Wir-o-wir, wir waschen unsere Hände in Bier

von Friederike Felbeck

Essen, 1. März 2015. Das einzige Missverständnis der Aufführung ist ihr Anstrich. Oder wie konnte es dazu kommen, dass Lodenmantel, Gamsbart und giftgrünes Hemd zum Äquivalent für Nationalismus, Fremdenhass und Faschismus wurden? So tritt auch an diesem Abend in der Casa vom Schauspiel Essen ein zwölfstimmiger Chor aus sechs Frauen und sechs Männern mit brennenden hohen Altarkerzen in den Händen und in Trachtenlook aus den zwölf Türen eines Arkadengangs, intoniert Elfriede Jelineks idealistischen Schlachtruf "Wir-o-wir" und schaut dabei aus, als handele es sich um einen skurrilen Verein von Gartenzwergen.

Dabei poppt in ihren Stimmen, mal einzeln, mal chorisch, meist weiblich und männlich getrennt, das idealistische Gedankengut von Philosophen wie Johann Gottlieb Fichte oder Martin Heidegger auf und verbindet sich unmerklich mit dem ideologischen Gift der Nazis und dann mit Briefen aus der Feder der Roten Armee Fraktion. Gemeinsam mit vier Schauspielern verleihen sie dem 1988 als Auftragswerk des Schauspiels Bonn entstandenen Text von Elfriede Jelinek tagesaktuelle Brisanz.

Sprachkrater in der Eisfläche

Der Regisseur Bernd Freytag – einst Chorführer bei Einar Schleef, später bei Volker Lösch – und der Komponist Mark Polscher heben Jelineks Fracht aus Zitaten, Geflechten und Verweisen behutsam auf eine szenische Ebene und widmen sich ganz der Nabelschau eines aufkeimenden Nationalismus, den die 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Elfriede Jelinek anhand unterschiedlicher sprachlicher Quellen und ihrer Deformationen an der Wurzel packt. "Wolken.Heim.", nach seiner Uraufführung in Bonn u.a. 1992 von Peer Raben als Hörspielfassung für den Südwestdeutschen Rundfunk bearbeitet und ein Jahr später in einer Besetzung mit fünf Schauspielerinnen von Jossi Wieler am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in einer mehrfach preisgekrönten Aufführung vorgestellt, ist ein ebenso leichtfüßig-absurder wie trickreicher Text, der, wie bei Jelinek üblich, keine Rollenaufteilung oder Szenen vorgibt.

wolkenheim1 560 kaufhold martin uGrün, grün, grün sind alle unsere Kleider am Stammtisch und im Schützenverein
© Martin Kaufhold
Ein Konglomerat aus Prätexten, Zitaten und neugeschaffenen Sprachkratern, bietet die Vorlage seinen Interpreten eine schliddrige Eisfläche und trägt den listigen Untertitel "Identitäts- und Heimatmonolog". Dabei gibt die Essener Aufführung den roten Faden nicht aus der Hand und porträtiert stringent eine Gesellschaft von unverhohlenen und verkappten Faschisten, die das Fremde von sich schieben und ausgrenzen zugunsten des immer wiederholten "Wir" als Gemeinschaft der Deutschen.

Deutsche Wurst muss es sein

Die Choristen sind zumeist Laien, die erstmals 2012 für Volker Löschs Inszenierung Rote Erde am Schauspiel Essen zusammenkamen. Im Wechselspiel mit dem Essener "Bürger"-Chor entwickeln Freytag und Polscher immer wieder szenische Momente unter den vier Schauspielern und suchen so die unterschiedlichen Quellen von Jelineks Zitatcollage ihren Urhebern wieder zuzuschreiben. Da blitzen Stammtisch und Schützenverein, BDM und Lebensborn auf, und ein ausgestopfter Adler wird hereingetragen.

Der eindringlichste Agent des Abends aber ist der Schauspieler Stefan Diekmann, der immer wieder zu sich gefährlich ausbreitenden Ideologie-Monologen anhebt, in denen er die Rhetoriker des Dritten Reichs in ihrem Gestus und Habitus aufsteigen lässt, ohne jemals parodistisch oder denunzierend zu wirken. Er ist der typische Auslandsdeutsche, der in Enklaven lebt, Bier in der Badewanne braut, Würste einfliegen lässt und in "gated communities" mit seinesgleichen zusammenhockt, lange vor aller Videoüberwachung und Personenschutz. Diekmann vermittelt in seinem Spiel die ungezählten Sympathisanten, die aus jeder Ecke der Gesellschaft nach rechts zusammenrücken und ein Phänomen wie die Bürgerbewegung Pegida aus dem Stand erst möglich machten.

Das ansteckende "Wir"-Gefühl

Der Bühnenraum greift die Architektur der Neuen Wache im Berlin auf und stellt die Choristen immer wieder wie Statuen aus. Ihr präzises Unisono-Gebell, die gemeinsam angestimmten Volkslieder und der Sprechgesang der Chorpassagen legen eine gefährliche Macht bloß, überdecken aber auch oft die Feinheiten und die Widersprüchlichkeit des Textes. Dabei verpasst es die Inszenierung, die ganz intimen und individuellen Ängste freizulegen, die dem "Wir" zugrunde liegen. Was bleibt, ist die erschreckende Ansteckungsgefahr des "Wir"-Gefühls, die der Mehrheit immer noch mehr Zulauf verschafft. Vorsorglich heben die auf der Bühne schon einmal alle die frisch gewaschenen Hände, strecken die Arme wie zur Inspektion aus und baden sich in Unschuld.

 

Wolken.Heim.
von Elfriede Jelinek
Regie: Bernd Freytag, Mark Polscher, Bühne: Christine Gottschalk, Kostüme: Christina Hillinger, Dramaturgie: Florian Haller.
Mit: Stefan Diekmann, Jan Pröhl, Sven Seeburg, Silvia Weiskopf Chor: Lisa Balzer, Raphael Baronner, Analia Conenna-Meier, Dincer Gücyeter, Katja Hegemann, Maximilian Immendorf, Sabrina Kleeberger, Stefan Massmann, Rebecca Nagel, Christian Polenzky, Linus Twardon, Alessandra Wiesemann.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-essen.de

 

Kritikenrundschau

Bernd Freytag und Mark Polscher haben die Textcollage "neu komponiert und enorm konzentriert in der Casa des Schauspiels zum Klingen gebracht", schreibt Martina Schürmann auf DerWesten.de. Ganz pur stellten sie den Chor aus zwölf Laiendarstellern in den Mittelpunkt. "Und der leistet Meisterliches in punkto Rhythmus, Choreografie und Artikulation." "Wir" rufe der Text immerzu und zeige, "wie aus idealistischer Verblendung und ideologischem Gedankengut über die Jahrhunderte jene rhetorischen Brandsätze wurden, die bis heute zünden".

 

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