt kommandierte er in deren Feenwelt herum, bumste seine Verehrerin, deren Anbetung und Welt er nicht versteht, so dass Elfenkönig Oberon (Klaus Brömmelmeier) als Zeuge vor Entsetzen ächzte.

Hässliche Kämpfe
Jirka Zett spielt nicht nur den Hobbyschauspieler und Handwerker, sondern auch den jungen Liebhaber Lysander, der mit seiner Hermia (Katharina Schmidt) aus Athen flieht, um sie in der Fremde heiraten zu können. Wieder kommt Puck dazwischen, träufelt ihm ein Liebeskraut in die Augen, so dass er nun statt Hermia die Helena (Anna Blomeier) verehrt, die ihrerseits dem Demetrius (Claudius Körber) anhängt, der seinerseits die Hermia will. Ein wüster Streit beginnt, und es ist Lysander, der das gröbste Geschütz gegen seine einstige Geliebte Hermia auffährt: Abscheu bis zum Erbrechen wecke sie bei ihm.

Sommernachtstraum2 560 MatthiasHorn u Im Vordergrund: Johannes Sima, Isabelle Menke, Jirka Zett © Matthias Horn

Nicht beim antiken Hof von Athen, sondern im Wald beginnt die Aufführung, wo die Handwerksgesellen eben die Rollenverteilung für die Tragödie des fünften Akts besprechen. Die kurligen Typen, teils in ländlicher Rockerkluft und mit Vokuhila-Schnitten, verteilen Reclam-Büchlein. Alles dreht sich um den naiven Zettel, der am liebsten jede Rolle übernehmen würde. Aber dann werden die Mienen auf einmal todernst, dunkler Sound verkündet einen Wechsel, Bärte und Kleider fliegen weg, Rauch steigt auf, und wir befinden uns am Hof von Athen, wo Theseus (Klaus Brömmelmeier) die Amazonenkönigin Hippolyta (Isabelle Menke) im Zweikampf niederringt.

Der Kampf ist hässlich, sie fassen sich ins Gesicht, in die Augen. Theseus ist nicht der genüssliche Patriarch, als er der öfter gezeigt wird, sondern ein cooler Machthaber. Mit dem Streit um Hermias Ehe (sie soll nach dem Willen ihres Vaters Demetrius heiraten) will er sich nicht lange abgeben. Mit Fingerzeig auf Hippolyta meint er, er sei noch mit "anderen Dingen beschäftigt".

Unheilbare Verletzungen
Oberon (auch Brömmelmeier) ist kein mächtiger Herr über ein zauberhaftes Feenreich sondern ein Gärtner mit schreigelber Brille, der beinlos wie ein Amputierter auf einem kräuterübersäten Karren herumkurvt. Die Elfen (Johannes Sima im rotgepunkteten Röckchen) wirken wie eine Karikatur. Puck, der mit der Kettensäge in die Szene hinein bricht und mit der Häcksel-Maschine die Reclam-Büchlein schreddert, findet seine eigenen Spässe nicht mehr lustig. Auch der Streit zwischen Hermia, Helena, Lysander und Demetrius wirkt zu ernst, als dass die Verletzungen hier noch mit einem komödiantischen Kunstgriff heilbar wären. Nachvollziehbar, dass das Happyend mit den Hochzeiten gestrichen ist. So spielen denn die Handwerksgesellen ihre Schlussszene auch nicht vor dem König und den frisch vermählten Liebespaaren, sondern für das Publikum, als sei es die Herrschaft.

Daniela Löffner hält das Publikum in einer Balance zwischen verschrecktem Lachen und Nachdenklichkeit, jedoch ohne über die ganze Spielzeit fesseln zu können. Mag der teilweise grobe Realismus Shakespeares Pessimismus auch nahekommen; die Fallhöhe des Stoffs ist um Zuversicht und Zauberwelt reduziert.

Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec, in Zusammenarbeit mit Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
Regie: Daniela Löffner, Bühne und Kostüme: Matthias Werner, Musik: Cornelius Bogolte, Licht: Gerhard Patzelt, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Anna Blomeier, Klaus Brömmelmeier, Claudius Körber, Lambert Hamel, Isabelle Menke, Katharina Schmidt, Johannes Sima, Jirka Zett.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.ch

Kritikenrundschau

Nicht der ganze Shakespeare, denn einen Teil des Stücks schreddere Puck im Häcksler, der zentral auf der Bühne throne, schreibt Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (20.10.2014)."Doch was übrig bleibt, füllt den Theaterabend mit Kurzweil und Geist". Romantik setze Daniela Löffner generell auf Sparflamme und mische ihrer gesamten Inszenierung einen zünftigen Schuss Ironie bei. Effizient, nachvollziehbar und witzig schaffe sie es, "die eng verflochtenen Handlungsstränge zu erzählen."

"Dieser Abend ist von einer bemerkenswert stoischen Lähmung," schreibt Andreas Tobler im Zürcher Tagesanzeiger (20.10.2014). "Pflichtschuldig werden sämtliche Szenen des Stücks abgelatscht, alles dauert ungeheuer lang, insgesamt 140 pausenlose Minuten." Vielleicht hätte es ein etwas freierer Umgang mit dem Text getan, so Tobler, aus dessen Sicht es schöne gewesen wäre, "wenn Löffner den 'Sommernachtstraum' nicht nur bebildert, ein wenig umgestellt und gestrichen, sondern ihn richtig zerhäckselt, gesiebt und dann so neu zusammengesetzt hätte."

 

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