Glücklich scheitern mit Bob Dylan

von Tobias Prüwer

Leipzig, 25. Januar 2015. "Es ist ein Würfel, also würfle!" So wird unter Anweisung eines Nachtkritikers ein Requisit zerstört, denn gesagt, getan – und der Holzwürfel zerbricht. Zur Premiere tobt sich die denkbar rabiateste Rollenspielgruppe aus, mit der die machina eX-Macher rechnen konnten. Doch ihr analoges Point-and-Click-Abenteuer übersteht den Härtetest und bietet unterhaltsames Mitmachtheater.

Die Ordnung der Dinge

Eigentlich wollte ich mich als Kritiker ja zurückhalten, allerdings auch nicht Hemmschuh der Geschichte sein. Da "Life of N in a Nutshell" wie alle machina eX-Konzepte auf Zuschauerkooperation basiert, ist das gemeinschaftliche Rätselraten die Grundbedingung, damit die Handlung vorangeht. Die so oft als leere Formel beschworene Interaktivität kommt hier wirklich zum Tragen. machina eX haben in Aneignung von Computerspielmethoden ihr eigenes Theaterformat kreiert. Mit der Nussschalen-Produktion wird das Adventure-Format zur Vorlage für ein kollektives Problemlösen im Theaterraum, bei dem man dem Archivar N dabei helfen muss, seine Erinnerungen in Ordnung zu bringen. Also bin ich mit dabei – und hätte als reservierter Beobachter auch einigen Spaß eingebüßt.

life of n machina ex 3 560 rolf arnold uAn den Schuhkartons der Erinnerung: Bernd-Michael Baier als Archivar N.
© Rolf Arnold

Im dunklen Raum steht ein weißer Kubus, in den es zunächst hineinzukommen gilt. Ich umrunde das Gebilde, kein Eingang nirgends. Derweil konzentrieren sich die anderen Zuschauer unserer ein gutes Dutzend Detektive zählenden Gruppe auf Symbole an den Wänden. Wir rätseln, ein paar aus dem Off geraunte Hinweise wollen uns nicht als Hilfestellungen genügen. Nach einigen Minuten Versuch und Irrtum (Versuch macht klug) schiebt sich dann ein Element aus der Wand. Was wir genau gemacht haben, will ich nicht verraten, wie auch in der weiteren Beschreibung nicht zu Konkretes zu lesen sein wird, damit sie nicht vor spielverderbenden Hinweisen ("Spoilern") strotzt.

Wo war doch gleich...?

Das Innere offenbart sich als Archiv. Kisten stehen in der begehbaren Installation wohl geordnet herum, technische Apparate wie Diaprojektoren, Rekorder, Videokonsolen türmen sich auf. Hier agiert Bernd-Michael Baier als vor sich hinmurmelnder Archivar N, dem die Erinnerungen entfallen sind. Wo war, wie war das doch gleich? Er kramt in den Dingen, wir beobachten und versuchen Bezüge zwischen ihnen herzustellen. Sprechen können wir mit N nicht (das ist anders, als man es zum Beispiel aus den Arbeiten von Signa kennt).

Wenn wir aber getreu dem klassischen Adventure-Prinzip ein Rätsel lösen – zum Beispiel einen Setzbaukasten richtig sortieren, einen Song finden und abspielen oder Memory-Karten aufdecken –, geht es weiter. Der Archivar berichtet eine weitere Episode aus seinem Leben. So fügt sich die lose Biografie um eine tödliche Katastrophe zusammen. Dabei haben wir mehrfach Auswahlmöglichkeiten, um die Geschichte mit alternativen Elementen auszugestalten. Kein Abend ist also wie der andere.

Begrenzt, aber reizvoll

Klar, der Aspekt der Interaktivität nimmt sich hier doch als beschränkt aus, auch wenn diese noch immer als Zukunft von Medien und Kunst deklariert wird. Ist es Zufall, dass an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur gerade ein interaktives Filmformat ausprobiert wird, bei dem das Publikum vor dem Drehen entscheiden kann, was passieren soll? Und kürzlich zwei Leipziger freie Gruppen einen ebenso interaktiven Science-Fiction-Rätselabend gaben, an dem ohne Publikumsmithilfe eine Bombe hochgeht?

life of n machina ex 6 560 rolf arnold uKnobeln für das Erinnerungspuzzle: Zuschauer als Mitspieler bei machina eX
© Rolf Arnold

Gegenüber den mannigfaltigen Möglichkeiten der Figuren- und Handlungsentwicklung in Computerspielwelten wie "World of Warcraft" erlebt man "Life of N in a Nutshell" als sehr begrenzten Rahmen. Als Computerspielfan fühle ich mich in ein Abenteuer wie "Maniac Mansion" aus den 1980ern zurückgeworfen. Zu vorbestimmt sind Story und Möglichkeitsraum. Auch die guten alten Stift-und-Papier- sowie die Life-Rollenspiele, bei denen man sich als verkleideter Akteur ins fantastische Getümmel mit anderen stürzt, bieten weit mehr an eigener Handlungsfreiheit. Lässt man solche Vergleiche weg oder ist von diesen Erfahrungen unbeleckt, dann entfaltet sich der Abend gleichwohl als munteres Zusammenspiel.

Über all dem Tüfteln, dem Diskutieren oder der manchmal forschen Entscheidung durch einen Einzelnen verliert sich die eigentliche Geschichte leicht aus dem Blick. Statt der Frage, was eigentlich passiert (ist), steht der Ehrgeiz, nicht zu scheitern, im Fokus. Das ist ziemlich amüsant, die hübsche Raumgestaltung wartet dank listiger Mechanismen und Verstecke mit vielen Überraschungen auf. Und nach manchem Frustrationsmoment (Muss man wirklich an einer DDR-Stereoanlage scheitern? Scheiß Bob Dylan!) treibt uns jeder Etappenerfolg noch energischer an. Sodass der Schlussapplaus den verspielten Inszenierungsmachern wie den ebenso verspielten Zuschauern, also uns, gilt. Und einem schwitzenden Archivar, der uns nach dem verpatzten Würfelunglück doch noch auf den richtigen Lösungsweg zum Endrätsel gebracht hat.


Life of N in a Nutshell
von machina eX
Story, Regie, Games, Technik, Licht, Sound, Ausstattung, Kostümbild, Produktion: Ambrus Ivanyos, Anton Krause, Robin Krause, För Künkel, Lasse Marburg, Agathe MacQueen, Mathias Prinz.
Mit: Bernd-Michael Baier.
Dauer: variabel, am Premierenabend: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 
Mehr zu Computerspielen im Theater und den Arbeiten von machina eX: Der Essay Computerspiele und Theater – Wie die neue Medienkunst die Bühnenwirklichkeit verändert  und der Konferenzvortrag Playing Democracy Theater – Über das neue Game-Theater und seine politische Relevanz von Christian Rakow.


Kritikenrundschau

Dieses Theaterprojekt klingt nur "voll hipp", zeigt tatsächlich aber, "wie verdammt schnell Zeitgeist sich als altbackene Sache geriert" und "dass in der Kunst kaum etwas unkünstlerischer ist, als eben das Bedienen des Zeitgeists", schreibt Steffen Georgi in der Leipziger Volkszeitung (26.1.2015). Letztlich sei diese Arbeit "mit Diskursrhetorik gepepptes Geocaching auf engem Raum. Topfschlagen ohne Töpfe." Dass die Zuschauergruppe sich zur "partizipierenden Rategruppe" forme, habe in der Inszenierung "funktioniert", die Darstellung des unglücklichen Archivars N. in der Hauptrolle dagegen weniger.

 

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