Was liest du beim Friseur?

von Stefan Keim

Köln, 16. April 2013. Michael Jackson will schon wieder eine Schönheitsoperation. Sein Hautarzt legt ihn auf den OP-Tisch, betäubt ihn, macht nichts und weckt ihn wieder auf. Jackson ist glücklich und lobt seinen Arzt. Es gibt einige hübsche Anekdoten in dem Dokufictiontheaterabend "Brain and Beauty".

Angela Richter ist nach Beverly Hills geflogen, um die Antlitzaufpimper der Stars zu befragen. Gespräche mit ganz normalen Leuten und Schönheitschirurgen aus Köln und London gehörten ebenfalls zu ihrem Recherchematerial. Daraus hat die Regisseurin einen Abend zusammengebaut, der viele Facetten zeigt, vor allem im zweiten Teil sehr unterhaltsam ist und keine klare Haltung entwickelt. Vielleicht ist das auch gar nicht nötig.

Puppen in Gruppen

Bühnenbildnerin Kathrin Brack hat die Spielfläche in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels mit Schaufensterpuppen vollgestellt. Starr, perfekt und tot stehen sie da. Schauspieler und Statisten haben sich darunter gemischt, erwachen zum Leben und frieren immer mal wieder ein. Mitten in der Aufführung geschieht ein paar Minuten nichts. Generalpause, Stillstand, Puppenwelt. Ein Bild versteckter Todessehnsucht? Mag sein. Angela Richter ist keine Regisseurin, die dem Publikum Gedankenwege vorschreibt. Sie breitet ihr Material aus, und jeder soll selbst entdecken, was er damit anfangen kann.

brainbeauty2 560 davidbaltzer uUnd Freeze! Echte Menschen zwischen Puppen © David Baltzer

Im Film oder im Radio – auch in manchen anderen Theaterinszenierungen – würden die Erzählungen der verschiedenen Menschen wohl ineinander geschnitten, um Abwechslung zu erzielen. Angela Richter lässt einen nach dem anderen berichten, die Form des Abends ist die einer klassischen Nummernrevue. Da gibt es die Patientin, bei der die Narkose wegen einer Allergie nicht funktioniert. Sie wacht immer wieder auf, einmal schaut sie auf ihre Nasenspitze, dann hört sie ein Hämmern, dann ein Schleifen. Eine junge Frau ist voll schlecht drauf, weil sie den Modelträumen mancher Machos nicht entspricht. Melanie Kretschmann, die mit roten langen Haaren ein bisschen wie eine eingefrorene Katja Ebstein aussieht, geht in die erste Reihe und bittet Zuschauer, ihre Brüste anzufassen. Die habe sie schließlich gekauft, nun könne man sie auch benutzen. Ob sich unter dem weißen T-Shirt echte Haut oder Ausstopfmaterial befindet, konnte der in Reihe 7 verbannte Nachtkritiker nicht recherchieren. (Da seine Hemmschwellen durch Signa-Performances pulverisiert wurden, hätte er es gern getan, aber das nur am Rande.)

Dandy, lifte mich!

Der schlaksige Yuri Englert verkörpert perfekt den Schauspielstil, den Angela Richters Performances brauchen. Wie schon in Kippenberger, Richters erster Arbeit in Köln, ragt er aus dem Ensemble nicht nur wegen seiner Körpergröße heraus. Die Erzählungen des Hautarztes von Michael Jackson serviert Englert mit unterschwelliger Süffisanz, stets doppelbödig über der Authentizitätsfalle tänzelnd. Er stellt seine Figur aus, denunziert sie nie, stellt aber die Möglichkeit, dass er es tun könnte, in den Raum. Selbstgefällig plaudert der Arzt über die behauptete Bisexualität von Angelina Jolie und Drew Barrymore, die sich an ihren "viel zu männlichen" Körpern zeige. Es ist der Blick eines gnadenlosen Dandys, völlig kalt, jeder Emotionalität enthoben.

Ähnlich präzise gratwandelt Malte Sundermann zwischen Satire und Realismus, wenn er einen anderen Beverly-Hills-Arzt von seinen ethischen Grundsätzen schwadronieren lässt. Die meisten Operationen seien bald nicht mehr nötig. Es gebe schon die Technik – er hat sie natürlich schon –, mit deren Hilfe sich jeder zu Hause die Falten aus dem Gesicht ziehen kann. Natürlich sollte man ihn gelegentlich drauf schauen lassen, aber der Gang zum Schönheitschirurgen sei bald wie ein Besuch beim Friseur.

brainbeauty3 560 davidbaltzer uMelanie Kretschmann, bietet in "Brain and Beauty" ihre Brüste zur Anfassen an. © David Baltzer

Die Männer haben an diesem Abend die eleganteren Auftritte und die besseren Texte. Die Frauen pointieren ihre Rollen ebenfalls, rutschen dabei aber manchmal an den Rand des Chargierens. Doch auf Patientinnen – Männer kommen in dieser Rolle nicht vor – liegt auch ein höherer Druck als auf den Halbgöttern mit ihren beruhigenden Stimmen und blauen Augen.

Szenisch passiert an diesem Abend nicht allzu viel, auch die musikalische Ebene (Malakoff Kowalski) setzt keine besonderen Akzente. Ein stärker strukturierender Zugriff würde der Aufführung noch einiges bringen. Doch zumindest für den im Thema Schönheintschirurgie bisher wenig erfahrenen Nachtkritiker bringt "Brain and Beauty" einige Anregungen. Nach der Premiere meinten einige Damen, wenn man beim Friseur "Gala" und "Bravo" lese, kenne man das alles schon. Ich lese beim Coiffeur den "Kicker". Damit das klar ist. Aber vielleicht ist dieser Abend ja wirklich eher was für Männer.

 

Brain and Beauty. Eine Suche nach dem Gesicht der Zukunft
von Angela Richter
Regie: Angela Richter, Bühne: Katrin Brack, Kostüme: Wiebke Schlüter, Musik: Malakoff Kowalski, Licht: Jürgen Kapitein, Dramaturgie: Thomas Laue.
Mit: Yuri Englert, Melanie Kretschmann, Julia Riedler, Magda Lena Schott, Malte Sundermann.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

Kritikenrundschau

Axel Hill schreibt im Bonner General-Anzeiger (19.4.2014) unbd gleichlautend in der Kölnischen Rundschau (19.4.2014), diese "Suche nach dem Gesicht der Zukunft" komme aus "dem Fahrwasser" der einschlägigen TV-Formate nicht heraus. Neue "Erkenntnisse" gebe es "zum Themenkomplex" nicht, Richter versammele "sattsam Bekanntes". Das Thema werde nicht "theatral beleuchtet, sondern nur auf die Bühne gebracht". Nur "eine Szene an diesem Abend" berühre und verstöre, wenn Magda Lena Schott als Psychologin ihre Kollegen in einer Art Familienaufstellung über die Bühne schiebe und so die möglichen Gründe für eine Bulimie-Erkrankung zeige. "Ein großartiger, aber einsamer Moment."

Christian Bos schreibt im Kölner Stadt-Anzeiger (19.4.2014): Richter und ihre Schauspieler enthielten sich jeglichen Kommentars, aber man verstehe sehr gut, "wie das Reden über den Körper auf diesen Druck" ausübe. Leider spinne Richter die Metapher von Bühnenbildnerin Kathrin Brack, eine Spielfläche voller Schaufensterpuppen, nur einmal weiter, wenn die ausgebildete Marionettenspielerin Magda Lena Schott ihre verpuppten Kollegen zu einer "herrlich kranken Familienaufstellung" einrichte. "Essstörung, Inzest, Fit­nesswahn, alles dabei. Vater, Mut­ter, Kind, nur Rohstoff für das Spiel der Neurosen. Eine tolle Szene." Sonst allerdings stünden die Plastik­menschen zunehmend im Weg, die Cjoreographien überzeugtne nicht und der Schluss sei die reine "Verlegenheitslösung". Interessant, aber Weiterarbeit an der Inszenierung sei nötig.

"Richter und ihr Team beschwören ein Panoptikum des Vergänglichkeits-Business, kommen aber über die vorhersehbaren, medial überstrapazierten Fakten und Gerüchte selten hinaus", schreibt Cornelia Fiedler in einer Kurzkritik in der Süddeutschen Zeitung (23.4.2014). Ihr Ansatz, jedes Statement für sich sprechen zu lassen, verlaufe sich diesmal im Belanglosen, im Kichern oder Kopfschütteln. Fragen der gesellschaftlichen Definitionsmacht, der Normierung, der Geschlechterbilder würden gestreift aber nie vertieft. "So plätschern die 90 Minuten schmerzfrei dahin und liefern mehr Beauty als Brain."

 

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