Was das Theater (nicht) ermöglichen sollte

von Georg Kasch

6. März 2014. Das Theater ist – bestenfalls – ein Ort der Auseinandersetzung, der Diskussion, der Verständigung. Muss es sein, damit es nicht zur Kunst(gewerbs)maschine verkommt. Aber was muss es an Thesen und Argumenten aushalten? Alles? Um diese Frage ging es gerade erst beim Streit darum, ob das Berliner Ensemble den Berliner Ex-Senator, Bestsellerautor und Stammtischthesendrescher Thilo Sarrazin zum Podiumsgespräch hätte einladen dürfen, obwohl viele Passagen seiner Bücher sehr mit einer menschenverachtend rechtspopulistischen Ecke flirten.

Vielleicht hilft es, den Blick über Berlins Tellerrand zu richten, um die Frage zu beantworten, was Theater kann und darf. Am Dresdner Staatsschauspiel gibt es die "Dresdner Reden". Seit mehr als zwei Jahrzehnten halten auf der großen Bühne "Persönlichkeiten aus Kunst, Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft" "eine Rede zur Zeit", wie es auf der Theaterhomepage heißt. In diesem Jahr sprach neben Heribert Prantl, Jürgen Trittin und Roger Willemsen auch die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoffihre Rede lässt sich hier nachhören. Unter dem Titel "Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod" redete sie 50 Minuten lang über die ersten und die letzten Dinge. Was in der Erkenntnis gipfelt: "Mein Schicksal liegt in Gottes Hand und nicht in meinen Händen."

Das bedeutet für sie einerseits die Absage an die künstliche Lebensverlängerung der "Apparatemedizin". Das bedeutet für sie andererseits die Ablehnung der künstlichen Befruchtung. Dass sie die Reproduktionsmedizin ablehnt, ist ihr gutes Recht. Ihre Schlussfolgerungen aber sind erschreckend (und haben viel mit Thilo Sarrazin zu tun): Das "gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse" erscheine ihr "derart widerwärtig", "dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft." Insbesondere, wenn sich über die Reproduktionsmedizin zwei Frauen oder zwei Männer einen Kinderwunsch erfüllen, wie sie weiter ausführt (Sarrazin grüßt vernehmlich).

Vollkommen grostesk wird es, wenn Lewitscharoff den Nazivergleich aus der untersten Schublade holt: "Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist klar, ich übertreibe (...)."

Im Publikum regte sich kein Protest, erst im Foyer wurde emotional diskutiert; auch das Feuilleton reagiert sehr zögerlich (Ausnahme: die taz, heute). Versagte also die Öffentlichkeit, wie sie es vermutlich getan hätte, wenn die Demonstranten nicht das Berliner Ensemble gekapert hätten? Anders als die Sächsische Zeitung als Mit-Veranstalter hatte das Staatsschauspiel keine Kenntnis des Rede-Wortlauts. Anschließend aber verfasste Dresdens Chefdramaturg Robert Koall eine Antwort an Sibylle Lewitscharoff. Der offene Brief (hier nachzulesen) ist deutlich und stellt den Bezug zu Matthias Mattuseks Homophobie-Bekenntnis in der "Welt" und Thilo Sarrazins Thesen her: "Wenn schließlich in einer Rede Leihmutterschaft und lesbische Elternpaare als Fortführung nationalsozialistischer Familienpolitik mit anderen Mitteln bezeichnet werden (und dann als harmlose rhetorische Volte abgetan werden). Dann befördert all das einen schleichenden Klimawandel in der Gesellschaft." Und: "Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte."

Vielleicht ist das der entscheidende Unterschied zum Berliner Ensemble: Dort wollte man etwas zur Diskussion stellen, ließ sich aber zu keinem Zeitpunkt auf eine Diskussion ein. Stattdessen überzieht Hausherr Claus Peymann auch im Nachhinein die Demonstrierenden mit Nazi-Vergleichen (als ob Nazi-Vergleiche nicht immer mehr Schaden anrichten würden, als sie nutzen). Er hat ja recht damit, dass "wir uns unseren Gegnern auch stellen müssen". Aber das funktioniert nicht dadurch, dass man die Diskussionsleitung Redakteuren eines Magazins, das nicht gerade für linksliberale Thesen bekannt ist, überlässt – sondern nur, wenn man selbst klare Positionen vertritt und sie dem "Gegner" entgegensetzt.

Kommentare  
Blog Lewitscharoff: heimliche Reaktion
Es gibt erstaunlicherweise Menschen, intelligente, intellektuelle Menschen aus der bürgerlichen Mittelschicht, die unter einer seltsam angemuteten vorgehaltenen Hand, mir von schleichendem Diktat der Linken, Grünen, Gleichmacherdenkenden erzählen..wird dann nachgehakt, stellt sich heraus, daß sie die Einschränkung der Aktiengeschäfte seit der Bankenkrise, die Steuer-CD's, die Pfandbon-lebensmittel-kontrolle und die öffentiche Diskussionen über die Abschaltung des Atomstroms, bzw die Energiewende bezeichnen. Das wird als das Diktat (auch mit seltsamen Nazivergeleichen) der neuen Linken, bzw Gutmenschen (was für ein schreckliches, zynisches Wirt) von harmlos bis bieder aussehenden Mitbürgern, denen ich das nie zugetraut hätte, unter einem Deckmantel der Verschwiegenheit, kolportiert... - es gibt immer mehr davon...-- anscheinend gab es bisher eine Menge Bürger, die mit Vorliebe Steuerhinterziehung,Börsengechäfte, Umwetverschmutzung, etc betrieben oder unterstütz haben, die das als "Freiheit" und "unbeschränktes Handeln" bezeichnet haben..

ich weiß nicht, wie ich auf solche Statements reagieren soll...klar sagen, daß ich diese Haltung nicht teile (dann werde ich angewidert als Teil der "herrschenden , unterdrückerischen Meinung "(!) abgestempelt und mir werden solche erhellenden Statements nicht mehhr mitgeteilt, - oder schweigen (was ich mit meiner inneren Meinung nicht vereinbaren kann)..oder darüber im Theater schreiben (was idese Leute meistens sowieso nicht erreicht)...schwere entscheidung...vor allem diese Opferhaltung dieser Bürger ("Man darf nichts mehr laut sagen, sonst wird man an den Pranger gestellt") ist erschreckend..und die mangelnde Selbst- Erkenntnis, daß Steuerhinterziehung, undurchsichtge Börsengeschäfte oder gar Waffenhandel nicht gerade menschlich und schon gar nicht sozial sind (Gutmenschen sind ja grundsätzlich böse!!!!!)...puh...
Blog Lewitscharoff: man beachte das Pathos
Onanie ist immer eine Alternative. Zumal wenn das Staatsschauspiel zu derartigen Veranstaltungen einlädt. Man beachte den Pathos, mit dem die Dichterin vorträgt. Da darf man sich als erwachsener Mensch gleich nochmal als Mensch im Wachstum fühlen. Möglicherweise ist hier eine milieutypische Form von sexueller Stimulierung belegt.
Blog Lewitscharoff: nirgends ein Buh
48. Minute: Beifall, kein einziges Buh. Dem Publikum scheints gefallen zu haben.
Blog Lewitscharoff: mit Methode
Vor 1 oder 2 Jahren bat Frau Lewitscharoff zusammen mit Martin Mosebach die Gesetzgeber auf der Bühne des Berliner Festspielhauses allen Ernstes, sie mögen schlechte und blasphemische Kunst unter Strafe stellen. Die Kultur leide, wenn den Menschen nix mehr heilig sei.
Ist es auch ..., so hat es doch Methode.
Blog Lewitscharoff: hochdotierte Geisterfahrer
Peymann, Sarrazin, Lewandowski, Koralle, Matussek, alles Seiten einer Medaille in einer Währung, mit der man heute nix mehr zahlen kann. Mit anderen Worten: Einer ernsthaften Diskussion und der Teilnahme an ernsthaften öffentlichen Debatten ist unsere Kultur nicht fähig. Da sind nur noch preistragende Geisterfahrer unterwegs - und hochdotierte Kunst-Schaffende (nicht -Denkende), die am Bahnhof ins Taxi steigen und dem Fahrer sagen: "Fahren Sie hin, wo Sie wollen - ich werd´ überall gebraucht." Dabei braucht sie keiner mehr - und mit ihrer null und nichtigen Relevanz erledigen sich auch die Medien, die sie bedienen, und in denen sie verdienen. Armleuchter, alle, nur leider brennt kein Licht mehr. Und sie ziehen "ihr" Publikum an. Schlamm drüber!
Blog Lewitscharoff: abwürgende Vergleiche
Durch das dauernde Heranziehen von Nazivergleichen bei jedem Thema ist in Deutschland keinerlei vernünftige Diskussion mehr möglich. Land der Dichter und Denker ist anscheinend auch untergegangen.
Blog Lewitscharoff: Erörterung anderswo
Was haben diese Vortragsveranstaltungen mit Theater zu tun? Nichts, - außer dass sie in einem Gebäude stattfinden, wo Theater gespielt werden sollte. Daher sollten sie hier auch nicht erörtert werden.
Blog Lewitscharoff: Kölner Gelegenheit
Schon am 19.03. besteht die nächste Möglichkeit, Frau Lewitscharoff leibhaftig zu erleben und zwar in Köln. Wer weiß, vielleicht bietet sich die Gelegenheit, die Suhrkamp-Autorin mit einigen Fragen zu belangen:

http://www.suhrkamp.de/autoren/sibylle_lewitscharoff_7665.html
Blog Lewitscharoff: Belangen durch Ermittlung
Gast: Ich finde nicht, dass AutorInnen belangt werden sollten für ihre GedankenIdeenWorte oder Verlage für ihre AutorInnen. Sie haben doch nichts weiter als das. Auch bezweifle ich, dass sie durch Fragen belangt werden könnten. Obwohl man das von unserer Justiz ja lernen könnte: wir ermitteln und strafen nicht, wir belangen durch Fragen, also allein durch Ermittlung! - Mir müsste ja irgendwie ein Fuß fehlen, wenn ich der Stimme auch noch hinterherreise, blöder Vorschlag, Gast:-): ichfangjanormalerweisemitwitzchenanaberhiermachichmaleineausnahmeweilichsogeehrtbindurchihreeinladung - Ogott, wer hat das nötig?
Blog Lewitscharoff: durchatmen
Die Diskussion am Berliner Ensemble musste abgebrochen werden. Es war nicht möglich Herrn Sarrazin in eine Auseinandersetzung zu erleben bzw. kluge Gegenargumente zu formulieren und ihn dann zu erleben. Wilder Haufen als gelte es um was, um was eigentlich? schrillte nur. Aber eigentlich gehört es zur Freiheit dazu, meine ich und das wird ja so wild da und dort verteidigt, das andere Meinungen möglich sind. Beherrscht werden sie jedenfalls nicht im niederprüllen, sondern im auseinandersetzen und enttarnen. (…) Lasst uns doch mal durchatmen.
Blog Lewitscharoff: Hinweis
CICERO

http://www.cicero.de/salon/dresdner-rede-zur-biopolitik-lewitscharoff-trifft-den-wunden-punkt/57178
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