Wenn der Pesttod klopft

von Claude Bühler

Basel, 28. Januar 2015. Wir leben in Zeiten, wo der Ellbogen als wesentliches Überlebensorgan ebenso normal erscheint wie die Ausgrenzung Anderer zur Verbesserung der eigenen Chancen. Wer da mit dem programmartigen Titel "Together" (Zusammen) ankommt, dürfte schnell als Gutmensch gelten. Oder als doktrinär. Zumal wenn er sich dabei auf den Bestseller Together: The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation des US-Soziologen Richard Sennett bezieht, in dem dieser für "verlässliche und ritualisierte Formen des Miteinanders" plädiert. Werden uns da neue Rezepte eingepaukt? Ist das nicht alles ziemlich naiv? Wer soll denn mit dem besagten Miteinander beginnen?

Eine Geschichte von jedem

Einwände, auf die der Basler Regisseur Marcel Schwald nicht eingeht. Stattdessen kreiert er mit sechs Darstellern einen angenehm unspektakulären Spielabend. Den grossen Problemkreis behält er dabei im großen Bild: Die breite und tiefe Bühnenfläche in der Kaserne Basel füllt bald ein Welttheater aus, in dem im gut einstündigen ersten Teil die Menschheitsgeschichte durchmessen wird vom Paradies über die Völkerwanderung, die Religionskriege bis hin zur New Yorker Einwanderungsstelle Ellis Island im 19. Jahrhundert. Auf einer gewaltigen, gewundenen Schiene zieht dazu ein wuchtiger Leuchtkörper langsam seine Bahn über die Köpfe der Menschheit hinweg. Für globales Flair sorgt die Mehrsprachigkeit: Die deutschen Texte werden eigens immer wieder auf Englisch und Französisch übersetzt.

together4 560 lukas acton uWer wird hier gekocht? Daniel Hinojo (vorn) im Welttheater @ Lukas Acton

In Breitleinwandformat erstreckt sich auch die Vision eines Gesamtbildes auf die Menschheit, mit der die Aufführung nach dem Intro eröffnet wird: Mit Vornamen beschriftete Papierbogen segeln sacht vom Bühnenhimmel. Währenddessen wird Gertrude Stein zitiert: "Es wird eine Geschichte von jedem geben, von allen, die jemals waren, sind und sein werden. Eines Tages wird es eine Geschichte über jeden geben." Hier, aber nur hier spielt Schwald die idealistische Grundierung des Abends als anrührender Inszenierungseffekt aus, wenn zu diesen Worten leidenschaftliche, aber leise Streicherglissandi im Stile eines Arvo Pärt anheben. Ein Moment, der an den Film Koyaanisqatsi erinnert, wenn in oppulenten Bildern Grosstadtmenschen im Strassengetümmel herausgehoben werden.

Der Engel auf der Klappleiter

Aber hier wird der Effekt kontrastiert durch den Mikrokosmos des menschlichen Klein-Kleins. Eine Spielgruppe will die vielfältigen Formen menschlicher Kooperationen durchexerzieren und theatert sich zum hörbaren Vergnügen des Publikums mit bewusst dilettantischem Charme durch die Geschichte. Da klopft der Pesttod fordernd mit einer Gartenhacke auf den Boden. Ein Tuch reicht aus als Acker der Sumerer. Der Engel der Schöpfung hockt auf einer Klappleiter. Und man redet sich in Fahrt mit hohen Idealen: dass es bei Kooperation etwa um die Anerkennung der Verschiedenheit von Allen gehe, dass man die "Empfänglichkeit" für andere stärken wolle.

Das geht alles gut, bis Olivia (Csiky-Trnka) sich weigert, die Hexe zu spielen. Ein "patriarchalistisches" Klischee sei das. Dann versteigt sich Daniel (Hinojo) lautstark zur Aussage, die spanischen Inquisition habe nie eine Verbrennung als Strafe benutzt. Überhaupt, echauffiert sich Julia (Schmidt), habe man die falschen Beispiele menschlicher Kooperationen gezeigt. Da gebe es doch auch noch Pegida, Guantanamo oder den Mauerfall. Von diesen Szenen ist vieles anrührend, aber nie denunzierend verniedlichend.

Auf Tuchfühlung

Im zweiten Teil zieht Schwald den Kreis buchstäblich enger. Das Ensemble rückt näher, betritt die Publikumsreihen, will mit uns den Salon der Madame de Rambouillet nachspielen, in dem sich einst Personen ohne Rücksicht auf gesellschaftlichen Rang begegnen konnten. Die Schauspielerin Patricia (Nocon) spricht freundlich zu uns: "Das verunsichert vielleicht erstmal. Aber vielleicht gibt uns der Salon die Freiheit, uns in Unsicherheit zu begegnen." Die Spieler stülpen als Salon ein Zeltgestell über Zuschauergruppen. Soll man da jetzt mitspielen? Nur wenige wagen es. Steif sitzt das Publikum da. Die Hierarchie zwischen Ensemble und Publikum ist unüberwindlich. Ein Beispiel, das jedem fühlbar macht, wo die Stolpersteine im Zusammenleben liegen – der eindringlichste Moment des Abends.

together7 560 lukas acton uWill nicht mehr die Hexe spielen: Olivia Csiky-Trnka. Hinten: Susanne Abelein © Lukas Acton

Wie mit einer Streichelbewegungen berühren Schwald und das Ensemble wesentliche Fragen, ohne Fertigschlüsse zu provozieren. Was bleibt ist nicht die Botschaft, man müsse sich mit den Fragen des Zusammenlebens endlich vermehrt auseinandersetzen, sondern die Wahrnehmung, dass dieses ja, allen Widerständen zum Trotz, unseren tiefsten Bedürfnissen entspricht.

 

Together
Inspiriert durch Texte von Richard Sennett, Gertrude Stein, Carola Meier-Seethaler, Villem Flusser, Judith Butler, Marcus Miessen u.a.
Künstlerische Leitung, Regie: Marcel Schwald, Bühne, Licht: Demian Wohler, Lukas Sander, Kostüme: Anna Sophia Röpcke, Musik: Matthias Meppelink, Video: Andi A. Müller, Dramaturgie: Ann K. Becker.
Mit: Susanne Abelein, Léonard Bertholet, Olivia Csiky-Trnka, Daniel Hinojo, Patricia Nocon, Julia Schmidt.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.kaserne-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Kleine Sequenzen, wie etwa die vom Dinosaurier und dem Wurm im Paradiesapfel – "die Lausannerin Olivia Csiky-Trnka spielt sich damit als Running Gag unnachahmlich ins Basler Bühnengedächtnis" – ließen den Abend trotz aller mitgelieferten Nachdenklichkeit in keiner Minute langweilig werden, heißt es unter dem Kürzel ama in der Badischen Zeitung (30.1.2015). Der Abend sei von Aufbau und Inhalt her versöhnlich angelegt, "auch das Publikum soll Teil der großen Gemeinschaft werden, um die sich diesmal alles dreht". "Together" werde seinem Namen schließlich auch mit dem Umstand gerecht, dass sich hier die Basler freie Szene ein Stelldichein gibt, ist doch neben Wohler etwa auch das Theaterensemble Capri Connection mit Gründungsmitglied Susanne Abelein vertreten.

Sophie Eglin schreibt in der Basler Zeitung (30.1.2015), der Abend habe zwar reichlich wirr und langatmig mit Gruppen bilden und Platzanweisung begonnen, das Spiel selber aber sei "fantastisch gut" gewesen. "Brillant komisch" die Veranschaulichung der geschichtlichen Ereignisse. "Das Geschehen auf der Bühne war hervorragend und könnte völlig für sich stehen." Der Zweck der "aufdringlichen Performance-Sequenzen" am Anfang und am Schluss habe sich nicht erschlossen. Leider sei es auch bis zuletzt nicht klar geworden, worum es in "Together" eigentlich gehen sollte.

 

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