Das "Hmff" der Schläge

von Marcus Hladek

Würzburg, 5. Juli 2014. Man müsse ins Theater gehen wie zu einem Sportfest, propagierte Bert Brecht und ließ die "Kleinbürgerhochzeit" und "Mahagonny" in Boxkulisse uraufführen. Die Beziehung Boxer – Künstler zieht sich durchs 20. Jahrhundert: von Brecht zu Hemingway, von Picasso und Fritz Kortner, der an den Männern im Ring Gestik und Mimik erprobte, zu Grüber und Arroyo ("Bantam"). Das Potenzial des Kampfes Mann gegen Mann oder des Seins-Taumels namens Knockout für Allegorien der Lebensverdichtung aus Sieg und Niederlage ist unendlich.

Die Wahrheit des Agon

Das war auch Regisseur Sascha Bunge bewusst (sonst Oberspielleiter am Berliner Theater an der Parkaue), als er das Würzburger Mainfranken-Theater und Lothar Trolle mit der Idee zu einem Box-Stück impfte. Selbst die Fast-Gleichzeitigkeit seiner Premiere mit dem WM-Match Argentinien – Belgien könnte kalkuliert sein.
ko1 560 mainfrankentheater xDas Potenzial des Rings: Schauspieler und andere Kämpfer    © Mainfranken Theater 

Die Wahrheit des Agon liegt im Ring (auf der Bühne), denn, so Bunge: Boxen ist Theater. Trolles collagenhaft-lyrischer Text für sieben Schauspieler, großen Chor und pro Vorstellung einen wettkampferfahrenen Boxer (vom Kampfsportclub Sugambrer) ist nicht so lose organisiert, wie es zunächst scheint. Vielmehr kommt er rund um den Ring nach und nach zu Gehör: block- oder ringartig. Der Ring ist eine auf- und abfahrende Aussparung im Boden vor Fotostellwänden und Videowand, neben raumbildenden Getränkekästen bei bevorzugtem Spiel frontal ins Publikum. Auch das wiederkehrende Leichtmetall in Stefan Faupels Musik suggeriert eher subtil als mechanisch Rundenglocken, andererseits kann es loungig oder funky zugehen. Falls man diese Rundenschläge bemerkt, steht die oft aufreizend rot daherstöckelnde Theresa Palfi da wie ein Pausengirl.

Trolle versammelt Namenlose und Legenden, denen er meist die Ehre gibt, das Erzählen ihnen zu überlassen: Graciano Rocchigiani und Susianna Kentikian, Arthur Abraham, dessen Kieferbruch Kampfberichten aus Vergil gegenübersteht, "dass die Knochen bersten" (Chor: "DIE KNOCHEN BERSTEN"). Auch Joe Louis betritt sprachlich die Bühne (der Mann aus Alabama) und die angeschossene Libanesin Rola El-Halabi beim Comeback. Der literarischen und Realien-Zitate sind viele, skandiert aber wird der szenische Plumpudding aus früher und moderner Literatur nebst körperlichen Spätfolgen mal von den metrischen Rosinen antiker Verse, ein andermal vom Chor.

Ringluder, Parzen, Nasenpflaster

Der legt eingangs, als die Boxevent-bekleideten Herren in Schwarz und Damen im Abendkleid ihre Blicke ins Publikum und Sektkelche abgelegt haben (später gibt es Champion-Preisgürtel und Boxerbüsten, Ausstattung und Video: Constanze Fischbeck), einen hübschen Übergang aus der Dramaturgie des Zwischenrufs zum Chorsprechen hin: "KO, KO, wat – das soll'n KO sein? Is'doch Schauspielerei, der will nicht' mehr" Schon das "hmfff" der Schläge genügt ihm, Musik daraus zu machen (auch "Swing low, sweet charriot" singt er), bis er sich wieder verläuft.

Und immer so weiter: rhythmisch-musikalisch und rhapsodisch-persönlich, auf der Bühne und mit Stimmen im Off, mit Boxertorsi als Fotos und Schwarzweiß-Kämpfen in Video-Zeitlupe neben ästhetischen Momenten wie dem, wenn der Wald im Epos (Ovid?) und das grüne Unterholz auf Video zusammenlaufen. Wie die Kästen werden Boxer auf-, ab- und umgebaut, steigen und sinken. Gern geht die Hand der Schönen nach dem Niederschlag an den neuen Sieger. Immer dichter wird das Empfinden: Ein Boxer bringt alles ein, was er ist: Auch das Geheimste zeigt sich, und alles, alles ist Stil. Robin Bohn (mit Nasenpflaster) und Sven Mattke (ohne) geben die jungen Boxer, denn allzu prägend ist der Kurzauftritt der echten Boxer am Sandsack eben doch nicht. Alexander Hetterle und Timo Ben Schöfer füllen die Parts älterer Boxer und ihrer Satelliten aus. Theresa Palfi, Maria Brendel und Petra Hartung oszillieren zwischen Ringluder und Parzentrio, Kämpferin und Choreutin.

Ein kurzweiliger Abend voller Monologe und Monomanien ist das, der einen nicht atemlos macht durch schiere Innovationskraft, aber bohrend nach dem möglichen "Wunder" fragt, dem Meteor, der sich mit seinem Schweif für einen Komet ausgibt und dennoch verglüht: dem Wunder im Boxen und im Theater.

 

K.O. nach zwölf Runden (Stunde der Boxer)
von Lothar Trolle
Uraufführung
Regie: Sascha Bunge, Bühne, Kostüm und Video: Constanze Fischbeck, Musik: Stefan Faupel, Dramaturgie: Roland Marzinowski.
Mit: Robin Bohn, Maria Brendel, Petra Hartung, Alexander Hetterle, Sven Mattke, Theresa Palfi, Timo Ben Schöfer. Bürgerchor des Mainfranken Theaters Würzburg – Komparserie des Mainfranken Theaters Würzburg.
Dauer: ca. 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause.

www.theaterwuerzburg.de

 

 

Kritikenrundschau

"K.O. nach zwölf Runden" sei "kein Theaterstück im traditionellen Sinn, eher ein Sprachgeflecht aus Monologen, Erzählungen und Reportagen, ein Mix aus nüchterner Sachsprache und immer wieder poetischer Verdichtung", schreibt Manfred Kunz in der Main Post (7.7.2014). Sascha Bunge inszeniere diese "disparate Szenenfolge als bunten, sehr sinnlichen Bilderbogen, steigert den gelegentlich anarchisch wirkenden Szenen-Mix mit viel Musik und mit einem breiten Repertoire an Stilmitteln zu einem rasanten Revue-Spektakel." Allenfalls vermisse man an diesem "teilweise sogar spektakulären Theaterabend" bei "aller stilistischen Vielfalt und inhaltlichen Bandbreite ein bisschen die Fokussierung auf den roten Faden".

 

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