Die Welt wird schwarz

von Steffen Becker

Stuttgart, 12. Dezember 2014. "I have a dream, Malcolm X, Patrice Lumumba: was kann ich sagen: I have a guilt - als weißer, heterosexueller deutscher Mann, der als solcher nie um seine Identität kämpfen musste?" Antworten auf seine Frage nach der Schuld gibt der Schauspieler Lorenz Leky in der theatralen Fallstudie KoNGOland - als Brunnenbauer, Expat, NGO-Mitarbeiter, Entsendeorganisation, Aussteiger und Kulturbotschafterm, alles in einer Person.

Das wahre Afrika im Kopf

Aus zitierten Expertengesprächen, Theoriesplittern und eigenen Erinnerungen haben Leky und Mitautorin Nina Gühlstorff, die auch inszeniert hat, das Bild von Afrika zusammengesetzt - wie es das weiße Publikum sieht. Wenige Requisiten genügen, um das Kopfkino in Gang zu setzen. Über ein Förderband rollen ins Licht: Die Brunnenpumpe, der Kleiderballen, das Moskitonetz, ein kurzer Einspieler von "Band Aid" mit Bono, das Kondom. Dazu führt Leky verschiedene Menschen auf, die Afrika zu ihrem (zeitweiligen) Lebensinhalt gemacht haben. Der Veteran, der nichts hält von political correctness. Und ungeniert herzieht über die lethargischen, diebischen Ureinwohner - immer mit dem Zusatz, dass das Land trotz allem unglaublich faszinierend ist (weil da alle ständig tanzen). Die Kulturwirtschaftsabsolventin, die darüber schwadroniert, wie sie sich innerlich wehrt, immer die Weiße zu sein, die in der Bank vorgelassen wird und im Bus den besten Sitz angeboten bekommt. Und nach einer kurzen Schampause von ihren dekadenten Wohnverhältnissen schwärmt ("Hammergarten!"). Man merkt: Leky kennt diese Menschen, entsprechend plastisch kommen sie beim Publikum an - trotz der Monolog-Passagen und geringen Interaktion.

kongoland 560b thomasrustemeyer uAuf der Rampe in der Rampe sitzt die kleine, weiße, heterosexuelle, männliche Wanze
© Thomas Rustemeyer

Regen aus der Weltdiskurskiste

Der eigentliche Reiz von Gühlstorffs und Lekys Collage sind jedoch die Interventionen, mit denen sie die zunächst dargestellten Typen und Einstellungen unter den Zuschauern ausfindig machen. Zwar gibt es da den schmerzfreien Alten, der bei der Lehrdemonstration des Kondoms trocken in die Runde fragt, ob jemand seinen Penis zur Verfügung stellt. In der Mehrheit sind aber die unsicheren Weißen, die verinnerlicht haben, dass ihr Weiß-Sein böse ist. Leky zeigt ein Urlaubsbild herum, auf dem er sowohl eine Bananenstaude als auch eine dralle Schwarze im Arm hat. Darauf angesprochen, was ihnen auffällt, regnet es Begriffe aus der Weltdiskurskiste, die zwischenzeitlich vom Förderband gefallen ist. "Herrschaftsgeste", "neokolonialistisch", etc. Kurz ist man versucht, alle Kommentatoren für einen Teil der Inszenierung zu halten. Rollen, die die Aussagen von Lekys Charakteren durch überdeutliche Bestätigung ironisieren. Aber spätestens als eine Frau eifrig berichtet, dass ihr eine solche Ikonografie neulich auf einem um 1900 entstandenen Foto im ethnologischen Museum begegnet sei, wird klar: Das ist kein Spiel. Hier drückt sich genau jene mit Scham gepaarte Correctness aus, die das Machtgefälle zwischen Schwarz und Weiß auf kultureller und sprachlicher Ebene sogar noch zementiert.

Ziegen als Geiseln

Als Leky dann aus seiner Erfahrung als NGO-Mitarbeiter berichtet, bricht die Absurdität unseres Denkens über Afrika vollends herein über KoNGOland. Leky zog mit einer Truppe über die Dörfer, bestach den Ältesten mit einer Cola, um ein Forumtheater aufführen zu dürfen. Dabei interviewte man die Bewohner über die lokalen Konflikte, die man dann vor der Gemeinschaft dramaturgisch verarbeitet. Tja, und was denken Sie sind das für Probleme? Die kritischen Weißen im Publikum greifen erneut zu den großen NGO-Themen - Korruption, Trinkwasserversorgung, Kindersoldaten. Einer wirft von der Seite "Haustiere" ein. Damit hat er Leky zwar den Witz geklaut, aber er darf das, kommt er doch schließlich selbst aus dem Kongo - und hat in schwer zu übertreffender Weise offengelegt, wie sehr sich auch in der Wissensgesellschaft Diskurse und überhöhte Bilder und von der Realität entkoppeln können. Wir erfahren, dass es in afrikanischen Dörfern üblich ist, fremde Ziegen als Geiseln zu nehmen, wenn sie den Leuten etwa den Maniok wegfressen haben. Das Tier bleibt in "Haft", bis der Besitzer auftaucht und man Schadensersatz fordern kann - der nach langem Palaver in der Regel gewährt wird. Also gibt es eigentlich kein Problem. Aber es gibt einen Haufen Leute wie Leky einer war, die wegen ihrer weißen Heterosexualität nach Afrika möchten und sich legitimieren müssen.

Weil ihm das nach dem von ihm entworfenen Gesamtbild naturgemäß schwer fällt, kasteit er sich in KoNGOland mit Heiner Müller ("Der Auftrag"), einem Ballen Altkleider, die er sich überzieht, und einer Eddie-Murphy-Imitation. Kurzer Klimax vor dem - na ja - erlösenden Ende: "Der Kapitalismus erklärt den Großteil der Menschen für überflüssig. Wir werden alle schwarz und überflüssig!" Das klingt im Diskurssound des kritischen Weißen wieder absolut logisch. Aber was zu dieser Art, die Welt zu erfassen, gesagt werden muss, zeigen Gühlstorff und Leky in einem Schlussbild. Der Schauspieler lässt sich von den Helfern im Publikum die Kleiderschichten abnehmen. Übrig bleibt ein nackter Mann ohne Soziologendeutsch: "Ich bin schwarz! Und ich habe eine große Stärke: Ich habe keine Angst..." So einfach ist das?

 

KoNGOland
von Nina Gühlstorff, Laurenz Leky und Thomas Rustemeyer
Regie: Nina Gühlstorff, Ausstattung: Thomas Rustemeyer, Dramaturgie: Martina Grohmann.
Mit: Laurenz Leky.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theaterrampe.de

 

Mehr: KoNGOland ist der zweite Teil der Rampe-Reihe "Und es mag am deutschen Wesen, einmal noch die Welt genesen". Laurenz Leky untersuchte im ersten Teil Kongo Müller vor einem Jahr das Leben des deutschen Söldners Siegfried Müller.

 

Kritikenrundschau

In der Stuttgarter Zeitung (15.12.2014) schreibt Adrienne Braun: Die Rampe experimentiere immer wieder mit "neuen Theaterformen", bei denen das Publikum "eingebunden" werde. Auch in "KoNGOland" spreche Leky das Publikum direkt an, aber es finde kein "ernsthafter Dialog" statt. Leky ballere über lange Strecken nur "die dichten Protokolle" heraus. Gühlstorff scheine bei dem hochkomplexen Thema – ob Entwicklungshilfe letztlich nicht kontraproduktiv sei? - die ästhetische Umsetzung "aus dem Blick verloren" zu haben. Der Abend beziehe weder Stellung, noch reflektiere er "konstruktive Lösungsansätze". Er gefalle sich in der "Rolle des Anklägers" und komme letztlich "überheblich" daher.

Brigitte Jähnigen schreibt in den Stuttgarter Nachrichten (15.12.2014), dass Leky keineswegs "politisch korrekt" agiere, tue dem Zuschauer "weh" und mache zugleich "höllisch Spaß". Leky demonstriere zu Beginn das "Besserwisserische und Überhebliche" des "deutschen Wesens". Die zitierten Dokumente sorgten auch in ihren rassistischen Tönen für "hohen Wiedererkennungswert". - "Eine provozierende Fallstudie".

 

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