Presseschau vom 10. Januar 2015 – Die FAZ rezensiert Theaterbücher von Rüdiger Schaper und Hans-Thies Lehmann

Maßlos muss Theater sein

Maßlos muss Theater sein

10. Januar 2015. Unter der Überschrift "Maßlos muss Theater sein" hat Thorsten Jantschek in der FAZ die jüngst erschienenen Theaterbücher von Rüdiger Schaper und Hans-Thies Lehmann rezensiert, in denen die Autoren die Bühnenkunst jeweils gegen ihre Verachtung und gegen ihre voreiligen Liebhaber verteidigen.

Jelineks "Sportstück" in Einar Schleefs Inszenierung 1999: "Schleefs Chöre besaßen eine solche Wucht, solch zerstörerische, kathartische Kraft", schreibe in diesem Sinn der Theaterkritiker Rüdiger Schaper in seinem Buch "Spektakel", "wie es zuletzt nur im Kino zu erfahren war." Und bei dem Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann heiße es in seinem jüngsten Buch: "Tragisches Theater bei Einar Schleef ist Theater der Überschreitung der dramatischen 'Bühnenform' und Theater des Chors, der Stimme, des Körpers als Demontage des naiven Ich-Bewußtseins ... in Anknüpfung an das antike Modell des tragischen Exzesses."

Thorsten Jantschek resümiert daraus in seiner Buchrezension in der FAZ: "Beiden Büchern geht es um die unhintergehbare ästhetische Erfahrung der Präsenz, von Menschen, Figuren, Schicksalen in einem Theaterraum. Und obwohl ihr Gegenstand ein jeweils anderer ist, lassen sie sich als Verteidigungsschriften des Theaters in Zeiten seiner kulturpolitischen Legitimationsdauerkrise lesen." Mit durchaus verschiedenen Gegnern: Während Schaper auf die Verächter zielt, habe Lehmann die allzu innigen Liebhaber im Visier. Den Verächtern setze Schaper seinen Enthusiasmus entgegen, "sein Buch ist eine Sammlung glücklicher und geglückter Theatererlebnisse". Schaper stellt seine Liebe zum Theater so emphatisch aus, als gelte es, mehr um den Zuschauer als um den Leser zu werben, der wissen will, warum das Theater diese oft beglückende, ja bezwingende Kraft hat.

Hans-Thies Lehmanns Abhandlung sei dagegen ein strenges Theorie-Exerzitium. "Eines, mit dem das Theater gegen die Liebhaber der großen Texte verteidigt wird." Wenn etwa bei Sophokles die von Trauer und Rachegelüsten erfüllte Elektra in einem Fremden, der an den Atridenhof kommt, plötzlich ihren Bruder Orestes, der Agamemnon rächen wird, erkennt, dann ist das so ein Moment. "Der erlösende Augenblick des Wiedererkennens – so Lehmanns Überzeugung – geht in der Lektüre nicht auf, er ist auf das Miterleben des Zuschauers angewiesen." Lehmann denke die Tragödie in den genuin theatralen ästhetischen Kategorien des Überschreitens, des Schreckens, des Exzesses, und es gehe ihm darum, "für das Nachdenken über das Tragische das Theater zurückzugewinnen". In minutiösen Einzelanalysen zeichnet er die Geschichte nach, entdeckt Hoch- und Verfallszeiten, von den "prädramatischen" Tragödien der Antike über die dramatischen Trauerspiele – von Racine über Schiller zu Kleist und Hölderlin – bis hin zum "postdramatischen" Theater der Gegenwart. Fazit der Rezension: "Eine wahrhaft theatralische Theorie des Tragischen ist so entstanden. Manch ein Theaterkritiker schreibt an dieser Stelle: Jubel!" (sik)

 

Mehr dazu: Wir besprachen Hans-Thies Lehmanns Tragödie und dramatisches Theater im September 2014 und Rüdiger Schapers Spektakel im Juni 2014. 

 

 

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