Herzschlag und Stille

Kabul, 12. Dezember 2014. Während einer Theatervorstellung in der Aula einer renommierten Kabuler Schule wurde gestern ein Selbstmordanschlag verübt. Wie die Frankfurter Rundschau meldet, starb neben dem jugendlichen Attentäter, der 16 bis 17 Jahre alt gewesen sein soll, ein deutscher Staatsbürger. Darüber hinaus seien bis zu 20 Menschen teils lebensgefährlich verletzt worden. Wahrscheinlich sei, dass es noch mehr Opfer gebe.

In der Aula der von Frankreich gebauten Schule, die auch das französische Kulturzentrum für Aufführungen nutzt, wurde gerade das Theaterstück "Herzschlag und Stille nach der Explosion" aufgeführt, das sich gegen Selbstmordanschläge richtet. Der Attentäter hatte sich offenbar als Zuschauer ausgegeben und in der vorletzten Reihe in die Luft gesprengt.

Wie die Welt meldet, hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier den Anschlag verurteilt und den Opfern und deren Angehörigen sein Mitgefühl ausgesprochen: "Der Anschlag ist besonders perfide, weil er in einem Kulturinstitut erfolgte, wo Afghanen und Helfer der internationalen Gemeinschaft zu freundschaftlichem Austausch zusammen kommen, und weil er sich gegen eben jene Menschen richtet, die das Land beim Aufbau einer besseren Zukunft unterstützen."

Theater werden weltweit immer wieder Ziele von Anschlägen, etwa die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater am 23. Oktober 2002, bei deren Befreiungsversuch 129 Menschen starben.

(FR / Welt / geka)

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Afghanischem Schauspieler droht Ausweisung
Gießener Anzeiger

"Afghanischem Schauspieler in Gießen droht Ausweisung - Letzte Hoffnung: Asylantrag

Von Ingo Berghöfer
25. Januar 2019

Einem jungen Afghanen droht die Ausweisung aus Deutschland. Doch Ahmad Nasir Formuli, der in Gießen lebt, ist kein Asylbewerber und möchte eigentlich auch keiner werden.

GIESSEN - Es klingt wie eine dieser Geschichten, wie sie sich seit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015 wohl täglich und überall in Deutschland abspielen, und sie ist doch ganz anders. Einem jungen Afghanen droht die Ausweisung aus Deutschland. Doch Ahmad Nasir Formuli ist kein Asylbewerber und möchte eigentlich auch keiner werden. In den Fallstricken zwischen dem Aufenthaltsrecht und dem Asylrecht dieses Landes dürfte der Asylantrag aber seine letzte Hoffnung sein.

Formulis Geschichte beginnt am 7. November 2014 in seiner Heimatstadt Kabul. Der heute 34 Jahre alte Schauspieler zeigt dort mit seiner Theatergruppe "Azdar" erstmals das Stück "Herzschläge - Die Stille nach der Explosion". In diesem Drama setzt sich das Ensemble kritisch mit den Taliban und den von ihnen regelmäßig verübten Selbstmordanschlägen auseinander. Doch dann wird aus dem Spiel auf der Bühne plötzlich ernst. Die Premiere endet in einer Katastrophe, als im Zuschauerraum ein 16-jähriges Mitglied der Islamistengruppe seinen Sprengstoffgürtel zündet. Ein Deutscher und ein Afghane sterben, mehr als 35 der 300 Zuschauer werden verletzt.

Die progressiven Theaterleute, die sich in ihren Stücken auch für Frauen- und Kinderrechte in dem streng islamischen Land einsetzten, waren den Taliban schon länger ein Dorn im Auge. Sie wurden mehrfach bedroht und entgingen in der Stadt Dschalalabad, nahe der pakistanischen Grenze, nur knapp einem Anschlag, weil der vor dem Theatersaal geparkte, mit Sprengstoff gefüllte Lastwagen, rechtzeitig entdeckt wurde.

Formuli flieht zunächst nach Indien und kommt dann 2015 mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Deutschland, um an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin zu studieren.
Nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums etabliert sich Formuli schnell in der deutschen Theaterszene, hat Engagements beim bekannten Regisseur Robert Schuster und tritt unter anderem im Eröffnungsstück bei den Bad Hersfelder Festspielen 2018 auf. Derzeit hat er ein Engagement am Stadttheater Gießen; seit einem Jahr leben er, seine Frau, die Literaturwissenschaftlerin ist, und ihre beiden vier Jahre und elf Monate alten Söhne auch in der Stadt. Formulis Terminkalender ist gut gefüllt. Ab August hat er ein Engagement in Österreich mit seinem Stück "Victims of War". 2020 stehen Gastspiele in Spanien, Italien oder Frankreich an. Außerdem arbeitet er an einem Dokumentarfilm über seine Heimatstadt Kabul und an einem Fernsehprogramm speziell für afghanische Kinder und Jugendliche.

Gießen soll aber die Basis der kleinen Familie bleiben, weil hier Verwandte seiner Frau leben. Formuli betont, dass er in Deutschland stets seinen Lebensunterhalt selbst bestritten hat und außer dem Kindergeld für seine Söhne keine Sozialtransfers in Anspruch genommen hat.

Am 2. Januar erhält der Familienvater ein Schreiben der städtischen Ausländerbehörde, in dem ihm mitgeteilt wird, dass sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit abgelehnt werden soll, weil Formuli keine seinem Studienabschluss angemessene Erwerbstätigkeit nachweisen kann. Sollte Formuli diesen Nachweis nicht binnen einer Woche erbringen, werde nach Aktenlage entschieden.

Nun sind für freiberufliche Künstler und vor allem auch Schauspieler unbefristete Festanstellungen eher die Ausnahme als die Regel. Der sicherste Weg, der drohenden Ausweisung zu entgehen, wäre ein Asylantrag. Asyl würde Formuli aufgrund seiner - unter anderem auch in dem auf Arte gezeigten Dokumentarfilm "True Warriors" - gut belegten Vita sicher gewährt werden, ebenso seiner Frau, deren Vater und Onkel von den Taliban ermordet wurden, weil sie beide hohe Posten in der afghanischen Regierungsarmee innehatten. Nur: Das will Formuli eigentlich gar nicht. "Ich habe Angst davor, in einer Wohnung oder Gemeinschaftsunterkunft zu sitzen und nichts tun zu dürfen." Als Asylbewerber dürfte er zunächst einmal nicht mehr arbeiten und wäre bis zu einem erfolgreichen Abschluss dieses Verfahrens mit seiner Familie auf staatliche Unterstützung angewiesen. Diese wenig erbauliche Perspektive versucht Formuli derzeit noch so gut es geht zu verdrängen. Er stürzt sich in die Arbeit. Derzeit ist er als Puppenspieler in dem Kindertheaterstück "Wolli und das Knäuel" auf der taT-Studiobühne zu sehen. Aber das Verdrängen ist nicht einfach, wenn er genau vis-à-vis auf das Gebäude schauen muss, in dem in diesen Tagen über seine Zukunft und die seiner Familie entschieden wird.

Stadtpressesprecherin Claudia Boje erklärte auf Anfrage, dass man sich seitens der Stadt grundsätzlich nicht zu einem laufenden Verfahren äußere. Generell gebe es im Aufenthaltsgesetz aber keine Ermessensspielräume. Lägen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor, dürfe die Ausländerbehörde keine Aufenthaltserlaubnis erteilen. "Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ist kein Gnadenakt, sondern ein an bestimmte Voraussetzungen gebundener Rechtsanspruch", so Boje, und unter gewissen Voraussetzungen könne auch ein Asylbewerber bereits im Asylverfahren arbeiten."
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