Die Monumente in unseren Köpfen

von Esther Slevogt

Berlin, 12. Juli 2014. Die Kunst tritt ja immer wieder gern als Erretterin vor den Übeln unserer Tage auf. Vor dem Kapitalismus, vor der Globalisierung und den Menschheitsunterdrückern. Die Künstler sind dabei meistens die Guten und treten vor ihr Publikum mit mahnender Miene: Wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe. Dass Verhältnisse so unübersichtlich sein können, dass man gar nicht weiß, wo die Guten und die Bösen sind, wird meist ungern zur Kenntnis genommen.

Insofern ist es schon mal sympathisch, dass das russische Künstlerkollektiv Chto Delat die etwa 20 Mitwirkenden der Performance "What is monumental today?" angehalten hat, bei ihrer Betrachtung zur Geschichtspolitik und der Funktion von Monumenten darin unterschiedlichste Rollen einzunehmen: vom Putin-Versteher über den amerikanischen Imperialisten bis zum unpolitischen Drogenkonsumenten. Die Fragestellung des knapp einstündigen Abends ist ebenfalls interessant: Was kann ein Denkmal heute vermitteln? Was sagt der Umgang mit Denkmälern über die jeweilige Geschichts- und Erinnerungspolitik aus? Leider aber ist die Ausbeute an Erkenntnissen ausgesprochen mager.

what is monumental 560 chto delat uVier Künstler des Kollektivs Chto Delat vor ihrem "Paper Soldier" in Wien – bevor dieser in Berlin
abgebrannt wurde: Natalja Pershina, Nikolay Oleynikov, Olga Egorova und Dimitry Vilensky.
© Chto Delat

Verjuxt statt verhandelt

Denn im Wesentlichen arbeitet man sich an der Frage ab, wer den Paper Soldier vor dem Haus der Berliner Festspiele abgebrannt haben könnte. Und vor allem warum. Die riesige Figur war im Rahmen eines Projekts der russischen Gruppe bei den Wiener Festwochen entstanden – in Auseinandersetzung mit dem Heldendenkmal für die Rote Armee, das 1945 am Wiener Schwarzenbachplatz für die im Kampf um die Befreiung Wiens gefallenen sowjetischen Soldaten errichtet wurde. Das Wiener Denkmal-Projekt ist als Work-in-progress nun nach Berlin weitergezogen, wo an diesem Kunstwerk nun von Unbekannten (oder von wem auch immer) noch einmal durchexerziert wurde, was vielen Denkmälern in den Jahren nach 1989 geschah, die geschleift, gestürzt oder ins Depot verbannt wurden. Seitdem entstanden vielerorts neue Denkmäler, die nicht mehr Kriegshelden oder Völker(ver)führern, sondern ihren Opfern gewidmet sind.

Doch produziert dieser Abend keinen Diskursmehrwert. Launig wird der Bericht eines Wachmanns über die Brandnacht verlesen und sich über das Versagen der Feuerwehr ebenso wie über die pflichtbewusste Detailtreue des Wachmanns amüsiert. Der amerikanische Slavist Jonathan Platt, der im Rahmen eines (zum Projekt gehörenden, aber nicht für alle offenen) Workshops eine interessante Keynote zur wechselnden Funktion von Monumenten für eine Gesellschaft und ihre Geschichtspolitik gehalten hatte, trägt von der Ukulele (?) begleitet Bulat Okudzhavas berühmtes Lied vom "Paper Soldier" vor, das auch die Chto-Delat-Skulptur inspirierte (Text hier). Ein Hauch von Protestsong-Romantik kommt auf. Zwischen eher verjuxten als verhandelten Fragen blitzen jedoch lediglich vereinzelt ein paar Gedanken auf.

Sind, fragt beispielsweise ein Performer, heutige Monumente nicht längst immateriell als Ideologien, Marken oder Figuren in den Köpfen der Menschen wirksam, wo sie viel schwerer zu zerstören seien? Könnte, hatte während des Workshops schon Dimitry Vilensky, einer der Chto-Delat-Köpfe, gefragt, die Beseitigung von Denkmälern nicht auch mit dem Forträumen von steinernen Hindernissen für den immer flüssiger werdenden globalen Markt zusammenhängen? Selbst, wenn es Denkmäler für Diktatoren seien.

Aus Provokation, Protest, Geldgier?

Auch das Publikum wird nach seiner Meinung zu den Gründen für den Anschlag auf das Pappmonument befragt. Ein rothaariger Benjamin'scher Engel der Geschichte (in Gestalt der Philosophin Oxana Timofeeva) schreibt die Antworten auf einen Projektor: von Provokation bis Protest und Geldgier ist alles dabei. Am Ende bezichtigen sich die Workshop- bzw. Performanceteilnehmer jeweils selber des Anschlags auf die Skulptur.

whatismonumentaltoday 560 christopherhewitt uAktivismus mit bedingtem Diskursmehrwert bei "What is monumental today?"
© Christopher Hewitt

Man verlässt den Ort entsprechend hungrig. Und mit großen Zweifeln, ob mit dieser Form von szenisch spärlich aufgearbeiteten Themen- und Thesenabenden tatsächlich gesellschaftliche Debatten anzustoßen sind – das Projekt fand im Rahmen des Focus Empowerment von Foreign Affairs statt, das Formate zwischen Kunst und Aktivismus präsentiert. Wer, außer den Workshopteilnehmern, kann hier empowered werden? Dabeisein ist nicht immer alles.

 

What is monumental today?
von und mit Chto Delat: Tsaplya Olga Egorova, Nikolay Oleynikov, Dimitry Vilensky, Nina Gasteva, Oxana Timofeeva, Alexander Skidan, Jonathan Platt und den Teilnehmern des Seminars "What is monumental today?"
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.berlinerfestspiele.de

 

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