Ich weiß nicht, ob ich es weiß

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt, 19. Dezember 2014. Hans Peter Grothe, Mitarbeiter der Firma SWL (Sanddorn Worldwide Logistik), ist ein kleiner Angestellter, wie er im Buche steht: penibel, korrekt, spießig möchte er bloß keine Fehler machen und immer sein Bestes geben, ganz egal wofür. Sein neuester Auftrag führt ihn nach Paris, wo er einen Container finden soll, von dem er weder weiß, ob er in Paris ist noch, was sich darin befindet. Absurd? Und wie!

Ein Bürohengst in der Stadt der Liebe
Der Container beziehungsweise die Vermarktung der Suche nach ihm dient dem Autor David Gieselmann als Symbol eines leerlaufenden Finanzsystems, das sich um die Blasen, die es erzeugt, nicht schert. Die Verlorenheit, die das mit sich bringt, formuliert Gieselmann mit Witz und Hintersinn, zwingt seine Figuren nach Paris, Oslo und sonst wohin, um die Erregungskurven der Öffentlichkeit abzufahren. Der Container ist die Leerstelle, um die er seine verkorksten Figuren gruppiert. Sein Stück stiert der Gegenwart ins Gesicht und entlarvt Arbeitsabläufe als das, was sie sind. "Ich weiß es nicht" lautet in diesem Zusammenhang die einzig gescheite Antwort auf dumme Warums.

containerparis2 560 birgit hupfeld u Picco von Groote, Sascha Nathan, Verena Bukal, Katharina Bach, Thomas Huber © Birgit Hupfeld

Der Regisseur Christian Brey, der im vergangenen Jahr schon Gieselmanns Die Phobiker uraufführte, inszeniert "Container Paris" ohne falsche Scheu als ungestüm albernen Abend. Torben Kessler gibt darin Hans Peter Grothe als blond blassen Bürohengst, der nur seine Arbeit macht und sich dabei zuweilen herrlich verzettelt. In Paris trifft der arme Mann auf die unschlagbare Lynn Preston, die mit bürgerlichem Namen zwar bloß Evelin Petersen heißt, sich aber trotzdem schneller auszieht als man gucken kann. Katharina Bach spielt sie als sagenhafte Aufziehpuppe, die in den dollsten Verrenkungen die Bühne beherrscht, sich bewegt wie eine Außerirdische und dazu mit den Augen klimpert, als seien ihr alle Sicherungen durchgebrannt. Dabei wirkt sie nicht selten wie eine animierte Filmfigur – sie plärrt und greint, als sei das ganze Leben ein bunter Comicstrip.

Blättermeer und Kartongebirge
Von Logistik versteht sie nichts, weswegen ihr Gustav zur Seite steht, ihr Assistent, den Thomas Huber in fliederfarbenen Höschen und mit parfümierter Stimme zum Besten gibt. Auch als Pater und Schweizer Staatssekretär ist Huber im komödiantischen Dauereinsatz. Wie auch Picco von Groote mehrfach besetzt wurde, etwa als "französische" Apothekerin mit zwanghaft unter die Arme geklemmten Baguettes und als schreckschraubende Gegenspielerin Hans Peter Grothes. Dessen Frau Linda spielt Verena Bukal in hochnervöser komischer Gebücktheit, während Sascha Nathan als Vorgesetzter ihres Mannes seine Stimme in gefährliche Höhen schraubt und später als strähniger Zivi vom Dienst herein schlurft. Hinzu tritt immer mal wieder der Schauspieler Nico Holonics, der sich als neunmalkluger Wirtschaftswissenschaftler aufspielt.

Es ist ein brillantes Ensemble, das sichtlich Spaß hat an den pointierten Steilvorlagen, die Gieselmann ihm liefert. Auch wenn manches an Herbert Fritsch gemahnt – vom Grad der Aufgekratztheit wirkt der Abend vergleichsweise dezent, obwohl die Bühne von Anfang an aus Blättermeer und Kartongebirgen besteht, in die Christian Brey die Figuren wie in eine Hochzeitstorte drückt. In Brey hat Gieselmann einen idealen Regisseur gefunden, der enorm auf Tempo achtet, sich für keine Blödelei zu schade ist, Humor-Klassiker zitiert, den Slapstick aber auch immer mal wieder neu erfindet. Das geht zwar nicht die ganze Zeit gut, die längste aber sehr.

Container Paris
von David Gieselmann
Uraufführung
Regie: Christian Brey, Ausstattung: Anette Hachmann und Elisa Limberg, Musik: Matthias Klein, Dramaturgie: Claudia Lowin.
Mit: Torben Kessler, Verena Bukal, Katharina Bach, Sascha Nathan, Thomas Huber, Picco von Groote, Nico Holonics.
Dauer: 1 Stunde und 45 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de


Kritikenrundschau

"Wer sich auf dieses Stück einlässt, muss mit der permanenten Übertreibung, der systematischen Überkandidelung etwas anfangen können", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (22.12.2014) und befindet: "Regisseur Christian Brey kann das in der Tat. Ob es für Gieselmanns Text auch noch eine andere Umsetzungsmöglichkeit gibt, als einen gigantischen und offensiv peinlichen Sketsch nach Art von Fernsehsketschen daraus zu machen, diese Frage lässt sich nicht mehr beantworten. Zu zupackend ist Breys Inszenierung, zu durchschlagend der Klamauk." Viel Lob erhalten die Schauspieler*innen, wobei die Kritikerin im Ganzen distanziert bleibt. Ihr Fazit: "Man kann mit den Augen rollen, aber hinschauen wird man schon."

"Wie immer ist Gieselmanns Komödien-Konstruktion ziemlich hieb- und stich- und sattelfest; selbst dort, wo sie stark ins Absurde driftet", sagt Michael Laages in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (19.12.2014). Die Zusammenarbeit mit Christian Brey, einem Experten fürs ausgefeilte Komödienhandwerk "funktioniert hier ziemlich gut, zumal mit dem animierten, wenn auch nicht sonderlich funkelnden Frankfurter Ensemble". Allerdings fehle "die finstere Seite des Plots". Und so schließt der Kritiker bedauernd: "kein Skandal, keine Katastrophe, kein Schmerz nirgends".

Als "funkensprühende Spekulationssatire, die aber stellenweise über die eigenen intellektuellen Ansprüche stolpert" beschreibt Cornelia Fiedler das Stück von David Gieselmann in der Süddeutschen Zeitung (23.12.2014). Die vehement vorgetragene Kritik an Spekulationsgeschäften mit inhaltsleeren "Bubbles" bleibe ein sehr oberflächliches Kratzen an der kapitalistischen Wertschöpfungslogik. "Da wäre mehr drin gewesen." Als Lehrstück in Sachen Weihnachtskomödie sei "Container Paris" "dennoch wärmstens zu empfehlen". Christian Brey, "der als Schauspieler schon in einigen der Diskurs-Rundumschläge von René Pollesch mitgespielt hat", inszeniere "sichtlich comedygeschult, schnell getaktet" und arbeite Gieselmanns Sprachkapriolen mit seinem starken Ensemble "präzise und urkomisch" heraus.

 

mehr nachtkritiken