Raus aus dem Kunstsystem

von Elena Philipp

Berlin, 4. Juli 2014. Es ist das Jahr 1987, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl als John Jordans Schilddrüse versagt. Im Montreal-Protokoll verpflichten sich die Staaten zum Schutz der Ozonsphäre. Die Zahl der Karbondioxid-Partikel pro Million erreicht den kritischen Wert von 350 und wird weiter steigen. Jordan entschließt sich, Künstler zu werden. Jetzt steht er vor uns auf der Bühne, in der Soloperformance "We Have Never Been Here Before", und setzt Jahreszahlen parallel zum CO2-Wert in der Atmosphäre.

1994. Die Zapatisten besetzen mit der Forderung nach Basisdemokratie fünf mexikanische Bezirkshauptstädte: Eine andere Welt ist möglich. Jordans Sohn wird geboren, er fühlt die Zukunft buchstäblich in seinen Händen – und beteiligt sich erstmals an einer direkten Aktion. Mit Gleichgesinnten besetzt er ein Wohnviertel und verhindert einen Straßenbau.

Biographie der CO2-Belastung

Seine Aktivistenbiographie verknüpft John Jordan vom Kunst-Kampf-Kollektiv Labofii in einem Format zwischen Diavortrag, Zaubershow und Agitationstheater mit seiner Familiengeschichte, der Klimakatastrophe und dem großen Weltganzen. "We Have Never Been Here Before" ist seine Version einer kollektiv geschriebenen Geschichte. Es ist die große Erzählung vom Kampf gegen das System. Dieser wählt längst theatrale Mittel: In Filmeinspielungen sieht man als Clowns verkleidete Aktivisten fröhlich Polizeischilde küssen und furchterregende schwarze Monturen mit bunten Federbüscheln puscheln. Angetan mit Karnevalsmasken und in Frauenkleidern stürmten Jordan und Co. die Terminbörse in London. Ein Als-Ob, das vor Verfolgung schützte.

jordan 560Rebellenclowns: Labofii-Aktion bei einem G8-Gipfel © Labofii

Foreign Affairs-Kurator Matthias von Hartz hat das Kollektiv Labofii eingeladen, an der ehemals Freien Volksbühne Piscators zu inszenieren. Zweimal hat von Hartz zuvor schon mit den politisch aktiven Künstlern zusammengearbeitet. Sie entführten für ihn das Publikum aus dem Theater, hinaus in die sozial bewegte Wirklichkeit. Dieses Mal verorten sie sich temporär im Theaterkontext und bespielen die Kassenhalle im Haus der Berliner Festspiele. Experten, die sich selbst inszenieren. Das hierarchische Verhältnis zwischen Performer und Zuschauern im Theater ist ihnen eigentlich zuwider, wie Jordan auf der Bühne kundgibt, die Form erscheint ihnen rückwärtsgewandt. Aber manchmal müsse man eben einen Schritt zurücktreten, um voran zu kommen.

Quelle Kollektivgeist

"We Have Never Been Here Before" ist eine kleine Kapitulationserklärung der Aktivisten. Labofii hätten einfach keine Idee für eine direkte Aktion gehabt, um die Proteste gegen die UN-Klimakonferenz in Paris 2015 vorzubereiten. Also entwickelten sie ein Theaterformat. Das erzählt Jordans Kollegin Isabelle Fremeaux bei dem Gespräch, das unmittelbar an die Aufführung anschließt und das Solo an die Gruppe rückbindet – der Geist des Kollektiven wird höher geschätzt als eine individualistische Performance. Unter den Zuschauern scheinen die Aktivisten in der Mehrzahl. Wie beim Speed-Dating werden Camps und Kampagnen genannt, an denen man sich beteiligen kann. Markiert das schon das Scheitern?, fragt man sich während des Gesprächs.

"We Have Never Been Here Before" ist laut Programmheft auch ein Rekrutierungsversuch: Labofii wollen nicht nur inspirieren zum Umdenken, Aktivwerden, Weltverändern. Sie wollen Künstler dafür gewinnen, aus dem Kunstsystem zu desertieren und ihre Kreativität in den Dienst der sozialen Bewegungen zu stellen. "We Have Never Been Here Before" ist als ein künstlerischer Angriff auf das System Kunst gedacht. Doch Überläufer sind nicht auszumachen; falls Künstler anwesend sind, halten sie sich zurück. Vielleicht haben sie sich für den Workshop angemeldet, der den Labofii-Auftritt bei Foreign Affairs komplettiert.

Archiv des Erreichten

Das Theater öffnet sich dem Politischen. Funktioniert das? Betrachtet man die Performance als ein Kunstereignis, muss man sagen: Eher nicht. Dramaturgisch ist sie gut gearbeitet, als Vehikel der Verkündung jedoch ihrer Spannung beraubt. Die ihre Lesart mitliefernde Lehrperformance, in der Gut und Böse von Beginn zweifelsfrei feststehen, ruft zumindest bei mir leise irritierten Widerstand hervor. Es bleibt kein Raum für Eigenleistung, ich fühle mich entmündigt. Was dem Labofii-Projekt dennoch Charme verleiht, ist die Chuzpe, mit der hier Theatermittel angezapft werden.

Labofii wirken viral. Als Kippfigur zwischen Kunst und Aktivismus ist "We Have Never Been Here Before" recht anregend: Für Theaterbesucher aus dem Mainstream ist die Performance ein Ausflug in eine Parallelwelt, in der an Lebensformen für den Postkapitalismus gearbeitet wird. Für die anwesenden AktivistInnen ist sie offenbar ein Archiv des Erreichten, eine Ermutigung, den zunehmend aussichtslos wirkenden Kampf gegen den Kapitalismus fortzuführen. Ein Schritt zurück und Innehalten: Die Aktivisten nehmen Anlauf gen Utopia 2015.

We Have Never Been Here Before
The Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii)
Konzept: Labofii / Isabelle Fremeaux und John Jordan, Live-Soundtrack: Jack Jordan, Film: Kyp Kyprianou.
Mit: John Jordan.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.berlinerfestspiele.de

 

 

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